Es war in der ersten Woche des neuen Schuljahres, auf dem Speiseplan der Kantine einer Grundschule in Pennsylvania stand Hühnchen. Ein Junge aus der ersten Klasse hatte das Fleisch bereits auf dem Teller, doch da kam eine Mitarbeiterin und warf es in den Müll. Der Grund: Die Eltern des Kindes hatten das Essensgeld nicht bezahlt.
«Lunch shaming» wird diese Praxis in den USA genannt, und der Vorfall aus Pennsylvania ist kein Einzelfall. An manchen Schulen müssen betroffene Kinder zur Strafe den Fussboden der Mensa wischen, an anderen bekommen sie einen Stempel auf den Arm mit der Aufschrift «Ich schulde Essensgeld».
Stacy Koltiska, eine Kantinenangestellte aus Pennsylvania, hat eine öffentliche Diskussion über diese Form der Diskriminierung von Kindern aus armen Familien angestossen. Koltiska hatte dem Erstklässler gemäss Vorschrift das Hühnchen wieder weggenommen. «Seine Augen füllten sich mit Tränen und da dachte ich mir: Das kann ich nicht machen, das ist lächerlich», erzählt die dreifache Mutter.
Koltiska kündigte daraufhin im vergangenen September ihren Job. Sie könne nicht länger für «eine Einrichtung arbeiten, die wegen 2.05 Dollar einem Kind das Essen verweigert und es demütigt», schrieb sie in ihrer Kündigung, die Schlagzeilen machte.
New Mexico verbot daraufhin im April als erster US-Bundesstaat, Kinder wegen der Essensgeldschulden ihrer Eltern zu ächten. In Kalifornien und Texas wird über ein ähnliches Gesetz diskutiert. «Diese Praxis ist weitverbreitet», sagt Jennifer Ramo, Leiterin der Organisation Appleseed in New Mexico, die gegen die Armut kämpft und das Verbot des «lunch shaming» angestossen hat.
Auch Ramo kennt Geschichten von Kindern, denen die warme Mahlzeit an der Kasse wieder weggenommen wurde. «Das Essen wird tatsächlich weggeworfen, und die Kinder bekommen ein Käsebrot oder auch gar nichts», sagt sie. Die Schulverwaltungen glaubten, wenn sie die Kinder beschämten, wären die Eltern eher bereit, die offenen Rechnungen zu begleichen.
Michael Padilla, Senator in New Mexico, weiss, wie sich Kinder fühlen, die dazu missbraucht werden, ihre Eltern unter Druck zu setzen. «Als ich ein Kind war, musste ich die Böden schrubben und in der Küche arbeiten», erzählt er. Umso mehr schockiert es ihn, dass 30 Jahre später immer noch Kinder in der Schulkantine gedemütigt werden.
«Nach dem Gesetz, das wir verabschiedet haben, liegt die Verantwortung für die Schulden beim Essensgeld direkt bei den Eltern», sagt Padilla. «Die Kinder dürfen nicht mehr bestraft werden.»
Drei Viertel der Schulbezirke in den USA hatten laut einer Studie des Verbandes für Ernährung in der Schule 2016 am Ende des Schuljahres Aussenstände beim Essensgeld. In manchen Bezirken blieb die Elternschaft demnach Millionen Dollar schuldig. In vielen Fällen begleichen Lehrer, Kantinenmitarbeiter oder Sponsoren die Rechnungen, um Kinder vor der Schmach und einem knurrenden Magen zu bewahren.
«Wie kann man erwarten, dass sich ein Kind acht Stunden in der Schule konzentriert, ohne etwas zu essen zu bekommen?», empört sich die ehemalige Kantinenmitarbeiterin Koltiska. «Wir geben Gefangenen drei Mal am Tag zu essen, aber unsere Kinder bekommen nichts.»
lov/AFP
Alle sollten drei Mal täglich etwas zu essen bekommen...