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«Die Druckwellen fühlen sich an wie ein Schlag auf meiner Brust»

Drohnen-Albtraum: «Die Druckwellen fühlen sich an wie ein Schlag auf meiner Brust»

Der Krieg in der Ukraine verändert sich rasend schnell. Beide Seiten setzen nun verstärkt auf weitreichende Drohnen und Lenkwaffen. Unser Kriegsreporter berichtet.
06.09.2025, 23:2106.09.2025, 23:21
Kurt Pelda, Oblast Donezk / ch media
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A Ukrainian serviceman of 57th motorised brigade controls an FPV drone at the frontline in Kharkiv region, Ukraine Tuesday, Aug. 12, 2025. (AP Photo/Andrii Marienko)
Russia Ukraine War
Ein ukrainischer «Drone Operator».Bild: keystone

In regelmässigen Abständen stehen sie am Strassenrand: die so genannten mobilen Einheiten zur Luftverteidigung. Es handelt sich um Pick-ups und Kleinlaster, auf deren Ladeflächen schwere Maschinengewehre montiert sind. Die meisten Waffen verfügen nur über Zielfernrohre, einige wenige sind aber auch mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet. Denn die russischen Drohnen vom Typ Geran-2 (Russisch für Geranium), eine Weiterentwicklung der iranischen Schahid (Persisch für Märtyrer), greifen meistens nachts an.

Mit Artiom, einem alten Bekannten, habe ich mich an einer Strassenverzweigung irgendwo in der Kampfzone im Osten verabredet. Als ich am Treffpunkt ankomme, wartet der Offizier bereits in einem tarnfarbigen Auto. Artiom fährt voraus, und ich folge in gebührendem Abstand. Wir passieren zuerst von Baumreihen eingefasste Felder, auf denen die Ukrainer Panzergräben ausgehoben haben. Die Hindernisse, komplett mit Stacheldrahtrollen, erstrecken sich, so weit das Auge reicht.

Später durchqueren wir Kiefernwälder. Am Fuss eines Hügels halten wir an. Hier befindet sich eine orthodoxe Kirche mitsamt Geistlichen, die in dem arg zerschossenen Gebäude ausharren. Druckwellen haben das Dach des Kirchturms fast ganz abgedeckt. Es ist nun notdürftig mit dunkelblauen Planen verhüllt.

Der Himmel über dem Kiefernwald

In der Ortschaft gleich nebenan ist schätzungsweise jedes zweite Gebäude zerstört oder beschädigt. Die nächsten russischen Stellungen sind 15 Kilometer entfernt. Artiom, Offizier einer Drohneneinheit, warnt vor den nächtlichen Angriffen der Russen mit Geran-Drohnen und Gleitbomben. «Das dauert jeweils von circa 22 Uhr bis um 4 Uhr morgens.»

SLOVIANSK, UKRAINE - AUGUST 8: The iconic Hotel Sloviansk, once a refuge for media professionals at the start of the Donbas war in 2014, was struck by Russian forces a week ago on August 8, 2025 in Sl ...
Ein früher bei Journalisten beliebtes Hotel in der Stadt Slowiansk haben die Russen vor kurzem zerstört.Bild: Getty Images Europe

Ich komme im Dachstock eines kleinen Hauses unter, das in einem dichten, intensiv nach Harz riechenden Kiefernwald liegt. Es empfiehlt sich, das Geländeauto in einer gewissen Entfernung unter den Bäumen zu verstecken.

Nach Einbruch der Dunkelheit ist gelegentlich das Dröhnen von Geran-Motoren zu hören. Darauf folgt jeweils das Stakkato der Maschinengewehre, mit denen sich die Ukrainer zu wehren versuchen. Oft gelingt das aber nicht. Dann kracht es in der Nähe, und die Druckwellen der Explosionen fühlen sich wie ein leichter Schlag auf meiner Brust an.

Die «Himmelsfestung» hilft den Verteidigern

Anders als die kleinen Quadcopter, die in Frontnähe von Piloten oder auch künstlicher Intelligenz gesteuert werden und für unzählige Opfer auf beiden Seiten verantwortlich sind, werden bei den meisten Geran-Drohnen die Koordinaten des Zielobjekts vor dem Start fest programmiert.

Tausende Mikrofone, die in einer langen Linie auf der ukrainischen Seite der Front installiert wurden, geben Hinweise, wenn sich Schwärme von Geran-2 mit ihren lauten Zweitaktmotoren nähern. Häufig unterfliegen die weitreichenden russischen Fluggeräte die ukrainischen Radarwellen.

Das «Himmelsfestung» genannte System leitet die Signale automatisch über Mobiltelefone weiter und wertet die Daten so aus, dass die mobilen Einheiten an den geeigneten Orten auf die angreifenden Drohnen warten können. Die «Himmelsfestung» wird damit zur innovativen Ergänzung der klassischen Radarüberwachung. Erfolgreiche Drohnenzerstörer sind neben den mobilen Feuereinheiten aber auch die alten deutschen Gepard-Flugabwehrpanzer sowie Helikopter und Leichtflugzeuge.

Mutterschiffe in der Luft

Gegen weitreichende Kamikaze-Drohnen schützen sich die Besatzungen der Kontrollpunkte an den Strassen mit Störsendern und riesigen Netzen. An einer Strassensperre rund 90 Kilometer von der Hauptkampflinie entfernt, sind Arbeiter mit einem mobilen Kran gerade beschäftigt, Netze an langen Metallpfosten zu fixieren. Sie bauen damit ein Schutzdach für die exponierte Wachmannschaft.

Spenden für einen Hilfstransport
Unser Kriegsreporter möchte einen Sattelschlepper mit medizinischem Material für Spitäler und Mobiliar für eine Schule in die Ukraine bringen. Dafür sucht sein als gemeinnützig anerkannter Verein Spenden: Swiss UAid, 8180 Bülach, IBAN CH25 0900 0000 1621 9814 9. QR-Code für Twint auf www.swiss-uaid.ch

Eigentlich können die in Frontnähe allgegenwärtigen kleinen Kamikaze-Quadcopter nicht so grosse Distanzen zurücklegen. Seit einiger Zeit befestigen die Russen allerdings Quadcopter unter den Flügeln ihrer grossen Orlan-Aufklärungsdrohnen (Russisch für Adler). Die weitreichende Orlan ist somit das Mutterschiff für die Kampfdrohnen.

Im Netz gefangen

Wenn die Mutterdrohne mit ihrer leistungsfähigen Kamera zum Beispiel einen ukrainischen Militärlaster erkennt, wirft sie die Quadcopter ab. Anschliessend werden diese von Piloten ins Ziel gesteuert. So machen die Russen zunehmend auch ukrainische Nachschubwege tief im Hinterland unsicher. Damit die Funksignale der Drohnen über so grosse Distanzen ankommen, werden sie von einem im Mutterschiff eingebauten Sender verstärkt.

gogol drone
Eine Abschussrampe für eine GOGOL-Mutterdrohne.Bild: sc/x.com

Netze sind ein einfaches Mittel, um sich gegen solche Angriffe zu schützen. Ein Panzersoldat schickt mir zum Beispiel ganz stolz Bilder einer russischen Kampfdrohne, die sich bei seiner Stellung in einem Netz verfangen hat – und zwar ohne zu explodieren. Auf einer Autobahn überhole ich einen Armeetransporter, auf dessen Ladefläche sechs dicke Rollen feinmaschiger Netze fixiert sind. Man wird sie dazu verwenden, neuralgische Strassenabschnitte ganz mit Netztunnels abzudecken. Auf der anderen Seite der Front gehen die Russen ähnlich vor.

Zurück in den Kiefernwald, wo ich im stickigen Dachstock eines verlassenen Hauses auf einem Diwan liege: Trotz des Kampflärms bin ich irgendwann in meinem Schlafsack eingedöst. Doch kurz nach drei Uhr am Morgen schreckt mich ein lautes Fauchen auf – wie von einem Düsenflugzeug. Es stammt nicht von einer Drohne, sondern von einer grossen Gleitbombe, die ein russischer Kampfjet aus sicherer Distanz abgeworfen hat. Die Bombe fliegt in einiger Entfernung an meinem Schlafplatz vorbei. Kurz darauf erschüttert der Einschlag das Haus in seinen Grundfesten. Danach bleibt es den Rest der Nacht ruhig. (bzbasel.ch)

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Drohnen-Albtraum: «Die Druckwellen fühlen sich an wie ein Schlag auf meiner Brust»
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