Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist tot. Der gebürtige Deutsche starb am Samstag im Alter von 95 Jahren im Vatikan, wie der Heilige Stuhl bekanntgab.
Jahrzehntelang hat Joseph Ratzinger die katholische Kirche mitgeprägt: Ab Januar 1982 amtierte er 23 Jahre lang als Präfekt der Glaubenskongregation, ab 19. April 2005 dann für acht Jahre als Papst Benedikt XVI, nach dem langen Pontifikat von Johannes Paul II, das ein Vierteljahrhundert gedauert hatte.
Doch sein grösstes Ausrufezeichen setzte der 265. Papst der Kirchengeschichte erst ganz am Schluss seiner Amtszeit: Mit seinem am 11. Februar 2013 erfolgten Amtsverzicht wurde Benedikt XVI. zum ersten Pontifex Maximus der Neuzeit, der nicht im Amt verstarb, sondern zurücktrat. Danach lebten im Vatikan erstmals in der zweitausendjährigen Kirchengeschichte zwei Päpste: der amtierende Franziskus und der emeritierte Benedikt.
Joseph Ratzingers Pontifikat war geprägt von Licht und Schatten - und den mit Abstand längsten Schatten warf der Missbrauchsskandal, vor allem in der Zeit nach seinem Rücktritt. Im Januar dieses Jahres hat ein lange erwartetes Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München-Freising den emeritierten Papst (und andere amtierende und frühere Amtsträger) schwer belastet.
Joseph Ratzinger, hiess es in der von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erstellten Untersuchung, habe sich in seiner Amtszeit als Münchner Erzbischof (1977-1982) in vier Fällen fehlerhaft verhalten. Anschliessend wurde ihm auch noch eine Falschaussage vorgeworfen: In seiner Replik auf das Gutachten habe Ratzinger bestritten, an einer Sitzung zur Versetzung eines Missbrauch-Priesters teilgenommen zu haben, obwohl er in Wahrheit sehr wohl anwesend gewesen war. Der emeritierte Papst bezeichnete die Passage als Missverständnis.
Wenige Monate vor seinem Tod wurde der ehemalige Papst sogar noch von einem Missbrauchsopfer verklagt: Ein 38-jähriger Mann, der angibt, in den 1990er Jahren von dem damaligen Pfarrer seiner Wohngemeinde sexuell missbraucht worden zu sein, hat eine sogenannte Feststellungsklage eingereicht. Sie richtet sich ausser gegen den Ex-Papst auch gegen den mutmasslichen Täter, den früheren Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter sowie das Erzbistum München und Freising.
Vor kurzem hatte Joseph Ratzinger bekannt gegeben, dass er sich vor dem zuständigen Landgericht Traunstein verteidigen werde. Strafrechtlich ist die Klage nicht relevant; es geht in erster Linie darum, ob eine Pflicht zu Schadenersatz besteht. Der Gerichtstermin war für den kommenden März vorgesehen.
Der Skandal um pädophile Priester hatte aber nicht nur den Ruhestand von Benedikt belastet, sondern auch schon sein Pontifikat. Die massenhaften Missbrauchsfälle hatten vor allem in Europa und in den USA zu hunderttausenden von Kirchenaustritten geführt. Für die moralische Autorität der katholischen Kirche, in deren Wertekanon die Unkeuschheit als Todsünde gilt, stellten die Missbräuche durch Priester die wohl grösstmögliche Katastrophe dar.
Zwar hatte Joseph Ratzinger als Papst und auch danach nie einen Zweifel daran gelassen, dass er diese Taten für abscheulich hält und dass sie streng bestraft werden müssten. Doch es dauerte viel zu lange, bis sich der Papst zu einer Entschuldigung aufraffte und die Regeln zur Verfolgung der Schuldigen verschärfte.
Benedikts Pontifikat war, neben dem Missbrauchsskandal, auch noch von diversen anderen Pannen überschattet. Im Herbst 2006 kam es mit der «Regensburger Rede» zu einem ersten Eklat: Mit einem unglücklichen Zitat brachte der Papst Millionen von Muslimen gegen sich auf; in der arabischen Welt kam es zu Krawallen mit mehreren Toten.
Später sorgte Benedikt XVI. mit der Aufhebung der Exkommunikation der fundamentalistischen Lefebvre-Bischöfe und des Holocaust-Leugners Richard Williamson für schwere Verstimmungen mit den Juden und Kopfschütteln auf der ganzen Welt. Gegen Ende seiner Amtszeit kam noch der «Vati-Leaks»-Skandal um seinen ungetreuen Butler Gabriele hinzu, der persönliche und vertrauliche Dokumente des Papstes gestohlen und italienischen Medien zugespielt hatte.
Wegen seiner konservativen Haltung war Joseph Ratzinger letztlich immer umstritten gewesen, auch als Papst. Als er am 19. April 2005 im vierten Wahlgang auf den Stuhl Petri gewählt wurde, begrüsste ihn die «Bild»-Zeitung zwar mit der gleichermassen kreativen wie euphorischen Schlagzeile «Wir sind Papst!» - doch auch in seiner Heimat und erst recht ausserhalb Deutschlands verflog die Skepsis gegenüber dem «Grossinquisitor von Markl am Inn» nie ganz.
In Italien wurde Benedikt doppeldeutig als «pastore tedesco» bezeichnet - das bedeutet sowohl «deutscher Hirte» als auch «deutscher Schäferhund». Tatsächlich war Ratzinger nach seiner Wahl zum Papst beides: der gütige «Papa Ratzi» mit seinem feinen Lächeln für die Gläubigen auf dem Petersplatz; aber auch der beinharte Ideologe im Apostolischen Palast, wenn es um Sexualmoral, Frauenordination, Zölibat oder römischen Zentralismus ging.
Harmonisch verlief dagegen das ungewohnte Zusammenleben mit seinem Nachfolger im Vatikan: Dem erzkonservativen Ratzinger wird vermutlich nicht alles gefallen haben, was sein reformfreudiger Nachfolger aus Argentinien seit seiner Wahl im März 2013 gesagt und getan hat - aber die beiden gegensätzlichen Päpste mochten sich, und Ratzinger ist gegenüber seinem Nachfolger bis zuletzt loyal geblieben.
Es hat zwar immer wieder Versuche von Franziskus-Gegnern gegeben, den emeritierten Papst vor den Karren zu spannen. So ist Joseph Ratzinger, notabene unter seinem Papstnamen und mit Bild, beispielsweise in einem Buch des konservativen Kurienkardinals Robert Sarah, das sich gegen die Abschaffung des Zölibats richtet, als Co-Autor aufgeführt worden - ohne das Wissen und ohne die Genehmigung des ehemaligen Papstes. Benedikt habe sich von Sarah, einem Wortführer der Ultrakonservativen im Vatikan, hintergangen und benutzt gefühlt, hiess es aus dem Vatikan.
In Erinnerung bleiben wird Joseph Ratzinger als Redner und Theologe, der den Gläubigen in einfachen und verständlichen Sätzen die fundamentalen Glaubenswahrheiten des Katholizismus vermitteln konnte, die niemals einer gerade aktuellen Modeströmung und damit der Beliebigkeit geopfert werden dürften.
In einer von Werteverfall geprägten, globalisierten Welt strebte Benedikt XVI. in Reden und Schriften nach Reinheit, Klarheit, Wahrheit - kurz: nach der «Essenz» des Glaubens. Und er wehrte sich gegen die «Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Mass nur das Ich und seine Bedürfnisse zulässt». In diesem Punkt stimmte Joseph Ratzinger nicht nur mit seinem Vorgänger Karol Wojtyla, sondern auch mit seinem Nachfolger Franziskus überein. (aargauerzeitung.ch)
Hat er sich ja auch nicht dran gehalten.
Auch ein Papst kommt nicht automatisch in den Himmel.