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Interview

«Wagner erlaubt es den Russen, alle möglichen Schandtaten zu begehen»

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Jewgeni Prigoschin mit Wagner-Soldaten nach der Einnahme Bachmuts.Bild: keystone
Interview

«Wagner-Armee erlaubt es den Russen, alle möglichen Schandtaten zu begehen»

Die russische Söldnergruppe Wagner ist heute ein Machtfaktor im Krieg in der Ukraine. Der französische Privatarmee-Experte Peer de Jong erklärt, wie es dazu kommen konnte.
20.06.2023, 05:4820.06.2023, 05:48
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Wagner, einst eine dubiose russische Söldnerarmee, ist ein Machtfaktor im Krieg in der Ukraine geworden. Wie ist es dazu gekommen?
Peer de Jong: Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin verfügt nicht zuletzt wegen seiner lukrativen Aktivitäten in Afrika über gewaltige Geldmittel. Er war in der Lage, in wenigen Monaten Tausende von Männern zu rekrutieren und damit im umkämpften Bachmut in der Ostukraine einen Umschwung herbeizuführen. Die reguläre russische Armee war in Bachmut in der Defensive. Um die Initiative zurückzugewinnen, schlug Prigoschin vor, eigene Truppen ins Feld zu schicken. Das Unterfangen ist gelungen.​

Was in Moskau aber nicht nur wohlwollend aufgenommen wurde.
Prigoschin spricht und kommuniziert pausenlos, er kritisiert die Armee, den Kreml, auch die Armee. Auch kommt er in der öffentlichen Meinung in Russland gut an. Das sehen nicht alle gerne, auch im Kreml nicht.​

Auch Putin nicht?
Putin ist natürlich froh über den Erfolg Wagners, aber er stört sich an Prigoschins Kritik. Würde der Wagner-Chef den Mund halten, hätte ihn Putin wohl an der Front zur Ukraine weitermachen lassen. Auch muss man sich fragen, ob Prigoschin ein politisches Projekt verfolgt und bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2024 in Russland antreten will. Seine Pläne hängen sicher vom Fortschritt der ukrainischen Gegenoffensive ab. Gelingt es Verteidigungsminister Sergej Schoigu, sie zum Stoppen zu bringen, stärkt er seine Stellung. Wenn nicht, könnte ihm Prigoschin den Rang ablaufen.​

Zur Person
Peer de Jong war Oberst der französischen Marine und Adjutant der französischen Präsidenten François Mitterrand und Jacques Chirac. Zuletzt erschien von ihm (auf Französisch) das Buch «Zwischen den Linien» über das Phänomen privater Militärfirmen wie Wagner, Blackwater oder Mozart.

Wie muss man sich die Wagner-Truppen vorstellen? Als eine Bande von Kriminellen, die Prigoschin teils direkt in Gefängnissen anwarb?
Es wäre sicher ein Fehler, Wagner als einen blossen Verbund von 40'000 Barbaren zu sehen, auch wenn in seinen Reihen Rohlinge und gar Mörder kämpfen. Hingegen wirkt diese Privatarmee – wie die reguläre russische Armee – schlecht organisiert und kommandiert. Es fehlt an Berufsmilitärs. Das schafft eine Menge Führungs- und Logistikprobleme. Und es ist bekannt: Wenn eine Armee mit solchen Problemen kämpft, nimmt rasch die Gewalt überhand. Diese Gewalt ist auch im russischen Militär verbreitet – die Kriegsverbrechen in Butscha waren schliesslich kein Werk Wagners, sondern russischer Armeeeinheiten.

Experten sprechen bereits von einer «Wagnerisierung» des Krieges.
Das halte ich für übertrieben. Wagner ist nicht übertragbar auf andere Länder. Prigoschin fabrizierte mit seinen Milliarden ein sehr eigenes Modell. Es ist zudem sehr russisch, kann nur in Russland funktionieren.​

Wagner exportiert sich aber auch, vor allem nach Afrika. Mit Erfolg?
In Mali unterstützen Wagner-Söldner die reguläre malische Armee. Sie haben nicht mehr oder weniger Erfolg als die französische Armee, die von der Junta aus dem Land geworfen wurde. Die Dschihadisten halten sich weiter in der Wüste, auch wenn es ihnen bisher nicht gelungen ist, die Hauptstadt Bamako zu erobern.

In this handout image taken from a video released by Prigozhin Press Service on Friday, May 12, 2023, head of Wagner Group Yevgeny Prigozhin makes a video statement from an unknown location. In a vide ...
Kontroverse Figur: Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin.Bild: keystone

Und wie schlägt sich die Wagner-Gruppe im übrigen Afrika?
Ihr Einfluss geht von Mali über die Zentralafrikanische Republik und Libyen bis nach Mozambik, neuerdings sogar in die Demokratische Republik Kongo. Prigoschin beschützt die Machthaber und füllt sich die Taschen mit Rohstoffgewinnen. Er spielt Putins Afrika-Diplomatie in die Hände, auch wenn er sich als Privatfirma gibt. Wagner ist auch in Afrika ein Auswuchs des russischen Staates. Wenn Putin Prigoschin schalten lässt, dann auch aus diesem Grund. Putin bereitet zwei wichtige Gipfeltreffen vor – im Juli mit den Afrikanern, im August mit den Schwellenstaaten in Südafrika. Und Wagner ist dabei ein Werkzeug für die russische Diplomatie. Diese Privatarmee erlaubt es den Russen, alle möglichen Schandtaten zu begehen, sich aber die Hände reinzuwaschen und zu sagen: «Wagner ist ein Privatunternehmen und hat nichts mit dem russischen Staat zu tun.»

Wie entstand der Trend zu diesen «privaten Militärfirmen», auf Englisch «Private Military Companies» (PMC) genannt, die Sie in Ihrem Buch beschreiben?
Nach dem Fall der Berliner Mauer gingen die westlichen Verteidigungsetats zurück. In der Bush-Administration begannen Dick Cheney und Donald Rumsfeld, gewisse Armeetätigkeiten aus Kostengründen auszulagern. Nicht die Kriegsführung selbst, aber logistische und Sicherheitsaufgaben.​

Beteiligte sich denn die einst wichtigste Unternehmung Blackwater im Irak oder Afghanistan nicht an Kampfhandlungen?
Nicht direkt. Blackwater hat sich allerdings in der Zwischenzeit selber erledigt. Das Unternehmen wurde schon 2018 weiterverkauft!​

Und «Mozart», von einem Amerikaner in Abgrenzung zu «Wagner» gegründet, nachdem der Krieg in der Ukraine begonnen hatte?
Mozart galt als «smarte» Militärfirma, die aus freiwilligen Westkämpfern bestand und auch bei Evakuierungen und dergleichen mithelfen wollte. Zu Beginn dieses Jahres musste sie aber aus finanziellen und operationellen Gründen den Betrieb einstellen. Vielleicht auch, weil die Amerikaner nicht wollen, dass irgendwelche Amerikaner in die Kämpfe verstrickt würden.​

«Mozart» war also ein Sonderfall?
Ja. Daneben gibt es in den USA aber noch Hunderte von Sicherheitsfirmen. Die grössten vier, darunter Caci, setzen Milliarden um.​

Wo sind diese Firmen ausserhalb der USA aktiv?
In allen grösseren Ländern, vor allem in den USA, Grossbritannien oder Australien, aber auch in China oder Frankreich, dazu in Schwellenstaaten wie der Türkei ...​

.. .und natürlich in Russland?
Ja, Putin begann ab 2013, das US-Modell zu kopieren. Er schlug dem russischen Parlament sogar vor, den Aufbau privater Söldnerarmeen zuzulassen, doch die Duma lehnte 2018 ab. Deshalb segelt Wagner unter dem Etikett einer privaten Sicherheits- und Ausbildungsfirma. Das ist umso absurder, als Wagner in Afrika vollständig unter der Kontrolle des russischen Geheimdienstes steht. In Wahrheit geht Putin dort noch weiter als die Amerikaner, die private Militärfirmen wie gesagt von den Kampfhandlungen ausschliessen. Wagner mischt voll mit - aber wenn das dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow in Afrika vorgehalten wird, sagt er, sein Land habe nichts mit Wagner zu tun.​

Der Machtzuwachs der Söldnerfirmen ist keine gute Nachricht für die Politiker im Land.
Zumal aus diesen Firmen schnell einmal Milizen werden können und aus den Lokalpotentaten Kriegsherren. Auch Verteidigungsminister Schoigu hat eine kleine Miliz namens «Patriot» gegründet. Ihre Grösse steht in keinem Verhältnis zu Wagner. Aber sie ist ausbaubar. Und mit dem schwindenden Vertrauen in den Staat dürfte es immer häufiger vorkommen, dass einzelne Regenten oder ihre Familien eine persönliche Schutztruppe aufbauen.

Wie steht Putin dazu?
Putin sucht die Rolle dieser Firmen, Milizen oder Spezialeinheiten einzuschränken, um zu verhindern, dass sie ihm gefährlich werden könnten. Vermutlich hat er in Belgorod aus diesem Grund nicht Wagner eingesetzt, sondern Tschetschenen, die über ihren Chef Ramsam Kadyrow zu ihm halten. (aargauerzeitung.ch)​

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Linus Luchs
20.06.2023 06:09registriert Juli 2014
Putin, Prigoschin, Kadyrow, Schoigu ... - alle sind sie Kriegsverbrecher. Auch wenn Russland das Gericht in Den Haag nicht anerkennt, sie sind für grausame Taten inklusive Genozid verantwortlich und gehören angeklagt.
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Walter Sahli
20.06.2023 06:43registriert März 2014
Sollte Prigoschin zur Präsidentschaftswahl antreten, wird ihn Putin wegen Kriegsverbrechen verhaften lassen, wetten?
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