Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg der Söldner. Wenn Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin seit Monaten den Grossteil der medialen Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird etwas leicht übersehen: In seinem Schatten treibt eine Vielzahl anderer, in der Regel genauso brutaler Privat-Kampfgruppen ihr Unwesen.
Vor zehn Tagen proklamierte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu ein Dekret, wonach sämtliche Söldnereinheiten einen neuen Vertrag zu unterschreiben hätten, der diese dem Verteidigungsministerium unterstellt - ein verzweifelt später Versuch, dem Wildwuchs Herr zu werden und die einheitliche Kommandostruktur wiederzuerlangen.
Laut ukrainischen Medienberichten kämpfen von den 37 existierenden rund 25 bis 30 sogenannter PMC (Private Military Companies) auf russischer Seite in den besetzten Gebieten. Die Gesamtzahl der dort eingesetzten Söldner dürfte sich in der Grössenordnung von 50'000 Mann bewegen. Und ihre Anzahl wächst. Dafür gibt es drei Gründe.
Erstens ist es ein lukratives Geschäft: Bereits im Jahr vor dem russischen Überfall wurde Prigoschins Jahresgewinn auf 250 Millionen Dollar geschätzt. Die enormen menschlichen Verluste in der Ukraine und der verzweifelte Bedarf nach zusätzlichen Soldaten haben den Wert des einzelnen Söldners um ein Mehrfaches erhöht. Ein erfahrener Wagner-Söldner kann auf ein Monatseinkommen von 3500 US-Dollar plus Kampfzulagen hoffen.
Zweitens können Söldner-Anbieter die Gunst von Kreml-Diktator Putin erwarten, da sie ihm die Weiterführung seines Kriegs ohne eine unpopuläre Generalmobilmachung erlauben: Prigoschins zahlreiche Provokationen und Beschimpfungen der russischen Militärspitze zeugen von einer Art von Unantastbarkeit, die sich der einst als Emporkömmling belächelte Wagner-Chef inzwischen gesichert hat.
Drittens geht es um die politische und gesellschaftliche Stellung im Nachkriegsrussland. Laut der US-Professorin und Buchautorin Margarita Balmaceda müssen die Söldnereinheiten im Kontext des internen Machtkampfs in Russland verstanden werden: «Alles dreht sich um das Ringen nach mehr Einfluss sowie nach Gefälligkeiten und Gunst, die Putin als Gegenleistung geben kann», sagte Balmaceda jüngst im «Time»-Magazin. «Und um die Zeit nach Putin.»
Aufgrund von Geheimdienstberichten, Medienveröffentlichungen und Einträgen in sozialen Netzwerken lassen sich derzeit folgende Hauptdarsteller im Wust der russischen Söldnereinheiten identifizieren.
Der staatliche russische Energiegigant ist einer der jüngsten Player auf dem russischen Söldnermarkt. Anfang Februar sorgte eine Medienmitteilung des ukrainischen Geheimdienstes für Aufsehen, wonach die russische Regierung der Tochterfirma Gazpromneft die Erlaubnis erteilt hätte, eine private Sicherheitstruppe aufzustellen.
Im Gegensatz zu eigentlichen Söldnerfirmen erlaubt das russische Gesetz die Aufstellung privater Sicherheitsfirmen zum Schutz von Energieinfrastruktur. Gazprom betont seinerseits, seine Bewaffneten nur für solche «legalen» Überwachungsaufgaben abzukommandieren.
Recherchen der britischen BBC besagen etwas anderes: In der Ukraine gibt es inzwischen mindestens zwei Söldnereinheiten, die direkt dem Gazprom-Konzern zugerechnet werden können. Sie tragen die Namen Bataillon «Potok» (Strom) und «Fakel» (Fackel). In einem Interview auf Telegram benannte Wagner-Chef Prigoschin als Erster die Konkurrenz namentlich und bestätigte die Verbindungen zu Gazprom.
Unzufriedene Potok-Söldner beklagten sich Anfang April in einem Video über unzureichenden Nachschub und die Unterstellung unter die PMC Redut, anstatt Verträge des Verteidigungsministeriums zu erhalten. Prigoschin warf ihnen im Mai auf Telegram vor, von Wagner eroberte Stellungen bei Bachmut den Ukrainern wieder preisgegeben zu haben und einfach davongerannt zu sein.
Das etwa 100 Söldner starke Fackel-Bataillon (das zahlenmässig eher eine Kompanie ist) soll bei Wuhledar gekämpft haben.
Manche Analysten zählen auch «Redut» (Festung) zum Gazprom-Konzern. Ihre Vorgeschichte besagt etwas anderes, obschon auch sie zweifellos dem russischen Energiesektor entspringt, und Verbindungen zu Gazprom bestehen. So soll die Redut-Söldnertruppe schon vor über einem Jahrzehnt vom Oligarchen Gennadi Timoschenko und dem zu seiner Wolga-Gruppe gehörenden Strojtransgaz-Unternehmen übernommen worden sein.
Nach Einsätzen in Syrien ab 2014 zur Bewachung von Strojtransgaz-Anlagen gehörte Redut zu den ersten in der Ukraine kämpfenden russischen Söldnereinheiten nach der Invasion im Februar 2022.
In Russland fiel Redut in den vergangenen Monaten durch intensive Werbeaktionen in den sozialen Netzwerken auf, wo Männern mit militärischer Erfahrung zwischen 25 und 45 Jahren mindestens 2540 Franken im Monat in Aussicht gestellt wurden.
Unter den vielen Söldnereinheiten dürfte «Patriot» eine Sonderstellung einnehmen. Sie wird direkt dem russischen Verteidigungsministerium und Sergej Schoigu zugerechnet. Laut Informationen des US-Thinktanks Jamestown Foundation bestehen ihre Reihen vorwiegend aus gut ausgebildeten Ex-Militärs und GRU-Geheimdienstleuten. Dies würde auch die fürstlichen Monatsgehälter von bis zu 15'000 US-Dollar erklären würde, wegen derer sie von Wagner beneidet und angefeindet wird.
Die «Kiew Post» schrieb jüngst von sieben Ländern, in denen PMC Patriot tätig ist, darunter die Zentralafrikanische Republik und seit 2018 Syrien. Obwohl auf den ersten Blick widersinnig, dass das Verteidigungsministerium selbst zum Söldner-Wildwuchs beiträgt, ergibt dies letztlich doch Sinn: So hat Generalstabschef Schoigu ein Privattruppe für schmutzige Aufgaben zur Hand, deren Verluste erst noch nicht in den offiziellen Statistiken auftauchen.
Ein besonders schlechter Ruf, selbst für russische Verhältnisse, eilt der einst vom Nationalisten Igor Manguschew gegründeten E.N.O.T.-Söldnertruppe voraus. Die Abkürzung steht ungefähr für «Vereinigte nationale Volksgenossenschaft». Manguschew erregte vergangenes Jahr mit einem Video Abscheu, in dem er tanzend den Schädel eines angeblich ukrainischen Asowstal-Kämpfers hochhielt.
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— Seveer of the 95th rifles 🇺🇦🇬🇧 (@Seveerity) February 4, 2023
Some may remember this video of the russian commissar Igor Mangushev who spoke in Mariupol with what he alleged was the skull of an Azovstal defender. Well, pictures have appeared that show him in hospital with a serious head injury. pic.twitter.com/VPqERcyNnD
Anfang Februar wurde Manguschews Tod im Spital nach einem Kopfschuss bestätigt. Seine Frau behauptete, er sei von der russischen Armee in Frontnähe exekutiert worden. Bereits in früheren Jahren soll E.N.O.T. aus Serbien wegen radikaler Umtriebe herausgeworfen worden sein, und die russische Justiz führte mehrere Strafverfahren gegen einzelne Mitglieder.
Zu den Einsatzgebieten dieser Gruppe vor dem Krieg in der Ukraine zählten ebenfalls der Donbass, Syrien und Bergkarabach.
Obschon die angeblich 10'000 Mann starke «Achmat»-Brigade des Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow offiziell zur russischen Nationalgarde zählt, waren ihre Kommandanten die Ersten, die Schoigus Unterstellungsdekret unter das Verteidigungsministerium unterzeichneten - einer der vielen Widersprüche auf russischer Seite.
"Akhmat", Kadyrov's special unit, signed a contract with Russian ministry of defense, as Shoigu's new order requires.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) June 12, 2023
During the weekend, Yevgeniy Prigozhin, curator of Wagner PMC, refused to sign a similar contract for Wagner.
Kadyrov has been criticizing Prigozhin harshly… pic.twitter.com/d6aG1zccZV
Zusätzliche Verwirrung stiftete Kadyrow jüngst mit seiner Aussage, er wolle wie Prigoschin eine eigene echte PMC gründen. Diese werde weltweit für die Befreiung unterdrückter Völker kämpfen.
Für den Wagner-Chef Prigoschin sind Kadyrows Tschetschenen blosse «Tik-Tok-Kämpfer», da sie nur dazu zu gebrauchen seien, sich in den sozialen Netzwerken aufzuspielen. Vor wenigen Tagen sind Achmat-Kämpfer in der Raum Belgorod zur Grenzsicherung vor Partisanenüberfällen verlegt worden.
Neben den bereits genannten finden weitere russische PMC in den ukrainischen Medien und auf Telegram regelmässig Erwähnung. Die Don-Brigade und das Donbass-Freiwilligenkorps sollen aus den Reihen der Kosakenorganisationen stammen.
Zwei alteingesessene Söldner-Einheiten mit viel Auslanderfahrung sind das Slawonische Korps und die Moran-Sicherheitsgruppe. Der Rechtsradikale und Ex-Militärgeheimdienstler Dmitri Utkin soll in beiden gedient haben, ehe er später die Wagner-Gruppe gründete. (aargauerzeitung.ch)
Jeder der genügenden Männer unter Waffen hat, wird dann seine Ansprüche anmelden.
Armes Mütterchen Russland.