Interview
Gesellschaft & Politik

Oskar Lafontaine: «Das Bankgeheimnis funktioniert nach wie vor»

Oskar Lafontaine an einer Parteikonferenz im Saarland, 2012. 
Oskar Lafontaine an einer Parteikonferenz im Saarland, 2012. Bild: EPA
Interview mit Doyen der deutschen Links-Partei

Oskar Lafontaine: «Das Bankgeheimnis funktioniert nach wie vor»

Mit Ach und Krach verliess der damalige deutsche Finanzminister Lafontaine 1999 die Regierung Schröder – und wurde Mitbegründer der Links-Partei. Jahrzehntelang hat er Deutschlands Politik geprägt, seine Kompromisslosigkeit ist bis heute ungebrochen. Nun spricht er über Linke und Realos, Banker und Boni, Schröder und Putin.
27.10.2014, 07:3927.10.2014, 14:04
christian dorer, daniel fuchs / aargauer zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Oskar Lafontaine ist Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag und reist wie ein Staatsgast in die Schweiz: im silbergrauen Audi mit Chauffeur. Im Fond der Limousine liegen beigenweise zerzauste Zeitungen herum, die er auf dem Weg vom Saarland nach Baden gelesen hat. Hier ist er Gast am 9. Management Roundtable der Aargauischen Kantonalbank (AKB). Davor stellt er sich den Fragen der «Nordwestschweiz». 

Nordwestschweiz: Herr Lafontaine, Sie pflegen das Feindbild der Banken, Sie bezeichnen sie gern als «Zockerbuden», die man «in Ketten legen müsste». Nun sind Sie auf Einladung einer Bank hier. Hat bei Ihnen ein Gesinnungswechsel stattgefunden? 
Oskar Lafontaine: Nein. Ich sehe das als Einladung einer Bank, die auch mal eine Meinung hören will, die sie üblicherweise nicht zu hören bekommt. Das ist sinnvoll, weil es langweilig wird, wenn man nur Meinungen hört, die man bereits kennt. 

Zur Person Oskar Lafontaine, Ministerpräsident im Saarland, SPD-Kanzlerkandidat, Finanzminister Deutschlands, Vorsitzender der Partei «Die Linke»: Oskar Lafontaine (71) ist bis heute einer der schillerndsten und umstrittensten deutschen Politiker. Der diplomierte Physiker trat 1966 in die SPD ein. 1999, als Finanzminister, kam es zum Bruch mit Kanzler Gerhard Schröder. Lafontaine trat aus der SPD aus und gründete die Links-Partei. 2010 zog er sich wegen einer Krebserkrankung vorübergehend aus der Politik zurück. Heute führt er die Fraktion der Linken im saarländischen Landtag. Lafontaine ist mehrfach geschieden und liiert mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. 

«Der Spiegel» schrieb über Sie: «Kaum ein Politiker hat die deutsche Politik in den vergangenen 30 Jahren derart in Atem gehalten wie Lafontaine.» Und die britische «Sun» bezeichnete Sie gar mal als «den gefährlichsten Mann Europas». Sehen Sie sich selber als Populisten? 
Ach, die gefährlichen Populisten. Ich bin gerne ein Populist, wenn man einen Populisten als jemanden definiert, der Ängste und Wünsche der Bevölkerung erkennt. In diesem Sinne sollte jeder Politiker ein Populist sein. Doch wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, in der Entscheide gegen den Volkswillen gefällt werden. Das sehen Sie zum Beispiel anhand des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Die Bevölkerung ist dagegen, und trotzdem ist Deutschland dort. 

Auch die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) nimmt Ängste der Bevölkerung auf. 
Sie schürt weiter Ängste, statt sie aufzunehmen. Ein prominenter AfD-Politiker zum Beispiel fordert, Sozialhilfeempfänger sollen nicht mehr wählen dürfen. Das grenzt sozial Schwache aus und setzt sie herab.  

Warum ist die Rechte in Europa derzeit erfolgreicher als die Linke? 
Die Erfolge der deutschen AfD kommen daher, dass sie ein Thema aufgegriffen hat, welche die anderen Parteien, einschliesslich der Linken, vernachlässigt haben: die Frage über die Zukunft der Europäischen Währungsunion. Damit hat die AfD Erfolg, weil die Bevölkerung spürt, dass mit dieser Einheitswährung, dem Euro, irgendwas schief läuft. Das ist aber kein rechtes Thema, sondern betrifft die Frage, wie Währungssysteme funktionieren. 

Der ehemalige Vorsitzende der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine, mit Sahra Wagenknecht (Linke, rechts) an einer Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Verleger Frank Schirrmacher.
Der ehemalige Vorsitzende der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine, mit Sahra Wagenknecht (Linke, rechts) an einer Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Verleger Frank Schirrmacher.Bild: Getty Images Europe

Und was ist mit dem Thema Ausländer? 
Fremdenangst ist in allen Gesellschaften vertreten. Gerade wenn es um Fremde geht, ist es geboten, einen solchen negativen Populismus zu bekämpfen. Denn kulturell sind Fremde eine Bereicherung. Die AfD schürt eher die Angst vor Fremden. 

Viele Menschen haben nun mal Angst vor Überfremdung. Im Parteiprogramm Ihrer Links-Partei jedoch ist die Rede von der Überwindung des Kapitalismus, von weniger Arbeitszeit bei höheren Löhnen. Ist das nicht von gestern? 
Die Überwindung des Kapitalismus ist überhaupt nicht von gestern, sondern brandaktuell. Papst Franziskus zum Beispiel sagte: «Diese Wirtschaft tötet.» Damit meinte er eine Wirtschaftsordnung, die auf Expansion ausgerichtet ist und immer wieder zu Wirtschaftskriegen um Rohstoffe und Absatzmärkte führt. Diese Wirtschaftsordnung ermöglicht auch schädliche Nahrungsmittelspekulationen und verschärft den Hunger in der Welt. Deshalb muss man dieses System überwinden. 

«Vermögen und Wohlstand sollten aber durch eigene Arbeit entstehen, also selbst erarbeitet werden.»

Ihr Problem ist bloss: Niemand hat bis heute eine funktionierende Alternative gefunden. 
Einem Wirtschaftssystem, das über die Jahrhunderte gewachsen ist, kann man nicht schnell, schnell eine Alternative gegenüberstellen. Im Kapitalismus wird man reich, indem man andere für sich arbeiten lässt. Vermögen und Wohlstand sollten aber durch eigene Arbeit entstehen, also selbst erarbeitet werden. Man muss dazu kein Marxist sein, sondern sich auf John Locke besinnen, der sagte: «Eigentum entsteht durch Arbeit.» Dieser Satz gilt in unserer Wirtschaftsordnung nicht. 

Dann sind Sie gegen Unternehmer, die investieren, Arbeitsplätze schaffen und Mitarbeiter haben, die für sie arbeiten. 
Ich habe nichts gegen Unternehmer, die tüchtig sind und arbeiten. Ich spreche über missratene Enkelinnen und Enkel, die Imperien erben und Milliarden «besitzen», ohne selber einen Finger zu rühren. 

Welche Schweizer Linken beeindrucken Sie? 
Ich schätze den Genfer Soziologen Jean Ziegler sehr. Er ist eine weltweit gehörte Stimme. 

Jean Ziegler: «Eine weltweit gehörte Stimme.»
Jean Ziegler: «Eine weltweit gehörte Stimme.»Bild: KEYSTONE

Herr Ziegler und Sie politisieren pointiert links. Doch pointiert ist selten erfolgreich. Würden Sie mit weniger dogmatischen, dafür mehrheitsfähigen Positionen nicht mehr erreichen? 
Eine linke Regierung muss sich mindestens darin einig sein, dass sie Entscheide für die weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten fällt, also vor allem für die Arbeitnehmer und Rentner. Demokratisch ist eine Gesellschaft nur, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. In Europa aber setzen sich die Interessen von Minderheiten durch. 

Wie meinen Sie das? 
In Südeuropa, aber auch in Deutschland haben wir real sinkende Renten und Löhne. Die Interessen der Mehrheiten setzen sich nicht mehr durch. 

Deutschland ist eine Demokratie, die Wähler können ihre Repräsentanten an der Urne abstrafen. 
Trotzdem ist das Prinzip ausgehebelt, wonach eine Demokratie eine Gesellschaft ist, in der sich Mehrheitsinteressen durchsetzen. Ein Beispiel: Ich habe während meiner Zeit als Finanzminister vorgeschlagen, Ordnung ins Finanzsystem zu bringen. Doch der Zeitgeist war geprägt vom Neoliberalismus. Das waren Zeiten, in welchen der Präsident der Deutschen Bundesbank, Tietmeyer, am Weltwirtschaftsforum in Davos unter Beifall der demokratischen Regierungschefs gesagt hat: «Von nun an sind Sie der Kontrolle der Finanzmärkte unterworfen.» Die Regierungschefs klatschten auch noch frenetisch, als er sagte, die Demokratie sei praktisch abgeschafft. 

Hätten Sie nicht gerade deshalb in der Regierung bleiben müssen, statt den Bettel hinzuschmeissen? 
Als ich feststellen musste, dass selbst mein eigener Regierungschef, Kanzler Schröder, mir die Unterstützung verweigerte, sah ich ein, dass ich keine Chance hatte, wichtige Veränderungen im Finanzsystem durchzusetzen. 

Duell: Schröder gegen Lafontaine.youtube/ard

Haben Sie sich seither mit Gerhard Schröder ausgesprochen? 
Gerhard Schröder ist nach wie vor davon überzeugt, dass seine Wirtschafts- und Sozialpolitik erfolgreich war. Dass dadurch Millionen Deutscher ärmer geworden sind, interessiert leider auch die meisten deutschen Zeitungen nicht, die ebenso wie Schröder Anhänger des Neoliberalismus sind. 

Haben Sie sich ausgesprochen? 
Das würde zu nichts führen. 

Schröder lobt Sie in seinen Memoiren. Er schreibt: «Bis heute halte ich an meiner Einschätzung fest, nie wieder einen so begabten politischen Menschen kennengelernt zu haben.» 
Schröder hätte mich nicht loben, sondern besser auf mich hören sollen.  

«Deutschland braucht nicht nur gute Beziehungen zu westlichen Staaten, sondern auch zu Russland.»

Was halten Sie von Schröders Freundschaft mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin? 
Ich halte es für richtig, dass die deutschen Kanzler – früher zur Sowjetunion, heute nach Russland – sich um erfolgreiche Beziehungen bemühen. Bei Brandt war es eine symbolische Fahrt auf dem Schwarzen Meer mit Breschnew, bei Kohl war das der gemeinsame Saunabesuch mit Jelzin. Und Schröder sass mit Putin im Schlitten. Deutschland braucht nicht nur gute Beziehungen zu westlichen Staaten, sondern auch zu Russland. Insofern war Schröders Russlandpolitik besser als diejenige Merkels, die mehr oder weniger fantasielos den Vorgaben Washingtons folgt. 

Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Lunch mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Lunch mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin.Bild: EPA

Auch Angela Merkel hat regelmässig Kontakt zu Putin. 
Ja, aber es kommt nichts dabei heraus. 

Und was hat Deutschland davon, dass alt Kanzler Schröder im Gazprom-Verwaltungsrat sitzt? 
Das ist ein anderes Thema. Trotzdem ist es auch gerade jetzt in der aktuellen Ukraine-Krise richtig, dass man auf eine Politik der Verständigung setzt. Wir brauchen Gesprächskontakte von Deutschland nach Russland.

Herr Lafontaine, Sie prägen die deutsche Politik seit Jahrzehnten. Sie sind 71 Jahre alt. Was treibt Sie an?
Man hat zwei Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten: Entweder man privatisiert, lässt es sich gut gehen und legt die Füsse auf den Tisch, wenn man etwas erreicht hat. Oder man erweist der Gemeinschaft einen Dienst. Ich versuche, Letzteres zu tun. 

Ist Politik eine Sucht? 
Wie jeder andere muss auch ich mit steigendem Alter mein Engagement dosieren. Im Zeitalter der Entpolitisierung ist politisches Engagement eher eine Pflicht. 

Eines Ihrer wichtigsten Themen ist der Euro. Sie waren von Anfang an ein Kritiker. Warum? 
Man braucht mehr Flexibilität im Währungssystem. Es gibt Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten. Diese kann man ausgleichen, indem man real abwertet, also Löhne oder Renten kürzt, Personal abbaut und so fort. Oder man kann den Währungskurs einsetzen und nominell abwerten. Das steht den Mitgliedern der EU jedoch nicht mehr zur Verfügung, weshalb ich dafür plädiert habe, an der Peripherie, etwa in Griechenland oder auf Zypern, wieder Wechselkurse einzuführen. Die Europäische Zentralbank müsste Regie führen und diese Währungen stützen. 

Haben wir aus der Finanzkrise von 2008 gelernt? 
Wenn überhaupt, dann nur sehr wenig. Die grossen Geldinstitute machen weiter wie bisher, Spekulationsgeschäfte sind nach wie vor an der Tagesordnung, hohe Boni werden wie eh und je ausbezahlt. 

Wird sich die Krise wiederholen? 
Wir stecken noch immer in der Krise, denn das Finanzsystem ist bis heute ungesund und instabil. Das zeigt das Beispiel der Deutschen Bank. Einer Grossbank, die gerade einmal vier Prozent ihrer Bilanzsumme für die Realwirtschaft aufwendet, der Rest ist Kasino.  

Regulierung und Bankenaufsicht wurden verstärkt. Was braucht es denn noch? 
Die Massnahmen zur Regulierung sind unzureichend. Das zeigt sich anhand der Bekämpfung der Steuerflucht: Mit grossem Getöse hat Europa die Zinssteuerrichtlinien verabschiedet, und Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sarkozy meinte schon, die Steuerflucht sei damit endgültig Geschichte. In Wirklichkeit war es ein laues Abkommen, das nur die Zinseinkünfte, nicht aber die Dividenden umfasst. Der grösste Teil der Einkünfte wird also ausgeklammert. Zudem betrifft es nur natürliche Personen, was dazu führte, dass plötzlich viele Gesellschaften entstanden. Das sind Briefkastenfirmen in Steueroasen wie Panama oder den Jungferninseln, die jetzt die Kontoinhaber in der Schweiz sind. Heute sieht man, dass die Einlagen weiter gestiegen sind, aber man erfährt nicht mehr, wem diese gehören. 

Die Situation in der Schweiz dürfte Sie glücklich machen: Das Bankgeheimnis ist tot. 
Das glauben viele. Das neue Buch des französischen Wirtschaftswissenschafters Gabriel Zucman beweist jedoch das Gegenteil: Das Bankgeheimnis funktioniert nach wie vor. 

Es ist praktisch unmöglich geworden, in die Schweiz zu kommen und Gelder am Fiskus vorbeizuschleusen. 
Das gilt für die Kleinen, ja. Die Grossen aber haben weiterhin alle Möglichkeiten, Steuern zu hinterziehen. 

Gestik eines Populisten? Oskar Lafontaine am Parteitag der Linken in Dresden 2013.
Gestik eines Populisten? Oskar Lafontaine am Parteitag der Linken in Dresden 2013.Bild: EPA

Sie waren ab 1998 während 186 Tagen Finanzminister in der Regierung Schröder. Hätten Sie sich auch so ins Schweizer Bankgeheimnis verbissen, wie das Ihre Nachfolger taten? 
Ich hätte mich nicht allein auf das Schweizer Bankgeheimnis gestürzt, denn es ist ja nur eines der Übel, die man bekämpfen muss. Luxemburg zum Beispiel hat genauso viel verbrochen wie die Schweiz. Ich hätte die Steuerflucht überall bekämpft. 

Jetzt auf

Dann haben Ihre Nachfolger also die falschen Prioritäten gesetzt, indem sie vor allem den Schweizer Bankenplatz ins Visier nahmen? 
Obwohl ich die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie und Dezentralität bewundere, kann man ihr eines nicht durchgehen lassen, nämlich die Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Und das werfe ich nicht den Schweizerinnen und Schweizern vor, sondern den Bankern, die das zu verantworten haben. 

Plötzlich aber standen Tausende von kleinen Bankangestellten unter Generalverdacht. 
Um die geht es nicht. Man muss die zur Verantwortung ziehen, die die Regeln aufstellen und die Geschäftspolitik der Banken bestimmen. Wenn die Politik es den Bankern erlaubt, aus Geldinstituten Zockerbuden zu machen, dann verführen sie die Banker, so zu handeln. Doch ein jeder trägt für sein Tun Verantwortung. Banker, die Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten, handeln kriminell und müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

DANKE FÜR DIE ♥
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