Das Weisse Haus fuhr grobes Geschütz auf. Mit seiner «plötzlichen und unerklärlichen Kehrtwende» beim «Build Back Better»-Programm habe Joe Manchin «seine Versprechen gegenüber dem Präsidenten und seinen Kollegen im Kongress gebrochen», teilte Sprecherin Jen Psaki am Sonntag mit. Zuvor hatte der Senator aus West Virginia erklärt, er könne dem Paket nicht zustimmen.
Er tat dies auf dem «Feindsender» Fox News, was aus Sicht der Demokraten der Gipfel der Demütigung war. In einem eigenen Statement rechtfertigte sich der 74-jährige Manchin. Er habe seine Besorgnis stets zum Ausdruck gebracht. Diese habe «mit dem Andauern der Pandemie, der steigenden Inflation und den geopolitischen Risiken noch zugenommen».
Für Präsident Joe Biden ist die Brüskierung durch den konservativen Demokraten die wohl schlimmste Niederlage seiner knapp einjährigen Amtszeit. Mit dem ambitionierten Sozial- und Klimapaket «Build Back Better» wollte er den amerikanischen Mittelstand bei den Kosten für die Kinderbetreuung entlasten und die USA in eine «grüne» Zukunft führen.
Das grösstes Hindernis waren Joe Manchin und seine Kollegin Kyrsten Sinema aus Arizona. Auf ihre Stimmen waren Biden und die Demokraten angesichts des 50:50-Patts im Senat angewiesen. Ein Ja von Manchin galt als Schlüssel, weshalb der Präsident ihn intensiv «bearbeitete» und ihn unter anderem nach Wilmington (Delaware) in sein Privathaus einlud.
Um den Bedenken des als «Deficit Hawk» bekannten und wegen der steigenden Staatsverschuldung besorgten Senators aus der Republikaner-Hochburg West Virginia zu begegnen, halbierten Biden und die Demokraten den Umfang des Pakets von 3,5 auf 1,75 Billionen Dollar. Doch auch damit konnten sie Manchin nicht umstimmen.
Munition lieferten ihm die Republikaner. Eine von ihnen in Auftrag gegebene Untersuchung durch die unabhängige Budgetbehörde des Kongresses ergab Kosten von 4,5 Billionen Dollar, deutlich mehr als von den Demokraten behauptet. Nun jubeln die Republikaner über ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, während der linke Flügel der Demokraten empört ist.
Senatorin Tina Smith aus Minnesota bezeichnete Manchins Haltung mit Blick auf die Klimapolitik als «regelrecht unpatriotisch», denn nun werde Amerika in den Bereichen Technologie und Innovation zurückfallen. Immerhin liess Joe Manchin ein Türchen offen, als er auf Fox News erklärte, er könne «diesem Gesetzeswerk» nicht zustimmen.
Indirekt signalisierte er, dass er für eine nochmals reduzierte Variante offen wäre, die bei der amerikanischen Bevölkerung besonders populäre Programme enthalten würde. Dazu gehören etwa Steuerrückzahlungen für Kinder (eine indirekte Form der Kinderzulage) oder Gratis-Vorschulen für Drei- und Vierjährige (in den USA «Pre-kindergarten» genannt).
Schwieriger dürfte es beim Klimaschutz werden. «Build Back Better» sah unter anderem Steuererleichterung für erneuerbare Energien und den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektroautos vor. Die Energiewende sei in den USA «auf guten Wegen», hielt Joe Manchin in seinem Statement fest. Er und seine Familien profitieren bis heute vom Handel mit Kohle.
Seine Sorge, «Build Back Better» werde die hohe Inflation – im November betrug sie 6,8 Prozent – weiter anheizen, wird von Ökonomen hingegen nicht geteilt. Selbst der frühere Finanzminister Larry Summers, der die Demokraten seit Monaten vor den politischen Risiken durch die Inflation warnt, hat laut «New York Times» keine Bedenken.
Eine «solidere» Finanzierung durch Steuereinnahmen statt neue Schulden könnte Joe Manchin die Zustimmung zu einem «abgespeckten» Sozial- und Klimapaket ebenfalls erleichtern. Selbst wenn eine Neuauflage gelingen sollte, wäre der Imageschaden für die Präsidentschaft von Joe Biden jedoch nur schwer zu reparieren.
Das schlägt sich in den tiefen Beliebtheitswerten des 79-Jährigen nieder. Dabei ist seine Bilanz nicht so schlecht. Die Verabschiedung des Corona-Hilfspakets von 1,9 Billionen Dollar und vor allem des grossen Infrastruktur-Programms können sich sehen lassen. Das Problem ist nur, dass die Demokraten sehr hohe Erwartungen geweckt haben.
Der «Doppelsieg» im Januar in Georgia, als sie den Republikanern gleich beide Senatssitze im südlichen Bundesstaat entreissen konnten, hat sie womöglich übermütig gemacht. In der Realität werden viele ihrer Vorhaben, unter anderem ein nationales Wahlgesetz, durch den Filibuster blockiert, der den Republikanern eine Sperrminorität verschafft.
Senator John Kennedy aus Louisiana – ein Republikaner – meinte gegenüber Politico, man solle versuchen, wenig zu versprechen und viel zu liefern. Die Demokraten hätten «das Gegenteil gemacht». Als Folge davon wenden sich vor allem jüngere Wählerinnen und Wähler enttäuscht von der Partei ab. Und das ist nicht nur die Schuld von Joe Manchin.
Der Präsident ist nicht ein König oder Kaiser, die Abgeordneten sind ihren Wählern verpflichtet und nicht dem Präsidenten.
Wenn nun eine Partei die Stimmen von Abgeordneten, die nachweislich fast immer gegen die Partei stimmen, braucht, dann hat diese Partei etwas falsch gemacht, sie hat es verpasst nach dem schlechtesten Präsidenten ever, sich genügend gleichgesinnte Sitze im Senat zu sichern. Damals hätte man schon von einer Niederlage sprechen müssen.