meist klar
DE | FR
International
Schweiz

Ex-Nato-Chef exklusiv: «Was mir Putin hinter verschlossener Tür sagte»

Ex-Nato-Chef: «Was mir Putin hinter verschlossener Tür sagte»

Wie weiter im Ukraine-Krieg? Der Däne Anders Fogh Rasmussen (69) führte das mächtigste Militärbündnis der Welt. Im Interview spricht der ehemalige Nato-Generalsekretär über eine folgenschwere Entscheidung der Schweiz. Und er glaubt, dass Putin der Ukraine gerade eine Falle stellt.
03.12.2022, 15:1004.12.2022, 22:07
Yannick Nock / ch media
Mehr «International»
epa10181535 Anders Fogh Rasmussen, Former NATO Secretary General, speaks during their joint with Andriy Yermak, the head of the Office of the President of Ukraine, meeting with the media at the Presid ...
Bild: keystone

Mit dem Winter tritt der Krieg in eine neue Phase ein. Welche Seite wird von den sinkenden Temperaturen stärker profitieren?

Anders Fogh Rasmussen: Die Kämpfe werden sich durch das kalte Wetter und den gefrorenen Boden nicht verlangsamen. Da irren sich viele Experten. Die Ukrainer sind wild entschlossen, nach ihren Erfolgen weiterzukämpfen. Anders als Putin vielleicht glaubt, wird sein Terror den Willen der Ukrainer niemals brechen. Das gelang ihm zu Beginn des Krieges nicht und das wird auch jetzt nicht gelingen. Putin hat sich einmal mehr verkalkuliert.

Zuletzt hat der russische Präsident Friedensgespräche in Aussicht gestellt. Sollte die Ukraine darauf eingehen?

Das meint Putin nicht ernst. Es ist eine Falle - er will die Pause nutzen, um sich neu zu gruppieren.

Was muss passieren, damit Putin wirklich an den Verhandlungstisch tritt?

Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld entschieden - nicht am Verhandlungstisch. Solange sich russische Soldaten auf ukrainischem Boden befinden, wird es immer einen Konflikt geben. Die Ukrainer werden es nie akzeptieren, einen Teil ihres Landes an die Russen zu verlieren. Doch der Widerstand ist ein riesiger Kraftakt. Jeden Tag schlagen im ganzen Land über 100 russische Raketen und Drohnen ein, essenzielle Infrastruktur wird zerstört. Wir stehen vor einer humanitären Katastrophe.

Der Westen scheint allerdings weniger geeint als zu Kriegsbeginn. Lässt sich die Katastrophe überhaupt verhindern?

Wir müssen unsere Strategie anpassen. Putin hat den Krieg am 10. Oktober mit seinem Raketen- und Drohnenangriff auf Kiew weiter eskalieren lassen. Der Westen hat darauf nicht entsprechend reagiert. Jetzt ist es unsere Pflicht, den Ukrainern das stärkstmögliche Blatt in die Hand zu geben, damit sie selber entscheiden können, wann sie zu Friedensgesprächen bereit sind. Das bedeutet: Wir müssen ihnen die nötige Ausrüstung liefern. Die USA und Europa sollten alle Restriktionen in Sachen Waffenlieferungen aufheben. Um das zu erreichen, führe ich derzeit Gespräche in Washington.

Das dürfte schwierig werden. Prominente Republikaner haben angekündigt, die Hilfe der USA zurückzufahren.

Davon spüre ich in meinen Unterredungen glücklicherweise nichts. Ich habe einige hochrangige Republikaner getroffen, die mir ihre Unterstützung zugesichert haben. Ihnen geht es darum, eine bessere Übersicht über das Kriegsmaterial zu erlangen, sie stellen die Waffenlieferung nicht grundsätzlich in Frage.

Dennoch ist im Westen eine Kriegsmüdigkeit erkennbar. Auch in der Schweiz ist der Support laut einer neuen Umfrage deutlich zurückgegangen.

Wir sind alle kriegsmüde, das stelle ich nicht in Abrede. Gerade deswegen müssen wir jetzt alles tun, um den Konflikt schnell zu beenden. Das geht nur mit Waffen. Die Ukraine benötigt Munition, Flugabwehrraketen, Langstreckenraketen und schwere Panzer.

Die Schweiz will damit nichts zu tun haben. Der Bundesrat erlaubt Deutschland nicht, Schweizer Munition für die Gepard-Panzer an die Ukraine zu liefern.

Die Schweiz hat mich unglaublich überrascht - aber nicht im Guten. Ich kann die Entscheidung der Regierung nicht nachvollziehen. Wir befinden uns in einem existenziellen Kampf zwischen Demokratie und Autokratie - da kann kein Land der Welt neutral bleiben. Das ergibt doch keinen Sinn! Die Schweiz ist eine gestandene Demokratie. Wenn unsere Werte von einem Autokraten angegriffen werden, egal ob von Putin oder von Xi Jingping, kann man sich doch nicht rausnehmen. Ich war im Juni zu Gast in Zürich und hatte das Gefühl, dass viele Schweizer klar auf der Seite der Ukraine stehen. Zudem hat sich die Regierung den Sanktionen der EU angeschlossen. Aber Munition? Das ist ein Tabu.

Sie reden sich in Rage.

Ich kann einfach nicht verstehen, dass die Schweiz, anstatt die dringend benötige Munition zu liefern, den Deutschen Steine in den Weg legt. Dieser Entscheid wird der Schweiz wirtschaftlich mit Sicherheit noch schaden. Nato-Mitglieder werden sich künftig zweimal überlegen, die Produktion von Munition oder anderem Kriegsmaterial an die Schweiz auszulagern.

Jetzt fordern Sie Waffen und Härte, doch die Annexion der Krim erfolgte 2014 in Ihrem letzten Jahr als Nato-Generalsekretär. Hätten Sie nicht damals bereits reagieren müssen?

Wie Sie wissen, gehöre ich zum Lager der Falken (Hardliner, die nachdrücklich für militärische Optionen plädieren; Anm. d. Red.). Sie können also davon ausgehen, dass ich eine härtere Gangart gegenüber Putin einschlagen wollte. Aber das ist nicht immer möglich, weil es auch andere Strömungen gab. Hätten wir gewusst, wie brutal Putin ist und dass er sich im Jahr 2022 mit Peter dem Grossen vergleicht, hätten wir sicher anders gehandelt.

Sie haben Putin mehrfach getroffen, wie schätzen Sie ihn ein?

Putin ist ein Mann, der rationale Entscheidungen trifft. Er kennt seine Dossiers und ist gut vorbereitet. Sein grosses Problem war, dass er vor der Invasion falsche Informationen von seinem Geheimdienst erhalten und deshalb die katastrophale Entscheidung zum Krieg getroffen hat. Und wir haben den Fehler begangen, ihn in der Vergangenheit nicht ernst genommen zu haben. Wissen Sie, was mir Putin hinter verschlossener Türe sagte? Am Nato-Gipfel 2008 sprach er im kleinen Kreis bereits davon, dass die Ukraine für ihn kein unabhängiger Staat sei und er die Krim als Teil Russlands sehe. Hätten wir ihn damals ernst genommen, wäre es vielleicht nicht zu diesem Krieg gekommen.

epa04385318 (L-R) NATO Secretary General Anders Fogh Rasmussen, British Prime Minister David Cameron and US President Barack Obama watch a military fly past during the NATO Summit 2014 at the Celtic M ...
Traf alle grossen Regierungschefs: Fogh Rasmussen, hier 2014, bei einer Luftparade der Streitkräfte mit dem ehemaligen britischen Premier David Cameron und dem früheren US-Präsident Barack Obama.Bild: EPA/EPA

Mittlerweile droht Putin offen mit der Atombombe und sagt, das sei «kein Bluff». Was halten Sie davon?

Das ist reine Strategie, wir haben hier kein «Mad-Man-Szenario». Er hofft, dass sich der Westen durch die nukleare Erpressung einschüchtern lässt und die Waffenlieferungen in die Ukraine stoppt. Aber das darf nicht passieren. Wer solchen Drohungen nachgibt, ist verdammt dazu, unter einem Despoten zu leben. Putin wird keine Atombombe zünden und selbst wenn ich mich irren sollte, würde ihn das russische Militär entfernen, bevor er handeln könnte. Die Generäle wissen, wenn Russland taktische Nuklearwaffen in der Ukraine einsetzt, wird die Antwort der Amerikaner und der Nato so gewaltig sein, dass das russische Militär mehr oder weniger komplett zerstört werden würde.

Halten Sie eine Generalmobilmachung Putins für wahrscheinlich?

Nein, bereits die Teilmobilisierung hat die Opposition im Land gestärkt. Wenn er noch mehr Menschen an die Front schickt, könnte es zu einem Aufstand kommen.

Gibt es für Putin überhaupt noch einen Weg zurück? Was, wenn Russland den Krieg tatsächlich verliert?

Was mit ihm persönlich passiert, weiss ich nicht. Ich bin aber überzeugt, dass wir in naher Zukunft keine Chance auf ein besseres Verhältnis mit Russland haben. Wer gibt uns die Garantie, dass ein Nachfolger nicht noch schlimmer ist als Putin? Russland hat gezeigt, dass man sich auf Abmachungen, egal ob politische und wirtschaftliche, nicht verlassen kann. Die Lage wird noch lange angespannt bleiben. Die Ukraine können wir nur schützen, indem wir ihnen helfen, eine Armee aufzubauen, die jede russische Aggression abwehren kann.

Präsident Selenski will aber mehr, er strebt einen Beitritt in die Nato an.

Das muss auch das Ziel bleiben. In der Zwischenzeit müssen wir aber für die Sicherheit der Ukraine sorgen. Das ist auch im Interesse des Westens. Die Ukrainer sind das Bollwerk gegen ein aggressives Russland.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Raketeneinschlag in Polen vor zwei Wochen hörten? Wäre es tatsächlich eine russische Rakete gewesen, hätte womöglich der Nato-Bündnisfall gegriffen und weitere Länder in den Krieg hineingezogen.

Ich war zu Hause und habe meine Mitarbeiter sofort gesagt, dass wir abwarten müssen, und nicht in Hektik verfallen dürfen. Das Pentagon hat schnell mitgeteilt, dass es sich nicht um eine russische Rakete handelt. Es war wichtig, ruhig zu bleiben.

Wären wir am Rande eines 3. Weltkriegs gestanden, wenn es tatsächlich eine russische Rakete gewesen wäre?

Wissen Sie, ich gehe nicht durchs Leben und mache mir Sorgen, dass der 3. Weltkrieg ausbrechen könnte. Das glaube ich nicht. Aber wir müssen jetzt aus der Vergangenheit lernen. Der Westen muss zusammenstehen - und stark gegen jeden Angriff stehen, der die demokratischen Werte bedroht. Sonst stürzt die Welt in Dunkelheit.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Geschichte der Nato
1 / 25
Die Geschichte der Nato
1949: In Washington wird am 4. April der Nordatlantikvertrag unterzeichnet. Das Bündnis hat anfangs zwölf Mitglieder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA.
quelle: epa/u.s. national archives / u.s. national archives and records administration / handout
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
42 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
So oder so
03.12.2022 15:19registriert Januar 2020
Der Mann hat Absolut Recht.
Wer jetzt Verhandlungen fordert ist ein/wird ein Putin Knecht. Und unter einem Totalitären Regime wie in Russland möchte kein Mensch Leben. Das ist der Tot jeglicher Freiheit.
14715
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schaade
03.12.2022 17:24registriert November 2020
Herr Rasmussen, sie wollten doch sagen: "die Schweiz hat mich unglaublich enttäuscht". Das bin ich als Schweizer auch. Gewisse Kreise in der Schweiz biegen sich die Neutralität je nach Situation und Interessen zurecht. Einerseits "findet" man in der Schweiz kaum Russische Gelder, dabei müssten es dutzende wenn nicht hunderte Milliarden sein und andererseits fliessen täglich Millionen aus dem Rohstoffhandel über Schweizer Firmen.
Es ist wie im 2.WK, die Schweiz hat nichts gelernt.
Auch Waffen und Munition für die Flugabwehr an die Ukraine zu liefern wäre humanitäre Pflicht.
13018
Melden
Zum Kommentar
avatar
PhilippS
03.12.2022 16:31registriert September 2016
Ich bin überzeugt, dass es einer neutralen Schweiz langfristig besser geht.

Aber: Neutralität sollte nicht die Ausrede für eine Vogel-Strauss- oder mein-Name-ist-Hase-Haltung sein. Nur habe ich das Gefühl, dass der Bundesrat betreffend Weitergabe von Munition genau dass tut.

Wir produzieren und verkaufen Munition. Aber sie darf nicht von einem befreundeten demokratischen Rechtsstaat an einen anderen befreundeten Staat für dessen (und unsere?) Verteidigung vor der Haustüre verwendet werden?

Wenn dass die Logik unserer Waffenproduktion ist, schliessen wir diese besser gleich.
514
Melden
Zum Kommentar
42
Fotograf in Paris wegen Missbrauchs von 17 Frauen vor Gericht

Vor einem Gericht in Paris hat am Montag der Prozess gegen einen 38 Jahre alten Fotografen begonnen, der 17 Frauen bei Fotoshootings sexuell missbraucht haben soll. Für die ihm angelasteten Taten soll der Mann sich laut Anklage auf Kontaktplattformen als Modefotograf auf der Suche nach Modellen ausgegeben haben. Nach immer gleichem Schema soll er die Frauen 2015 und 2016 in sein Fotostudio gelockt und dort mit Alkohol oder K.-o.-Tropfen in einen wehrlosen Zustand versetzt haben. Dann solle er sie zu freizügigen Fotos gedrängt und die Frauen schliesslich brutal missbraucht haben, berichteten die Zeitung «Libération» und der Sender BFMTV unter Verweis auf die Ermittler.

Zur Story