Butscha, Irpin, Hostomel: Diese Orte waren noch vor wenigen Tagen von russischen Einheiten besetzt. Es sind Orte, die sich eingebrannt haben in das kollektive Gedächtnis. Die Bilder aus Butscha sind um die Welt gegangen. Aber laut ukrainischen Angaben könnte das, was sich derzeit in dem Vorort Kiews offenbart, nur die Spitze des Eisberges sein. Staatsanwaltschaft und auch Präsident Wolodimir Selenski nannten in diesem Zusammenhang zuletzt nun einen Ort: Borodjanka.
Im ukrainischen Fernsehen sprach Staatsanwältin Iryna Venediktova davon, dass es «die schlimmste Lage mit zivilen Opfern» vermutlich in Borodjanka gebe. Mehr sagte sie nicht. Und mehr wollte sie auch auf direkte Nachfrage dazu nicht bekannt geben. Tags zuvor hatte Präsident Selenski bei einem ersten Besuch in Butscha gesagt, die ukrainischen Behörden hätten Informationen darüber, dass die Zahl der Opfer in Borodjanka und anderen befreiten Städten um ein Vielfaches höher sei.
Konkret nannte er neben Borodjanka weitere Gebiete um Kiew, das Umland um die Stadt Chernihiw im Norden der Ukraine sowie die Region Sumy im Nordosten. Die Okkupanten hätten dort Dinge getan, die die dortige Bevölkerung während der Nazi-Okkupation nicht erlebt hätte.
Zwischenzeitlich lag die Ortschaft dann aber mitten im Gebiet, das von der russischen Armee gehalten wurde - mit massiver russischer Präsenz. Geschätzt wird, dass in dem relativ kleinen Gebiet von der Grenze zu Weissrussland bis in die Aussenbezirke Kiews bis zu 40'000 russische Soldaten stationiert waren. Aufgrund schwerer Verluste habe der Feind in dem Gebiet den Rückzug angetreten, so der Pressedienst der ukrainischen Armee auf Nachfrage.
In Zahlen lässt sich noch sehr wenig festmachen. Am Sonntag gab die ukrainische Staatsanwaltschaft bekannt, man habe bis zu diesem Zeitpunkt die Leichen von 410 Zivilisten aus dem Gebiet gebracht. Gemeint war damit aber vor allem das Konglomerat Irpin, Butscha, Hostomel, Vorsel - also jene Orte, die direkt vor Kiew liegen. Und selbst dort tauchen auch nach Tagen noch neue Massengräber und Folterkeller auf. Leichen wurden dort auch in der Kanalisation, in Gräben und in Brunnenschächten gefunden.
Zu Borodjanka heisst es seitens der ukrainischen Staatsanwaltschaft nun lediglich: Über Borodjanka werde man wohl gesondert sprechen müssen. Und weiter: «Es gibt eine Menge zu besprechen.» (aargauerzeitung.ch)