Es war ein Abgang mit Ansage. Die Starzeichnerin Ann Telnaes war seit 2008 bei der «Washington Post» als Karikaturistin engagiert, wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, 2001 sogar mit dem Pulitzerpreis, dem prestigeträchtigsten Award in der Journalismusbranche.
Doch anfangs Januar hat Telnaes ihre Kündigung bei der «Washington Post» eingereicht. Der Grund: Eine von ihr entworfene Zeichnung, die die Anbiederung verschiedener Tech- und Medien-Milliardäre an Trump versinnbildlicht hätte, wurde von der Zeitung nicht zur Publikation freigegeben.
Wie Telnaes in einem Blog ausführt, war es nicht das erste Mal, dass ein Cartoon von ihr zu Diskussionen innerhalb der Redaktion geführt hat, «aber in all dieser Zeit wurde noch nie eine Karikatur getötet, weil ich meinen Stift auf jemanden oder etwas gerichtet hatte.»
Nicht erst seit Telnaes Abgang weht der «Washington Post», die sich mit ihrer Berichterstattung zu Watergate oder dem Sturm auf das Kapitols rühmt, von aussen und innen ein heftiger Gegenwind entgegen.
Für viele das Fass zum Überlaufen brachte Bezos' Entscheidung, erstmals seit 50 Jahren keine offizielle Wahlempfehlung für die Präsidentschaftswahlen im November abzugeben. Obwohl der zweitreichste Mensch der Welt 2013, nach dem Kauf der Zeitung, versprochen hatte, der Redaktion «freie Hand» zu gewähren.
Die Zeitung verlor damals viele Abonnentinnen und Abonnenten (in US-amerikanischen Medien ist die Rede von bis zu 250'000), Journalistinnen und Journalisten verliessen das Blatt. Ex-Chefredakteur Marty Baron, einer der profiliertesten Journalisten des Landes, sprach von «Feigheit, mit der Demokratie als Opfer.»
Am Donnerstag folgte der nächste Knall: In einem Brief wandte sich ein gewichtiger Teil der Belegschaft mit deutlichen Worten an Bezos. Offensichtlich will man die Machenschaften der Verantwortlichen nicht einfach mehr so hinnehmen und deshalb das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen.
Im Brief heisst es unter anderem:
Unterzeichnet wurde er von einigen der bekanntesten Journalistinnen und Journalisten der Zeitung. Die Kritik der Belegschaft richtet sich aber nicht nur an Besitzer Bezos, sondern wohl auch Herausgeber und CEO William Lewis, obwohl dieser nicht explizit erwähnt wird.
Lewis ist seit November 2023 auf dem Chefposten. Doch auch er hat den Turnaround (zumindest noch) nicht geschafft. Seit seinem Amtsantritt hangelt sich die «Post» von Krise zu Krise, die Unzufriedenheit mit dem in London aufgewachsenen Lewis ist nach nur etwas mehr als einem Jahr gross – bei den Leserinnen und Lesern sowie der Belegschaft.
Auch die finanziellen Herausforderungen im schwierigen Zeitungsmarkt sind bei der «Post» deutlich zu spüren. Die Abonnentenzahlen sind rückläufig, ebenso die Erlöse aus dem Werbemarkt. Gemäss dem «Wall Street Journal» betrug der Verlust letztes Jahr rund 100 Millionen Dollar.
Die Führungsetage hat gemäss dem Bericht Mühe, aufzuzeigen, was man für einen Plan verfolgt, um wieder in die Erfolgsspur zurückzukehren. Es fehle an einer klaren Vision, wie Mitarbeiter dem «Wall Street Journal» berichten.
Der Ausweg aus der Krise wollen Bezos und Lewis mit einer Neuausrichtung der Zeitung bewältigen. Sowohl das «Wall Street Journal» als auch die «New York Times» berichten auf Berufung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sich die «Post» an neue strategische Ausrichtungen wagt.
Diese Woche hat die Zeitung ein neues Leitbild formuliert: «Fesselndes Storytelling für ganz Amerika». Eine deutlich andere Ausrichtung, als «Demokratie stirbt in der Dunkelheit», der Slogan, der 2017, nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten, eingeführt wurde.
Zwar bleibt der häufig zitierte Slogan weiterhin Bestandteil der Zeitung, das neue Leitbild soll aber als Orientierung für die Redaktion dienen.
Gemäss dem Bericht will sich die «Post» an eine neue demografische Leserschaft richten: US-Amerikanische Arbeiterinnen und Arbeiter, ausserhalb der Küstenstädte, ein ländlicheres Publikum.
Sprich: Die Zeitung will konservativer werden, zumindest ist dies die Hoffnung von Bezos. Das neue Leitbild «für ganz Amerika» passt daher ganz gut. Die Frage ist aber noch, ob da auch die Redaktion mitspielt. Und natürlich auch die Abonnentinnen und Abonnenten.
Bereits seit einiger Zeit überlegen sich die Verantwortlichen zudem, die Meinungsbeiträge auszubauen. Auch sollen zukünftig mehr Gastbeiträge, als nicht-redaktionelle Beiträge, in der Zeitung Platz finden.
Lewis und Co. wollen damit erreichen, dass die Meinungs- und Newssektion stärker voneinander getrennt werden. Gewissermassen eine mediale Säkularisierung, wie sie in den USA nicht unüblich ist.
Ob der «Washington Post» damit die Neuausrichtung gelingt und der Niedergang einer amerikanischen Institution gestoppt werden kann, wird sich zeigen. Sicher ist: Es ist eine Fahrt auf Glatteis. Denn die Neuausrichtung könnte genauso gut zu einem weiteren Exodus von Leserinnen und Lesern führen und den finanziellen Abwärtstrend weiter verstärken.
Eines ist klar. Sollte der Turnaround nicht gelingen, wird es zuallerst die «Washington Post» sein, die in der Dunkelheit stirbt – und nicht die Demokratie.
Ja das ist genau der Bevölkerungsteil, der Zeitung liest.
Das Projekt WP scheint für Bezos wohl nicht Gewinn schreiben zu müssen. Es geht ihm wohl mehr um Macht und Beeinflussung.
Neu ist, dass gebildete Menschen, die all dies hatten, freiwillig darauf verzichten, damit sie unterdrückt werden können.