In der Bibel wird die Homosexualität als Gräuel dargestellt. Deshalb werten Freikirchen und die katholische Kirche gleichgeschlechtliche Praktiken als schwere Sünde.
Früher gingen Schwule und Lesben durch die Hölle. Die Jahrhunderte lange Verdammung der Homosexualität hatte sich tief in die Volksseele eingegraben. Bis in die Neuzeit wagten nur sehr mutige Homosexuelle ein Coming-out, denn es führte zur Stigmatisierung, Diskriminierung und Ächtung.
Am Anfang war nicht das Wort, wie es in der Bibel heisst, sondern die christliche Lehre, die die Homosexualität als abartig verteufelt. Für die Betroffenen die Hölle auf Erden. Entfacht von Geistlichen, die die Barmherzigkeit und Nächstenliebe als zentrales christliches Credo predigten.
Mit der Aufklärung und der 68er-Bewegung begann die Deutungshoheit der christlichen Meinungsträger zu bröckeln. Die Wissenschaften entlarvten die Vorstellung, dass Homosexualität die Folge eines Fehlverhaltens im moralischen oder religiösen Sinn sei, als fatalen Aberglauben.
Die christlichen Kirchen taten sich schwer, die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Erkenntnis zu akzeptieren. Während die protestantische Kirche relativ schnell reagierte, erschütterte der Zeitgeist die katholische Kirche im Mark. Die Freikirchen wiederum erstarrten in ihrem fundamentalistischen Bibelverständnis.
Inzwischen sind ein paar Jahrzehnte vergangen, doch die Nachwehen der unmenschlichen Sexualmoral sind in dogmatischen Kreisen noch nicht überwunden. Zwar ist die Toleranz auch in der katholischen Kirche und in vielen Freikirchen gewachsen, doch beide Institutionen werten homosexuelle Praktiken immer noch als Sünde.
Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass Gott die Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, auch in ihrer sexuellen Ausrichtung. Halt so, wie es in der Bibel steht.
Daran ändert auch der Umstand wenig, dass heute etliche Freikirchen Homosexuelle in ihren Gemeinden aufnehmen. Denn der Glaube, dass die Ursache der Homosexualität im Lebenswandel der Betroffenen zu suchen ist, geistert immer noch in vielen Köpfen der freikirchlich Gläubigen herum. Sie klammern sich an die irrige Idee, dass Homosexuelle geheilt werden können.
Zum Beispiel mit einer speziellen Therapie, der Konversionstherapie. Dabei sollen Schwule und Lesben mit religiösen Ritualen und Gesprächen «umgepolt» werden. Die «Therapien» reichen von Befreiungsgebeten bis zum Exorzismus.
Dieses Therapieverständnis ist menschenverachtend und Ausdruck einer religiösen Arroganz. Homosexuelle werden zu Sündern degradiert, die man auf den «richtigen Weg» bringen muss. Sie werden immer noch stigmatisiert und diskriminiert. Ihr ohnehin angeschlagenes Selbstwertgefühl wird weiter unterminiert.
Das ist eine psychische Tortur, die sowohl sinnlos als auch nutzlos ist. Die Suizidrate unter den Betroffenen ist vergleichsweise hoch. Die Konversionstherapien wurden in Deutschland und in einzelnen Kantonen verboten.
Auch die katholische Kirche stigmatisiert Homosexuelle immer noch. Zwar hat Papst Franziskus die Segnung von homosexuellen Paaren gegen den grossen Widerstand konservativer Kräfte erlaubt, doch Schwule werden immer noch als Sünder betrachtet.
Eine Studie der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) kommt zum Schluss, dass religiöse Menschen stärkere Vorurteile gegenüber der Homosexualität als der Rest der Bevölkerung haben. Anders bei den Religionslosen. Nur rund sechs Prozent von ihnen betrachten Homosexualität als unmoralisch und lehnen die Ehe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern ab.
Bei Mitgliedern von Freikirchen liegen die Raten bei über 50 Prozent, respektive 70 Prozent. Vorurteile und rigide Sexualmoral sind also immer noch tief im Bewusstsein vieler Gläubigen verankert.
Das LGBTQ-Panel, das regelmässig die gesellschaftliche Situation von queeren Menschen untersucht, hat ergeben, dass rund 75 Prozent der homosexuellen Gläubigen ihrer religiösen Gemeinschaft verschweigen, dass sie schwul oder bisexuell sind.
Sie haben aber mehrheitlich keine Mühe, sich in ihrem Familien- und Freundeskreis zu outen. Dies ist ein klarer Hinweis, dass viele Freikirchen weiterhin ein verkrampftes Verhältnis zur Homosexualität haben.
Was das bedeutet, schilderte Lea Blattner vor ein paar Tagen im «Tages-Anzeiger». Die junge Frau geriet als Teenager in eine Freie Evangelische Gemeinde und war viele Jahre in ihr aktiv.
Lea Blattner fasste ihre Erlebnisse so zusammen: Homosexualität durfte es in der Freikirche nicht geben, sie wurde schlicht totgeschwiegen. Als sie 19 war, vertraute sich die Baselbieterin ihrem Pastor an. Dieser hörte ihr aufmerksam zu und sagte: Kein Problem, das heilen wir.
Im ersten Moment fühlte sich Lea Blattner erleichtert, doch dann begann ihre Leidenszeit erst richtig. Sie pilgerte von einem Heilungsgottesdienst zum nächsten und absolvierte mehrere Konversionstherapien. Dabei wurde ihr laut Tages-Anzeiger eingetrichtert, Homosexualität sei eine Krankheit oder eine Sünde.
Die Gemeindeleiter versuchten, bei ihr Dämonen auszutreiben und sie «freizubeten». Doch ihre Hoffnung schlug bald in Verzweiflung um. Die «Glaubenstherapien» endeten vorübergehend in einer psychiatrischen Klinik.
Doch es half alles nichts, ihre Gefühle liessen sich nicht umpolen. Sie war verzweifelt und fragte sich, weshalb sich trotz der vielen Bemühungen bei ihr nichts änderte. Sie suchte den Fehler bei sich.
Schliesslich brach sie die Konversionstherapien ab und begann, die Bibelverse zu hinterfragen, die ihr jahrelang eingetrichtert worden waren. Verse, die die Homosexualität als Gräuel bezeichnen.
Hilfe fand Lea Blattner schliesslich im Internet. Sie hatte Gläubige gesucht, die ebenfalls homosexuell waren. Schliesslich stiess sie auf den Verein «Zwischenraum», der den Austausch unter Betroffenen organisiert.
Nun begann ihr Weg zur wirklichen Heilung. Am Schluss fragte sie sich, ob sie mit dem Glauben noch etwas zu tun haben wollte, der ihr so viel Schmerz und Leid zugefügt hatte.
Ihre Entscheidung: «Gott ist da, unabhängig von Geschlechtlichkeiten. Er ist Liebe, und seine Liebe ist bedingungslos.» Jesus habe nie jemanden ausgeschlossen. «Also wer sind wir, die es tun?», fragte sie sich.
Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Lea Blattner hat in ihrem religiösen Umfeld Freunde verloren: «Was ich höre, ist: Ich liebe dich, aber ich kann eine Person, die Sünde in ihrem Leben hat, nicht akzeptieren.»