Auf der Intensivstation eines Beiruter Krankenhauses bangt Ahmed Hadsch Istaifi um das Leben seiner Tochter. «Ich bete, dass sie es schafft», sagt der Syrer, der eigentlich im Libanon Schutz vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat suchte.
Nun verlor er bei der schweren Explosion im Hafen von Beirut vergangene Woche seine Frau und zwei seiner Töchter. Istaifis drittes Mädchen kämpft in der Klinik ums Überleben.
«Die Nachbarn haben meine dritte Tochter ins Krankenhaus gebracht», schildert er der Deutschen Presse Agentur dpa am Telefon die Schreckensmomente der Katastrophe.
Im Stadtteil Karantina, in der Nähe des Hafens und auch seines Hauses, arbeitete Istaifi auf dem Bau. «Plötzlich hörten wir die gewaltige Explosion», sagt er. Später fand er sein Haus in Trümmern vor. Die Familie in Stücke gerissen, wie Istaifi erzählt. «Ich habe die Gliedmassen meiner beiden Mädchen und meiner Frau mit meinen eigenen Händen eingesammelt.»
Der trauernde Familienvater fühlt sich im Libanon nicht mehr sicher. «Wir sind vor einem Krieg in den anderen geflüchtet – und das ist das Schlimmste», sagt Istaifi, der aus der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens stammt, einem von Al-Kaida-nahen Milizen beherrschten Rebellengebiet.
Seit 2011 flohen rund eine Million Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien in den angrenzenden Libanon. Die meisten leben im Osten des Landes verteilt in nicht offiziellen Flüchtlingscamps.
Einige arbeiten in der Hauptstadt Beirut als Türsteher oder Bauarbeiter. Oft kommen Flüchtlinge in kleinen Einzimmerwohnungen in Nähe des nun von der Explosion gezeichneten Hafengebiets unter. «Ausländische Arbeiter wie Syrer und Ägypter sind im Hafen und seiner Umgebung tätig», sagt ein Rettungshelfer der dpa. Etwa 30 der rund 160 Opfer der Explosion seien Syrer gewesen, schätzt der Mann, der anonym bleiben will. «Genaue Zahlen können wir noch nicht geben.»
Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat zunächst unbestätigte Berichte von Opfern unter den Flüchtlingen erhalten. Einige der schwer von der Explosion getroffenen Gegenden wurden von Flüchtlingen bewohnt, wie UNHCR-Sprecher Charlie Yaxley in Genf sagt. «Wir arbeiten mit den Rettungsteams und anderen humanitären Organisationen zusammen, um bei der Identifizierung zu helfen und die trauernden Familien, zu unterstützen.»
Auch die 40-jährige Syrerin Instar al-Salih fühlt sich angesichts der Katastrophe von düsteren Erinnerungen an den Krieg eingeholt. Erneut fürchtete die vierfache Mutter um das Leben ihrer Kinder. «Als wir hergekommen sind, dachten wir, dass unsere Kinder hier sicher sind. Aber wir haben uns geirrt», sagt al-Salih. Ihre Familie war erst vor fünf Jahren aus Aleppo vor den unnachlässigen Bombardierungen der syrischen Regierungskräfte auf die damals von Rebellen beherrschte Heimatstadt geflohen.
Zum Glück hätten ihre Kinder die Explosion im Beiruter Hafen überlebt, sagt al-Salih erleichtert. Den Zeitpunkt der Detonation hat sie noch immer vor Augen: Die Kleinen waren vor dem Haus, um der Hitze der engen Wohnung zu entgehen.
«Plötzlich spürten wir, dass der gesamte Boden unter unseren Füssen bebte und zersplittertes Glas auf uns herabregnete», sagt al-Salih über die Explosion, die möglicherweise durch grosse Mengen unsicher gelagerten Ammoniumnitrats verursacht wurde. Mindestens 6000 Menschen wurden dabei verletzt.
Darunter auch al-Salihs vier Jahre alte Tochter. «Bayan hat eine Schnittwunde am Kopf», sagt die Mutter. Die Explosion, die Hunderttausende Menschen im Libanon obdachlos machte, reisst auch bei al-Salihs neun Jahre altem Sohn Mohammed alte Wunden auf. Bei dem Jungen kamen traumatische Erinnerungen vom Krieg in seiner Heimat wieder hoch. «Es erinnerte mich daran, als Flugzeuge in Syrien unsere Häuser im ländlichen Aleppo bombardierten und wir in Schutzräume fliehen mussten.» (sda/dpa)