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Jedes vierte Mädchen wird zum Opfer

Mädchen in Liberia.
Mädchen in Liberia.Bild: HANDOUT/REUTERS
Unicef-Report zu Gewalt gegen Kinder

Jedes vierte Mädchen wird zum Opfer

Schläge, sexueller Missbrauch und Psychoterror: Unicef hat eine weltweite Studie über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorgelegt. Die Ergebnisse sind erschütternd.
04.09.2014, 21:5806.09.2014, 14:58
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Bariria* war 15, als sie zwangsverheiratet wurde. «Mein Mann hat mich grundlos geschlagen», sagt das Mädchen aus Niger. Laut Unicef heiratet jedes dritte Mädchen in dem Land vor dem 15. Geburtstag. «Er drohte mir jedes Mal, wenn ich etwas sagte.» Als Bariria schwanger wurde, hielt sie es nicht mehr aus, flüchtete zurück zu ihren Eltern.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hat jetzt in New York einen Report über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorgestellt – 25 Jahre nach Inkrafttreten der Kinderrechtskonvention. Unicef-Angaben zufolge ist es die bislang größte Studie dieser Art. Basis sind Daten aus 190 Ländern (Hier gibt es das PDF in englischer Sprache zum Download).

In dem Bericht geht es um Schläge, sexuelle Gewalt und psychische Aggression. Das sind die zentralen Erkenntnisse:

  • Tödliche Übergriffe:
    Allein 2012 fielen weltweit rund 95'000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Viele von ihnen in Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem in Lateinamerika, der Karibik und Westafrika. Die meisten tödlichen Übergriffe gab es in Nigeria (13'000) und Brasilien (11000).
  • Gewalt in der Erziehung:
    Sechs von zehn Kindern zwischen zwei und 14 Jahren werden regelmäßig körperlich bestraft. Betroffen sind davon etwa eine Milliarde Kinder. Knapp jedes sechste Kind ist sogar heftigen Schlägen ausgesetzt. Drei von zehn Erwachsenen meinen, körperliche Züchtigung gehöre zur Erziehung. Diese Zahl wird größer, je geringer der Bildungsstand ist. In Ländern wie Ägypten, Jemen und dem Tschad werden sogar etwa 40 Prozent der Kinder mit heftigem Prügel bestraft.
  • Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen:
    Fast ein Drittel der 13- bis 15-Jährigen war im vergangenen Jahr an einer körperlichen Auseinandersetzung beteiligt. Ebenso viele Schüler dieser Altersgruppe sind regelmässig Opfer von Mobbing – oft in Verbindung mit physischer Gewalt. In Europa und Nordamerika gibt jeder dritte 11- bis 15-Jährige an, in den vergangenen Monaten mindestens einmal einen Mitschüler gemobbt zu haben.
  • Gewalt gegen Mädchen:
    70 Millionen Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren berichten, sie seien schon Opfer körperlicher Gewalt geworden. Das ist fast ein Viertel dieser Altersgruppe. Oft ist der Partner der Mädchen für die Übergriffe verantwortlich. So war weltweit knapp jedes dritte Mädchen, das in einer Partnerschaft lebt (84 Millionen), schon emotionaler, körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren Freund oder Ehemann ausgesetzt.
  • Sexuelle Gewalt:
    Schätzungsweise 120 Millionen Mädchen und junge Frauen unter 20 Jahren wurden mindestens einmal in ihrem Leben zum Geschlechtsverkehr gedrängt oder gezwungen. Meist geht die Gewalt von Partnern oder Freunden aus. Gut die Hälfte der Opfer zeigt die Taten nicht an und sucht auch keine Hilfe.
  • Einstellung zu häuslicher Gewalt:
    Ein Ehemann oder Partner ist dazu berechtigt, seine Frau gelegentlich zu schlagen – diese Meinung vertritt fast die Hälfte aller Mädchen und jungen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren. Weit verbreitet ist diese Ansicht vor allem im Süden und Norden Afrikas, im Nahen Osten sowie in Südasien.
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Hinter all den Zahlen verbergen sich Fälle wie der von Bariria. Weltweit sind Kinder und Jugendliche in ihrem täglichen Lebensumfeld nach Einschätzung von Unicef-Experten einem «erschreckenden Ausmass an körperlichen, sexuellen und seelischen Misshandlungen» ausgesetzt. In vielen Ländern ist derartige Gewalt demnach immer noch so selbstverständlich, dass sie nicht einmal infrage gestellt wird. Solche Taten gebe es in allen Ländern, allen Kulturen und allen Religionen. Lediglich fünf Prozent aller Kinder leben demnach in Staaten, die jegliche Form der Gewalt gegen Kinder ächten.

Ziel von Unicef ist es, solche Gewalt ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen, um sie bekämpfen zu können. Denn regelmäßigen Übergriffen ausgesetzte Heranwachsende haben laut dem Kinderhilfswerk nicht nur häufiger Lernprobleme, entwickeln ein geringeres Selbstvertrauen und leiden öfter unter Depressionen. Unicef-Exekutivdirektor Anthony Lake warnt auch: «Gewalt zieht Gewalt nach sich.» Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass misshandelte Kinder Gewalt als normal ansehen und diese auch in Zukunft gegen die eigenen Kinder oder Partner anwenden. (wit)

* Name von der Redaktion geändert

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