Wir erinnern uns, Frau X* war hier. Wir hatten Sex, falsch, wir hatten Sex*, eigentlich Sex***. Der Sex, das Wiedersehen, die gemeinsame Zeit, sie war unfassbar gut. Eigentlich zu gut.
Nun habe ich versprochen, euch Gefühle und Erkenntnis zum Erlebten zu liefern. Ich wollte verstehen. Mich, Frau X*, uns. Das hätte ich auch gewollt, würdet ihr nicht ständig mehr Analyse und Wiedergabe meiner Gefühle fordern. Das Problem dabei ist jedoch: Ich bin verwirrt. Und wenn ich etwas nicht leiden kann, ist es genau das. Schwierigkeiten, Herausforderungen, komplizierte Vorgänge, alles kein Problem, ich kann gut Lösungen finden, bin pragmatisch, schnell und einigermassen klug. Aber emotionale Verwirrungen sind der blanke Horror für mich. Je mehr ich mich anstrenge, zu entwirren, desto mehr verheddern sich meine Gedanken.
Es ist auch nicht so, dass ich eigentlich «schon weiss, was los ist», wie das Hanna immer sagt. «Tief drinnen, weiss man das doch.» Schön wär's! Je tiefer ich grabe, desto unklarer wird alles. Es ist wie beim Tauchen. Weiter unten sind zwar die richtig grossen, farbigen, schönen Fische, aber ohne Monstertaschenlampe sieht man die nicht. Die besitze ich nicht, um bei der Metapher zu bleiben. Ich wüsste nicht mal, wo ich mir eine solch gigantische Lampe besorgen kann. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als die Fakten zusammenzutragen.
Wir waren zwei Tage zusammen. Genauer: 3 Stunden in der Bar, danach 6 Stunden bei mir und die Nacht danach nochmals 8 Stunden. Das macht 17 Stunden insgesamt, was eher wenig ist.
Davor haben wir uns 9 Jahre, also 78840 Stunden, nicht gesehen, was eher viel ist.
Sie lebt nicht in der Schweiz und hat auch nicht vor, hier zu leben. Gerade ist sie in New York, das sind 8 Stunden mit dem Flugzeug und 6 Stunden Zeitverschiebung.
Ich habe sie in diesen 9 Jahren nicht vermisst.
Ich vermisse sie auch jetzt nicht, aber ich fände es gut, wäre sie hier.
Wir haben aktuell (fast) keinen Kontakt. Sie wollte das so. Sie meinte, es würde ihr weh tun. Sie hat mir drei Tage, nachdem sie abgereist ist, nur geschrieben, weil sie eine Blasenentzündung hatte. Bevor sie es sicher wusste, fragte sie, ob ich wirklich safe sei, was ich ihr versicherte. Damit sie keine Angst haben musste, habe ich einen Test auf alle mögliche STD's gemacht. Das war unser virtueller Austausch: keine Nacktfotos, sondern Chlamydien-Testergebnisse.
Jetzt fragt ihr, wie ich das alles finde. Wie meine Gefühle sind zu all dem. Und ich sage euch: Ich weiss es nicht! Manchmal denke ich, ich schmeisse hier alles hin, kaufe ein Ticket nach New York, singe vor ihrem Balkon kitschige Liebeslieder und verprügle den Anwalt, wenn er vor ihrer Tür auftaucht. Denn: So wie mit ihr fühle ich mich sonst nie.
Dann überlege ich, dass das auch gut ist. Würde ich mich nonstop so fühlen, wäre ich komplett im Arsch. Mir gefällt es, klar zu denken. Mir gefällt mein Leben. Ich bin auch nicht der Typ, der in einen Flieger steigt und um eine Frau kämpft. Ich bin nicht Hollywood. Ich bin das einfach nicht.
Und vielleicht finde ich sie nur so toll, weil sie nicht wirklich hier ist. Vielleicht würde meine Begeisterung nachlassen, wäre es anders. Ich habe sie nur 17 Stunden gesehen. Das ist wie ein dreiminütiger Trailer zu einem dreistündigen Film. Der Trailer kann super sein, aber im Kino langweilt man sich zu Tode, weil alles Spannende schon im Trailer zu sehen war.
Hanna fragte gestern, ob ich es schlimm finden würde, würde ich Frau X* nie wieder sehen und meine Antwort war «Ja». Hanna sagte: «Siehst du, da hast du es!» Aber ich habe es nicht. Heute Morgen bin ich nämlich aufgewacht und habe nochmals darüber nachgedacht. Wäre es wirklich so schlimm, wir würden uns nie wieder sehen? Es war die letzten neun Jahre ja auch so und die letzten neun Jahre waren absolut in Ordnung. Ich war 99% der Zeit zufrieden. 99% aufs Spiel zu setzen, dünkt mich sehr riskant.
Nun kommen wir zu Frau X*, der grössten Unbekannten. Ich weiss nicht, was sie von mir will. Vielleicht wollte sie einfach Sex. Wenn ich etwas für sicher weiss, dann, dass sie unseren Sex gut findet. Aber sonst? Ich weiss nicht, was sie fühlt. Als wir das vierte oder fünfte Mal Sex hatten, sagte sie, nachdem sie kam: «Fuck, ich bin so dumm.» Ich habe gefragt, was sie damit meint, aber sie hat wieder angefangen, mit mir zu schlafen, worauf ich die Diskussion nicht mehr so wichtig fand. Ich weiss nicht, warum sie sich dumm findet. Ich kann sie auch nicht fragen, weil sie ja keinen Kontakt will.
Weiter bin ich nicht. Oder anders gesagt: Für eure Lösungsansätze, Deutungen und Erklärungsversuche bin ich offen.
So long,
Ben
Wenn das wirklich so ist und wenn Du 99% der Zeit zufrieden bist, dann würde ich nichts ändern und vor allem mir wegen dem 1% nicht die 99% kaputtdenken.
Vielleicht aber stimmt das alles nicht mehr.
Vielleicht kannst es Dir nicht eingestehen, dass das mit den 99% gar nicht so ist.
Das würde bedeuten, das Du Dein Leben grundsätzlich überdenken müsstest.
Emotionen zu analysiere ist extrem schwierig, weil Gefühle nie rational sind.
Sonst verwirrt es das starke Geschlecht zu fest.