Die meisten Religionen und Glaubensgemeinschaften tun sich schwer mit der Sexualität. Viele sehen in ihr eine Energie, die die Kraft des Glaubens in den Schatten stellt. Sex ist für sie ein Phänomen, das sie bei den Gläubigen nur schwer bändigen können. Es ist für viele Geistliche und Religionsführer eine Kränkung, dass weltliche Energien religiöse dominieren.
Viele christliche, jüdische und islamische Gemeinschaften verbannen deshalb die Sexualität mit repressiven Dogmen in die Ehe. Sex vor der Ehe ist ein Tabu, Homosexualität eine Sünde, Onanie verpönt und Pornographie des Teufels.
Selbst der Buddhismus hat kein unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität, müssen doch die Mönche zölibatär leben. Das begünstigt sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, wie Berichte aus Thailand in diesen Tagen belegen. Auch hier: Tugenden wie Achtsamkeit, Respekt, Rücksicht und Harmonie werden zu Floskeln, wenn sich der sexuelle Drang bemerkbar macht.
Anders in manchen esoterischen Gruppen. Diese kultivieren die Sexualität als starke spirituelle oder göttliche Energie, was oft zu Promiskuität, Partnertausch oder Polyamorie führt. Diese permissive Haltung ist ebenfalls problematisch, weil sie oft zu einem Machtgefälle führt.
Dabei profitieren meist Gurus und männliche Anhänger. Frauen hingegen müssen sich oft im Namen der spirituellen Entwicklung unterordnen und werden ausgenutzt.
Von den christlichen Gemeinschaften kämpfen vor allem Freikirchen und die katholische Kirche mit repressiven und moralischen Dogmen gegen den Sexualtrieb. Selten mit Erfolg. Ein grosses Gefahrenpotential sehen sie speziell beim weit verbreiteten Pornokonsum.
Auch beim Drang nach Sexvideos sind die konservativen christlichen Glaubensgemeinschaften meist auf verlorenem Posten, was ihr Glaubensverständnis arg ins Wanken bringt. Denn der Pornokonsum ist für sie eine Sünde.
Die freikirchliche Plattform jesus.ch spricht von einer Porno-Epidemie. «Ein erstaunlich hoher Prozentsatz von Männern und eine überraschende Anzahl von Frauen, die regelmässig eine christliche Gemeinde besuchen, kämpfen gegen eine Pornosucht», schreibt sie.
Der amerikanische Autor Sam Black habe bei einer Untersuchung herausgefunden, dass offenbar zwei Drittel der freikirchlichen Männer und ein Drittel der Frauen mit der Pornografie kämpfen. 37 Prozent konsumierten wöchentlich mehrmals Pornovideos.
Black behauptet, Männer und Frauen seien «oft mit Porno-Konsum aufgewachsen. Im Erwachsenenalter tragen sie bereits eine tonnenschwere Last auf ihren Schultern». Die University of Oklahoma habe festgestellt, dass es einen direkten Zusammenhang gebe zwischen der Konsum-Häufigkeit von Porno und der Frage, ob jemand sich in seiner Gemeinde engagiere.
Auch die freikirchliche Plattform livenet.ch hat sich mit der Pornografie auseinandergesetzt. In einem Artikel zitiert sie die Münchner Sexualtherapeutin Heike Melzer.
Diese behauptet, der regelmässige Porno-Konsum verändere die Gehirnstruktur. Wörtlich: Insbesondere wenn noch Selbstbefriedigung dazukomme, habe dies eine ähnliche Wirkung «wie bei Kokain.» Wie Drogensüchtige müssten die Betroffenen die Dosis stetig steigern.
Freikirchliche Exponenten haben sich dem Problem angenommen und die Aktion porno-frei.ch gegründet. Sie ist eine Antwort auf die «wachsende Not unter Männern und Frauen». Ihre Homepage bietet einen Überblick über Angebote zu Prävention, Beratung, Schulung und Bildung von Freiheitsgruppen.
Zur Beratung gehört auch das Programm «Starte jetzt mit uns in 30 pornofreie Tage!» Gefordert wird ein «Nein zu Pornos», denn diese würden verdrehen und missbrauchen, «was Gott uns geschenkt hat!».
Die Gläubigen der Aktion haben die Vision, ein flächendeckendes Netzwerk an Freiheitsgruppen in der Schweiz aufzubauen. «Ehrenamtliche Freiheitskämpfer lassen sich von unserem Team an einem unserer Pioniertage trainieren und ausrüsten, wie man eine Gruppe starten und führen kann, um andere Männer auf dem Weg in die Freiheit zu unterstützen.»
Ich persönlich bezweifle, dass dies funktioniert. Mir scheint, dass der moralische Aspekt dabei das grössere Problem darstellt als der Pornokonsum. Die Pastoren reden den Gläubigen ins Gewissen und stellen Porno als Sünde dar, an der Gott und Jesus keinen Gefallen hätten.
Dabei züchten sie bei den Betroffenen einen seelischen Zwiespalt. Da es offensichtlich den wenigsten gelingt, ihren Porno-Konsum zu zügeln, entwickeln sie Schuldgefühle und Angst. Angst, von Gott fallengelassen zu werden und am Jüngsten Tag nicht zu den Geretteten zu gehören.
Somit wird das Thema Porno für sie noch mächtiger und dominiert ihr Bewusstsein, was die Enthaltung weiter erschwert. Dieser psychologische Prozess kann zu einer Fixierung und zu einem Zwang führen. Damit treiben die Aktionen der «Freiheitskämpfer» viele Gläubigen erst recht in den Pornokonsum.