Der Schweiss tropft mir von der Stirn, mein Hemd ist klitschnass, der Sitznachbar müffelt, ich wahrscheinlich auch. Aber immerhin ist mein Gewissen rein. Und das der SBB.
Europa ächzt unter der nächsten Hitzewelle, und wieder hört man dieselbe alte Leier: «Fenster zu, Storen runter, viel Wasser trinken.» Aber bloss keine Klimaanlage!
Bei den Bundesbahnen ist man besonders stolz, dass man die Höllenhitze draussen nur auf Höllenvorhofhitze in den Waggons herunterregelt. Das spart nicht nur Geld, sondern wir retten gemeinsam das Klima. Toll! Ein trockenes Hemd wäre mir im Moment viel lieber.
In den SBB-Zügen verringern Klimaanlagen die Temperatur allerhöchstens um zehn Grad. In manchen sind gar keine verbaut. Auch in Wohnungen sind die kühlenden Geräte in der Schweiz eher eine Seltenheit. Zwar steigen auch hier die Verkaufszahlen leicht. Aber kein Vergleich zu anderen Weltregionen: In den USA verfügen rund 90 Prozent der Haushalte über ein Klimagerät. In der Schweiz nur 5 Prozent. Während in Amerika, Asien und im Nahen Osten Kühlung als Selbstverständlichkeit gilt, schwitzen wir lieber weiter. Aus Prinzip.
Dabei ist es doch absurd: In einer Region, in der der Sommer inzwischen regelmässig 35 Grad und mehr bringt, wird der Einsatz von Klimageräten verteufelt. Vielen gelten die Anlagen als Symbol des Exzesses, als Energieverschwender, als Klimasünder. Der Effekt? Büros werden zur Sauna, Altenheime zur Gefahrenzone und Schlaf wird zum Luxusgut. Für ältere Menschen kann das tödlich enden. Tatsächlich ist die Zahl der Hitzetoten in Europa mehr als viermal höher als in den USA.
Natürlich verbrauchen Klimaanlagen Strom. Doch es ist längst möglich, Geräte mit effizienter Technologie und Strom aus erneuerbaren Quellen zu betreiben. Das eigentliche Problem ist also nicht die Technik, sondern die ideologische Aufladung.
Statt nüchtern abzuwägen, was in einem heisser werdenden Klima nötig und sinnvoll ist, wird in Teilen Europas ein moralischer Kreuzzug gegen die Kühlung geführt.
Dabei ist es doch so: Wer den Klimawandel bekämpfen will, muss ihn zuerst mal aushalten können. Und zwar so, dass Menschen nicht reihenweise kollabieren. Dazu gehört der pragmatische Einsatz moderner Kühltechnik, in öffentlichen Gebäuden, Schulen, Pflegeeinrichtungen, Büros und auch im Zug. Klimaanlagen sind kein Luxus mehr. Sondern Teil der Anpassung an eine neue Realität.