Die Video-Affäre um die bisherige Regierungspartei FPÖ hat Österreich wenige Tage vor der wichtigen Europawahl in eine schwere Staatskrise getrieben. Am Montagabend kündigte die FPÖ an, dass alle ihre Minister die Regierung verlassen werden.
Ihre Posten dürften nun bis zu vorgezogenen Neuwahl mit Experten und Spitzenbeamten besetzt werden. Die rechte Partei reagierte damit auf die vorherige Ankündigung von Kanzler Sebastian Kurz, den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen um die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zu bitten.
Regierungschef Kurz hatte bereits zuvor für den Fall eines kollektiven Rückzugs der FPÖ-Minister angekündigt, die Posten bis zur vorgezogenen Neuwahl mit Experten und Spitzenbeamten zu besetzen. Dieses Vorgehen sei mit Van der Bellen abgesprochen und solle dafür sorgen, dass die Regierung «handlungsfähig» bleibe.
Unklar blieb, ob Kurz im Parlament mit einem Misstrauensvotum konfrontiert werden wird. Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner sprach von einer «veritablen Staatskrise» und erklärte, es müssten nun alle Ministerposten mit Experten besetzt werden. Sie liess jedoch zunächst offen, ob ihre Partei Kurz unterstützen oder stürzen will.
Peter Pilz von der oppositionellen Liste «Jetzt» kündigte am Montag an, im Parlament einen Misstrauensantrag gegen Kurz zu stellen. Pilz hofft dabei auch auf die Unterstützung der aufgebrachten FPÖ. «Der Hausverstand sagt einem, dass es relativ schwer ist, von jemandem das Vertrauen zu verlangen, dem man gerade das Misstrauen ausgesprochen hat», sagte Kickl zu diesem Thema der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Rendi-Wagner appellierte derweil an die Parteien, die eigenen Interessen hinten anzustellen. Auch durch diese Äusserungen gewann das «Jetzt»-Vorhaben am Abend erheblich an Bedeutung - der Stuhl des Kanzlers wackelt erheblich. Noch ist unklar, wann eine Sondersitzung des Parlaments stattfinden könnte.
Sollte ein Misstrauensantrag im österreichischen Parlament eine Mehrheit finden, müsste der Bundespräsident jemanden mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. «Dann ist der Bundeskanzler Geschichte - und das ist auch gut so», sagte der Liste-«Jetzt»-Gründe Pilz im Sender «oe24». Der Kanzler sei der Hauptverantwortliche für die Regierungskrise.
Die schlagartige Verschärfung der Situation hatte Kurz am Montagabend mit seinem eigenen Statement losgetreten. Der 32-Jährige hatte sich erneut mit Innenminister Kickl getroffen und entschieden, dass der FPÖ-Politiker nicht mehr im Amt bleiben kann.
Der Kanzler erwartet eine «lückenlose Aufklärung» zu jenem Skandalvideo von Ibiza aus dem Jahr 2017, das die gesamte Krise am Freitagabend ausgelöst hatte. Kickl war damals selbst Generalsekretär der FPÖ und damit auch mit den finanziellen Angelegenheiten der Partei betraut.
Aus Sicht von Kurz müsste Kickl nun gegen sich selbst ermitteln - und das geht für den Kanzler nicht mit einer Aufklärung ohne «den Anschein einer Einflussnahme» zusammen.
Die Regierungskrise wurde am Freitag durch das von «Spiegel» und «Süddeutscher Zeitung» veröffentlichte Video ausgelöst, das im Juli 2017 heimlich auf Ibiza aufgezeichnet wurde. Darin werden möglicherweise illegale Parteispenden an die FPÖ thematisiert.
Der Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache stellt darin einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte öffentliche Aufträge in Aussicht, sollte sie der FPÖ zum Erfolg bei den Nationalratswahlen 2017 verhelfen. Strache trat am Samstag aufgrund der Veröffentlichung des Videos zurück. (cma/sda/dpa/afp/reu)
Wäre sehr seltsam gewesen, wenn Kickl die Strache-Sache hätten untersuchen sollen, als Innenminister.