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Russland

Nach Kriegsprotest im russischen TV: So geht es Marina Owsjannikowa

Sie protestierte live gegen den Krieg – und zahlt jetzt einen hohen Preis

22.06.2022, 07:0522.06.2022, 17:58
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Die durch ihren Kriegsprotest im russischen Fernsehen bekannt gewordene Journalistin Marina Owsjannikowa erwägt, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. «Ich kann nicht nach Russland zurückkehren, unter keinen Umständen, denn – soweit ich weiss – werde ich sofort inhaftiert werden», sagte die 44-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview in Berlin. «In Deutschland fühle ich mich ziemlich sicher. Aber ich bin ständig Mobbing und Hass in sozialen Netzwerken ausgesetzt.»

Video: Owsjannikowa protestiert live in den Nachrichten

Video: watson

Die damalige Redakteurin des russischen Staatsfernsehens hatte am 14. März in einer Livesendung des Ersten Kanals ein Protestplakat gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gezeigt. Darauf stand: «Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.» Dafür bekam sie weltweit Anerkennung. Der Kreml in Moskau verurteilte die Aktion. Die Journalistin erhielt Geldstrafen.

Nun versuche der Kreml systematisch, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben, sagte Owsjannikowa der dpa: «Ich bin in einer schwierigen Lage. Der Kreml will allen sagen, glauben Sie dieser Person nicht, sie ist fake, das war kein echter Protest. Als ich noch in Russland war, sagten sie: Sie ist eine britische Agentin. Wenn ich Russland verlasse, sagen sie: Sie ist eine russische Agentin, glaubt ihr nicht.» Doch fügte sie hinzu: «Ich bin nicht fake.»

Auch die Ukraine zweifle an ihrer Glaubwürdigkeit. Sie habe dort über russische Kriegsverbrechen berichten wollen, doch habe sie in der Ukraine nicht arbeiten dürfen. Ihre Mitarbeit bei der deutschen «Welt»-Gruppe sei ebenfalls beendet, sagte die Journalistin. «Ich habe keinen Job.»

Die russische TV-Journalistin Marina Owsjannikowa am Dienstagnachmittag vor Gericht – zusammen mit dem Menschenrechtsanwalt Anton Gaschinsky:
Marina Owsjannikowa: «Deshalb ist meine Situation sehr kompliziert, aber ich versuche, den Optimismus nicht zu verlieren.»Bild: zvg

Ihre beiden Kinder seien in Moskau, fügte sie hinzu. Ihr Ex-Mann wolle gerichtlich durchsetzen, dass sie Tochter und Sohn nie wieder sehen dürfe. Auf Facebook, Twitter oder Instagram werde sie gemobbt. «Deshalb ist meine Situation sehr kompliziert, aber ich versuche, den Optimismus nicht zu verlieren.»

Ihre Protestaktion halte sie nach wie vor für richtig, fügte die Journalistin hinzu. «Ich würde das nochmal tun. Ich nehme nicht eines meiner Wort zurück. Denn mein Protest hat trotz allem einen Effekt gehabt. Ich habe sehr viele Nachrichten von Russen bekommen, die gesagt haben: Ja, so ist es. Wir haben darauf gewartet.» Dass es in Russland kaum öffentliche Kritik am Angriff auf die Ukraine gebe, liege an der Angst vor drakonischen Strafen.

Ein Ende des russischen Kriegs in der Ukraine erwartet die Russin vorerst nicht. «Es wird ohne Unterbrechung für lange Zeit weitergehen», sagte sie. «Es gibt nur einen Weg, die Lage zu ändern: ein anderer Präsident in Russland.»

Owsjannikowa äusserte sich am Rande des Women's Forum for the Economy & Society in Berlin. Das ist eine Konferenz, die den Einfluss von Frauen auf die Politik stärken will. Teilnehmerinnen formulierten unter anderem Forderungen an den G7-Gipfel am Wochenende in Elmau. (meg/sda/dpa)

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59 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Callao
22.06.2022 07:39registriert April 2020
Und wir meinen aus unseren Stuben heraus, wir hätten Probleme wegen des Krieges in der Ukraine. Diese Dame hat wirkliche Probleme! Sie hat für ihre Meinungsäusserung persönliche Konsequenzen in Kauf genommen.
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Philguitar
22.06.2022 07:37registriert Dezember 2018
Respekt für eine solche Aktion.
Ich kenne viele die finden, dass Russen sich aufbäumen sollen und gegen Putin marschieren.
Aber bei uns so etwas zu sagen ist leicht. Wer in einem solchen System lebt wird danach unweigerlich sein aktuelles Leben aufgeben müssen. Nur die wenigsten die sagen, ich mach dann mit, tun es dann auch.
Sie hat jetzt die Pro Russen gegen sich aufgrund der Altion und die Pro Ukrainer denken es war gestellt, sonst wäre die Strafe härter. Am Ende darf Sie selber schauen wie Sie weitermacht und das sehen dann auch die Leute die gerne etwas machen würden und lassen es.
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wiedemauchsei
22.06.2022 07:46registriert Mai 2019
wie ich mir ein Happy End vorstelle:
Der Krieg geht zu Ende und Putin wird mit seinen Schergen zu Teufel gejagt (am liebsten wörtlich).
Marina wird Ministerin für Öffentlichkeitsarbeit und ihr Mann darf Putin weiterhin folgen.
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