Mutter sagt vor Gericht: Sie habe nicht gewusst, dass ihr Sohn IS-Kämpfer ist
50'000 Franken. So viel Geld war es am Ende, das ein Schweizer Ehepaar zwischen 2016 und 2019 ihrem Sohn D. zukommen liess. Deshalb stehen sie am Montag vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona.
Die Anklage: Verstoss gegen den Artikel 2 des Bundesgesetzes. Dieses verbietet die Gruppierungen Al-Qaida und Islamischer Staat und stellt deren Unterstützung unter Strafe.
Sohn ist seit 2019 in Syrien im Gefängnis
Der junge Schweizer konvertierte zum Islam und ist Anhänger der salafistisch-dschihadistischen Ideologie. Er verliess die Schweiz im April 2015, um sich der Terrormiliz Islamistischer Staat (IS) in Syrien anzuschliessen, wo er eine militärische und religiöse Ausbildung absolvierte.
In Syrien heiratete er eine ebenfalls radikalisierte Französin, wie aus der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft hervorgeht. Der junge Mann wurde im Juni 2019 von kurdischen Kräften gefangen genommen. Er ist Gegenstand eines separaten Verfahrens, das die Bundesanwaltschaft eröffnet hat.
Sie wirft den im Kanton Genf wohnhaften Eltern vor, auf Wunsch ihres Sohnes zwischen September 2016 und Mai 2019 insgesamt rund 50'000 Franken an ihn überwiesen zu haben. Das Geld soll dem Betroffenen, dessen Frau, einem Freund und dem IS zugutegekommen sein.
Mit Check und Mittelsmännern
Die Zahlungen betrugen zwischen ein paar Dutzend bis zu einigen Tausend Franken. Sie erfolgten in einigen Fällen über Western Union. Die Eltern nutzten aber auch Ticket Premium, ein anonymes Checksystem, mit dem man online anonym und ohne Bankkonto Zahlungen tätigen kann.
Bei einigen grösseren Beträgen wurde das Geld von einem Mittelsmann an den nächsten weitergegeben. So soll die Mutter des Kämpfers im Mai 2019 40'000 Franken an zwei eigens aus Berlin angereiste Personen übergeben haben, wie die Bundesanwaltschaft schreibt. Davon stammten 20'000 Franken aus dem Rückkauf einer Lebensversicherung der Angeklagten.
Die Staatsanwaltschaft wird ihre Anträge während in der Hauptverhandlung bekannt geben. Der Prozess dauert voraussichtlich ein bis zwei Tage.
Vater erscheint nicht vor Gericht
Vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona ist am Montag nur die Mutter, eine katholische, spanisch-schweizerische Doppelbürgerin, erschienen. Der Prozess ist in Abwesenheit des Vaters eröffnet worden. Er ist aus gesundheitlichen Gründen nicht erschienen. Das Gericht muss nun über den weiteren Verlauf entscheiden.
Der Anwalt des Vaters beantragte aufgrund des Gesundheitszustands seines Mandanten eine vollständige Befreiung vom Erscheinen vor Gericht. Der 70-jährige Schweizer war bereits vor der Radikalisierung seines Sohnes invalide. Er soll laut seinen Ärzten wegen des Erlebten insbesondere an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leiden. Durch das Verfahren sei er weiter schwer traumatisiert worden.
Der Vorsitzende der Strafkammer wies darauf hin, dass das persönliche Erscheinen die Regel sei, weshalb Anträge auf Befreiung bislang abgelehnt worden sein. Die Richter zogen sich zurück, um den Antrag auf Dispensation und die möglichen Optionen zu diskutieren: Vertagung des Verfahrens, Urteil in Abwesenheit, Abtrennung der Sache oder Erscheinen per Videokonferenz.
Die Strafkammer entschieden: Die Mutter wird heute befragt, der Vater innerhalb von zehn Tagen nochmals vorgeladen.
Mutter sieht in ihrem Sohn das Opfer
Die Mutter, eine kleine, zierliche 60-Jährige, hat keine Ausbildung absolviert und im Hotelgewerbe gearbeitet. Seit einem Unfall erhält sie eine volle Invaliden-Rente. Ihr Verhältnis zu ihren drei Söhnen, einschliesslich des nach Syrien ausgereisten, sei «ausgezeichnet», sagte sie vor Gericht.
Im Jahr 2015 soll ihr Sohn erklärt haben, er wolle in den Urlaub fahren und sei «eingeladen». Seine Mutter hatte gemäss ihren Ausführungen keine Veränderung in seinem Verhalten festgestellt, ausser dass er kein Schweinefleisch mehr ass und in die Moschee ging. Sie sagte, bis dahin nichts über den IS oder Syrien gewusst zu haben, «ausser, dass es dort Krieg gibt».
Sie und ihr Sohn telefonierten zunächst täglich, dann immer seltener. Er habe gesagt, dass er nach Hause wolle, geheiratet habe und dass er und seine Frau eine kleine Tochter hätte.
Der Vorsitzende legte daraufhin Abschriften von Mitteilungen vor, in denen der Sohn davon spricht, sich in der Schweiz in die Luft zu sprengen. Er zeigte auch Fotos, auf denen der Sohn bewaffnet als IS-Kämpfer posiert. Die Angeklagte meinte dazu, dass ihr Sohn dazu gezwungen worden sei: «Vielleicht wurde er bedroht.»
Auf die Zahlungen von total mehr als 50'000 Franken zwischen 2016 und 2019 angesprochen, beharrte die Mutter darauf, dass sie ihren Sohn habe unterstützen wollen, nicht Syrien oder den Krieg. «Ich wollte, dass er gehen kann, mit seiner Frau und dem Baby.»
Kuriere hätten das Geld abgeholt und ihr Sohn habe den Erhalt bestätigt. Die letzten, sehr hohen Zahlungen sollten dazu dienen, ihn und seine Familie freizulassen.
Und was ist mit dem Bild von ihrem Sohn, das ihn eindeutig mit einer Waffe zeigt? Das sei gefälscht, beharrte die Mutter. Ihr Sohn könne nichts Böses tun. Er sei sanftmütig. Sie könne niemals anerkennen, dass er ein Terrorist sei. Er sei gegen seinen Willen nach Syrien gegangen. «Sie müssen ihm gedroht haben, mir etwas anzutun.» Die Angeklagte kam zum Schluss, dass ihr Sohn ohne ihr Geld getötet worden wäre.
Gericht befragt Geldübermittlerin
Am Nachmittag befragte das Gericht eine Zeugin. Genauer: Eine Frau, die im Mai 2017 einen Briefumschlag mit 3000 Franken ausgehändigt erhielt. Die Zeugin bestätigte dem Gericht, dass ihr das angeklagte Ehepaar den Umschlag am Bahnhof von Payerne VD übergeben hatte.
Sie selbst habe mitgemacht, um jemandem behilflich zu sein und ohne zu wissen, worum es eigentlich ging. Die Frau wollte jedoch nicht sagen, wem sie damit einen Dienst erwies. Sie sagte, sie habe Angst um sich und ihre Familie.
Die Strafkammer muss nun klären, ob der Vater, der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden soll, zur Anhörung vorgeladen werden kann. Danach kann das Verfahren gegen beide Elternteile fortgesetzt werden. Gegen den Sohn, der sich noch im Ausland aufhält, wird ebenfalls ein Verfahren eröffnet.
Für alle Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. (sda/ aye)
