Der hohe Norden ist in, während der Süden schmachtet und brennt. Skandinavien lockt mehr denn je «Coolcation»-Touristen an, die Ferien in kühleren Gefilden wollen. Da macht es nichts, wenn das Meer frisch und die beeindruckenden Berge etwas wolkenverhangen sind. Doch die Gegenden am und über dem Polarkreis sind meist nicht auf Massentourismus vorbereitet, sondern auf individuelle Naturerlebnisse.
Die Folgen: isländische Orte werden von Tausenden von Kreuzfahrttouristen überrannt und auf den norwegischen Lofoteninseln gibt es verstopfte Wanderwege zu den Instagram-Hotspots, Wohnmobil-Staus auf engen Strassen und Abfallberge. Dass es immer mehr Direktflüge aus den Mittelmeerländern, aber auch der Schweiz und Deutschland nach Nordnorwegen gibt, verschärft die Lage.
Der touristische Erfolg ist zwar in den abgelegenen Fischerdörfern nicht per se unerwünscht, aber die Massen erschrecken und nerven die Einwohner, die in den lokalen Medien von «Invasion» und «Krisenstimmung» sprechen.
Die Besucher sollen die Schönheit der Lofoten erleben dürfen, sagt Berit Storeide aus Vestvågøy, «aber sie sollen sich benehmen.» Sie meide mittlerweile gewisse schöne Orte, die völlig überlaufen seien. Viele in der Bevölkerung vermissen den Respekt vor der Natur und dem Privatbesitz. Wohnmobile parkieren auf der Strasse, weil dort die Aussicht am besten ist, und gezeltet wird direkt am idyllischen Strand, auf der Schafweide oder im Garten.
Touristen fotografieren durchs Stubenfenster und hinterlassen, weil es zu wenig Toiletten gibt, ihr Geschäft irgendwo in der Natur. Das Angebot von Fäkaliensäckchen erwies sich auf der Inselgruppe als wenig erfolgreich. Probleme gibt es zudem in einer grösseren Perspektive: das Gesundheitswesen, die Fähren, Läden, die Bergrettung, die Polizei sind überlastet. Das gehe auf Kosten der Lokalbevölkerung, sagt Gemeindepräsident Jonny Finstad.
Ein Lösungsansatz ist die Verteilung der Touristen. Die nordatlantischen Färöer-Inseln, die auch gezielt mit «Coolcation» werben, bieten in Mietautos ein Navigationssystem an, das eine individuelle Route zu unbekannteren Sehenswürdigkeiten vorschlägt – damit nicht alle zu den immer gleichen, in sozialen Netzwerken angepriesenen Orten fahren. Wer ein Auto mietet, verspricht mit seiner Unterschrift, der Überraschungsrundfahrt zu folgen.
Was auf den noch wenig überlaufenen Inseln funktionieren mag, ist in Island indes bereits unmöglich, wo Dutzende Reisebusse gleichzeitig zum selben Ziel fahren und das Anstehen vor dem Wasserfall zum Normalfall geworden ist.
Auch in der nordnorwegischen Stadt Tromsø mit ihrer grösseren Infrastruktur gibt es Pläne, die Besucher anzuhalten andere, unbekanntere Ziele in der Region zu besuchen. Noch wird zwar nicht offen gegen Touristen protestiert, aber laut einer Erhebung finden 77 Prozent der Einwohner, es kämen zu viele Reisende in die Stadt.
Das Parlament in Oslo hat auf die Klagen aus dem Norden insofern reagiert, als es Gemeinden ab 2026 erlaubt, für Hotel-Übernachtungen und Kreuzfahrtbesucher eine Steuer zu erheben – eine Massnahme, die auch Island und die Färöer kennen.
«Das ist gut, kommt aber zehn Jahre zu spät», sagt Gemeindepräsident Finstad. Er und andere Politiker auf den Lofoten fordern, dass auch das Jedermannsrecht eingeschränkt wird, der allen garantierte freie Zugang zur Natur. Der Vorschlag ist äusserst umstritten, denn er betrifft eine Tradition, die für viele Skandinavier eine Selbstverständlichkeit ist. Doch mit dem Massentourismus werde das Recht «missbraucht», findet Finstad. (aargauerzeitung.ch)
Über den ausgestossenen Dreck der lokal und global Probleme bereitet noch nicht einmal gesprochen.