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Die tiefen Abgründe hinter der funkelnden Welt der finnischen Glas-Iglus

Glass Igloos at Kakslauttanen Arctic Resort in Saariselka, Finland Saariselka Lapland Finland Copyright: xNanoxCalvox NN-LAPADV2-66
Das Feriendorf Kakslauttanen im finnischen Lappland ist für seine Glas-Iglus bekannt.Bild: www.imago-images.de

Die tiefen Abgründe hinter der funkelnden Welt der finnischen Glas-Iglus

Rund 20 ehemalige Mitarbeitende berichten über Missstände in Finnlands bekanntestem Tourismusunternehmen. Das Unternehmen sieht das etwas anders.
01.09.2023, 17:0204.09.2023, 09:06
Lina Stalder
Lina Stalder
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Überglücklich war Adela, als es ihr gelang, eine Festanstellung im Kakslauttanen Arctic Resort zu ergattern. Das versprochene Gehalt war besser als in der gleichen Branche in ihrer Heimat in Südostasien und die Website des Unternehmens machte einen positiven Eindruck.

Adela fackelte nicht lange: Sie kündigte ihre Festanstellung, liess ihr bisheriges Leben hinter sich und zog nach Lappland.

Die Euphorie hielt nicht lange an. Das ist passiert:

Adelas Geschichte

Kaum war Adela in Lappland angekommen, drohte die Unternehmensleitung bereits zum ersten Mal damit, sie und andere Frauen aus Südostasien zurück nach Hause zu schicken. Nicht selten kam es vor, dass Adela und ihre Freundinnen noch am Sonntagabend nicht wussten, welche Schichten sie in der kommenden Woche haben würden. Sie teilten sich eine Wohnung mit einer Tür, die nicht abgeschlossen werden konnte.

Adela und ihre Arbeitskollegen wurden für jegliche Zwischenfälle am Arbeitsplatz verantwortlich gemacht – selbst dann, wenn sie gar nicht im Dienst waren. Es sei einfacher, ihnen die Schuld zu geben als den Europäern, weil sie auf keinen Fall ihren Arbeitsplatz verlieren wollten, sagt Adela. Viele der jungen Angestellten arbeiteten zum ersten Mal im Ausland.

Photo taken on March 16, 2014 shows newly built glass igloos in Kakslauttanen, northern Finland. Thanks to booming arctic tourism, a resort in Kakslauttanen in northern Finland is being expanded, with ...
Das Feriendorf Kakslauttanen: eigentlich ganz schön – wären da nicht die schweren Vorwürfe ehemaliger Mitarbeitenden.Bild: imago stock&people

Nach fünf Monaten wurde den Mitarbeitenden mitgeteilt, dass die Saison vorbei sei und sie nach Hause zurückkehren sollten. Es wurde jedoch niemand entlassen.

Die Frauen flogen also in der Annahme nach Hause, dass sie später eine feste Anstellung erhalten würden. Als sie sich einige Monate später an Kakslauttanen wandten, blieben ihre Anfragen unbeantwortet.

Das alles ist nun einige Jahre her.

«Es hat unsere Karrieren ruiniert. Wir sind jetzt für immer Saisonarbeitende.»
Adela

Adela ist mit ihren Erfahrungen als ehemalige Mitarbeiterin des Kakslauttanen Arctic Resort nicht alleine.

Die lappländische Zeitung «Lapin Kansa» hat fast zwanzig ehemalige Mitarbeitende zu ihren Erfahrungen mit Kakslauttanen befragt, darunter auch Adela. Um ihre Identität zu schützen, wurden die Namen der Mitarbeitenden geändert.

Das Kakslauttanen Arctic Resort

Das Feriendorf Kakslauttanen im finnischen Lappland ist heute international als Aushängeschild des Naturtourismus in Lappland bekannt. Der Clou dabei: Die Besucher wohnen und nächtigen in instagrammablen Glas-Iglus. Das Unternehmen wurde vor 50 Jahren von Juhani «Jussi» Eiramo gegründet.

Kakslauttanen Arctic Resort verfügt über zwei Ferienanlagen im finnischen Sodankylä. Im Winter 2022 arbeiteten etwa hundert Personen für das Unternehmen. Fast alle Mitarbeiter kommen aus dem Ausland.

Im Dezember 2020 wurde Unternehmensgründer Eiramo wegen schwerer Umweltzerstörung verurteilt. Sein Unternehmen hatte über viele Jahre hinweg Hunderte von Tonnen Bauschutt verbrannt.

Der Besitzer und Geschäftsführer vom Kakslauttanen Arctic Resort: Juhani Eiramo.
Der Besitzer und Geschäftsführer vom Kakslauttanen Arctic Resort: Juhani Eiramo.Bild: kuva/OLLI MIETTUNEN

Die Geschichte von Aaron

Die ehemaligen Mitarbeitenden erzählen von unterschiedlichsten Problemen. So wurden beispielsweise viele regelmässig vor den Kunden angeschrien, ihre Arbeitszeiten waren unklar, und sie erhielten keinerlei Schulung für die ihnen zugewiesenen Aufgaben. Wenn sie Fehler machten oder kündigen wollten, drohte man ihnen mit dem Entzug ihrer Aufenthaltsgenehmigung oder ihres Arbeitsvisums.

Aaron, ein osteuropäischer Angestellter, kündigte seinen Arbeitsvertrag, nachdem ein Kollege mit dem Minivan des Unternehmens von der Strasse abgekommen war. Dem Kollegen, der das Fahrzeug gefahren hatte, wurde nach dem Zwischenfall der Arbeitsvertrag gekündigt. Die Reparaturkosten für den Minivan wurden ihm vom Gehalt abgezogen.

Aaron zufolge war die Benutzung der Fahrzeuge des Unternehmens aber ohnehin gefährlich, so hatte der von der Strasse abgekommene Minivan keine Winterreifen.

Zimmertemperatur kontrolliert

Han, ein Angestellter aus Asien, wurde eingestellt, um Büroarbeiten zu erledigen. In der Praxis verbrachte er einen Grossteil seiner Zeit mit Dingen, die nicht vereinbart worden waren. Er kellnerte, verrichtete Reinigungsarbeiten und transportierte das Gepäck von Kunden.

Neben der täglichen Zehn-Stunden-Arbeitszeit musste er ständig Nachtschichten machen, weil das Unternehmen über zu wenig Personal verfügte. «In dieser Branche können die Arbeitstage manchmal recht lang sein, aber das sollte nicht an der Tagesordnung sein», sagt Han gegenüber «Lapin Kansa».

Ein anderer Angestellter erzählt, Geschäftsführer Juhani Eiramo habe die Regel aufgestellt, dass die Mitarbeitenden ihre Wohnungen nicht auf über 21 Grad Celsius aufheizen durften. Juhani Eiramo vergewisserte sich persönlich, dass sich alle an die Vorschrift hielten, indem er ohne Vorankündigung die Zimmer der Mitarbeitenden besuchte. Wenn die Heizung höher als erlaubt eingestellt war, drohte er damit, den Angestellten dies vom Gehalt abzuziehen.

Kakslauttanen
Kakslauttanen.Bild: Shutterstock
Kakslauttanen
Ein Glas-Iglu.Bild: Shutterstock

Viele erzählen zudem, dass ihre Arbeitsverträge auf merkwürdige Art und Weise aufgelöst wurden. Erja aus Finnland arbeitete in der Saison 2003–2004 als Kellnerin bei Kakslauttanen. Sie verletzte sich am Knie und musste sich ein paar Tage krankschreiben lassen, um sich zu erholen. Ihr Arbeitsvertrag wurde während ihrer Probezeit telefonisch gekündigt – noch während sie krankgeschrieben war.

Haltlose Diebstahl-Anschuldigungen

Die europäische Angestellte Julinka wurde bei Kakslauttanen des Diebstahls beschuldigt. Ihr Arbeitsvertrag wurde mit sofortiger Wirkung gekündigt. Urlaubsgeld und restliche Gehälter blieben unausgezahlt. Dasselbe geschah mit Julinkas Mitbewohnerin. Juhani Eiramo durchsuchte in ihrer Abwesenheit ihre Sachen.

Julinka glaubt, dass die falschen Anschuldigungen eine Methode des Unternehmens gegen ausländische Angestellte waren, die sich ihrer Rechte weniger bewusst sind als Finnen.

«Die Art und Weise, wie ich behandelt wurde, war völlig unangemessen. Vor allem in Finnland, wo die Rechte der Arbeitnehmer eigentlich in Ordnung sein sollten.»
Julinka

Vanida wurde beim Vorstellungsgespräch versprochen, dass für die Mitarbeitenden jeden Freitag ein Transport vom West Village zum Lebensmittelgeschäft organisiert würde. Die Entfernung von Vanidas Unterkunft zum nächstgelegenen Laden beträgt etwa 15 Kilometer. Zur nächsten Bushaltestelle sind es fünf.

Als sie in Kakslauttanen ankam, gab es keinen solchen Transport. Erst nach wiederholten Beschwerden von Mitarbeitenden wurde schliesslich ein Bus organisiert. Einer, der kostenpflichtig war und nicht jede Woche zur Verfügung stand.

Ein anderes Mal verschwanden während einer Saison die von einem Kunden gekauften Souvenirs. Der Arbeitgeber entschädigte den Kunden für den Verlust, indem er das Geld aus der gemeinsamen Trinkgeldschale der Angestellten nahm.

Mangelnde Lebensmittelhygiene

Die befragten Mitarbeitenden sprachen auch von Hygieneproblemen in der Küche von Kakslauttanen. Fleisch und Gemüse wurden in Kisten auf dem Boden gelagert. Nach Juhani Eiramos Anweisung wurden die Reste des Frühstücksbuffets, die stundenlang in der Auslage lagen, in den Kühlschrank gestellt und den Kunden am nächsten Tag erneut serviert. Die Lebensmittel wurden eingefroren, aufgetaut und wieder eingefroren.

So habe einer der Befragten Würstchen weggeworfen, nachdem sie am vierten Morgen serviert worden waren. Als Geschäftsführer Juhani Eiramo davon erfuhr, drohte er wie so oft damit, die Kosten vom Gehalt des Mitarbeiters abzuziehen.

So lauten nur einige der Anschuldigungen an das Unternehmen. Nach Angaben der von «Lapin Kansa» befragten ehemaligen Mitarbeitenden verlassen viele Angestellte das Unternehmen während der Saison entweder auf eigene Initiative oder auf Initiative des Arbeitgebers. So soll Kakslauttanen allein im Dezember 2019 mehr als 15 Mitarbeitende während ihrer Probezeit entlassen haben. Auch die Personen in den Führungspositionen des Unternehmens wechseln häufig. Der letzte extern eingestellte CEO war Petri Härkönen, der frühere Hauptgeschäftsführer der Gemeinde Sodankylä. Er arbeitete weniger als ein Jahr für das Unternehmen.

Kakslauttanen
Kakslauttanen.Bild: Shutterstock

Das sagt der Geschäftsführer zu den Vorwürfen

Geschäftsführer Juhani Eiramo weist die Anschuldigungen der Mitarbeitenden zurück. Laut Eiramo wurde nie jemandem damit gedroht, ihm seine Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen oder ihn nach Hause zu schicken. Stattdessen werden die ausländischen Mitarbeiter im Rahmen ihrer Einarbeitung in die finnische Kultur eingewiesen, so Eiramo.

Er weist auch den Vorwurf zurück, in die Wohnsituation der Mitarbeitenden einzugreifen. Ihm zufolge arbeitet das Unternehmen nach den üblichen Praktiken von Vermietern: Zimmer und Wohnungen werden nur betreten, wenn der Besuch gesondert angekündigt wurde.

Er räumt aber ein, dass das Unternehmen eine Mitteilung des Gesundheitsinspektors über das Abstellen von Stahlbehältern auf Tischen oder Regalen erhalten habe. Alle anderen Behauptungen über Hygieneprobleme in der Küche weist er aber zurück.

Die Zeitung «Lapin Kansa» konfrontierte Eiramo auch mit der Frage, warum für die Mitarbeitenden unbefristete Arbeitsverträge abgeschlossen würden, wenn es nur Saisonarbeit gebe. Die Arbeit sei hauptsächlich saisonal, weshalb die meisten Mitarbeiter befristete Arbeitsverträge hätten, entgegnet er. Im letzten Winter beschäftigte das Unternehmen etwa hundert Personen. Laut Eiramo gab es «ein paar» Kündigungen in der Probezeit. Die Fluktuation der Arbeitskräfte liegt während der Saison bei etwa 15 Prozent, was nach Angaben von Eiramo dem Branchendurchschnitt entspricht.

Was passiert jetzt?

Nach Ansicht der von «Lapin Kansa» befragten Experten für Arbeits- und Strafrecht könnte es sich beim Kakslauttanen-Fall um einen Fall von schwerer Diskriminierung oder Nötigung am Arbeitsplatz handeln.

Laut Terhi Vuorinen, Kriminalinspektorin bei der lappländischen Polizei, ist es für die Polizei aber sehr schwierig, allein aufgrund von Medienberichten Ermittlungen zu möglichen Straftaten im Zusammenhang mit Kakslauttanen einzuleiten. Damit die Fälle untersucht werden können, müssen sich die Opfer direkt an die Polizei wenden.

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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
01.09.2023 17:42registriert Oktober 2019
Die Empathie geht je länger je mehr flöten. Zieht sich durch alle Schichten der Menschheit durch.
Völlig gestört, was sich Angestellte alles gefallen lassen müssen. Auch bei uns in der CH. Provitgier ist gefährlich für den Mensch..

Instagrammable, muss das sein?
Wörter die Kopfschmerzen bereiten?
1449
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sagichdochdieganzezeit
01.09.2023 17:55registriert September 2022
Schlechte Arbeitsbedingungen in der Gastro bzw. Hotellerie?
- Nein.
- Doch!
- OH!
1387
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Mia Mey
01.09.2023 18:59registriert Januar 2016
Nebst den schlechter Behandlung von der Seite des Arbeitgebers,
Wie kommt es das Gäste Angestellte anschreien und schlecht behandeln?
Auch als bezahlender Gast ist man Gast und bleibt anständig.
695
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