Hallo zusammen, ich bin Emma und ich bin fremdgegangen.
So könnte das in etwa bei den anonymen Betrügern tönen, täte es die geben.
Ich würde aber sofort ein Sätzli hinterherschicken. Ich, Emma, habe meinen Freund nicht hardcore betrogen. Ich habe mit keinem anderen geschlafen. Ich habe einfach fremdgeknutscht. Und es hat nichts bedeutet.
Kann ich jetzt gehen?
Ich könnte wahrscheinlich nicht. Ist ja nicht so simpel. Fremdknutschen, drei Sätze sagen und gut ist.
Aber von Anfang an. Ich mach neulich einen Städtetrip mit meinem schwulen Nachbarn und seinem Freund. Sandro will nicht mit. Was ultra easy ist. Uns gibt's schliesslich und ganz bewusst nicht nur im Doppelpack.
In Tel Aviv jedenfalls hat es sehr schöne Menschen. Mit Menschen meine ich vor allem Männer. Und je später die Nacht und je besser die Party, desto schöner werden sie. Finden die Schwulen, finde ich.
Der Schönste an diesem Abend heisst Yosef. Yosef ist krass. Schwarze Haare, sehr dunkle Augen, sehr muskulöse Arme, sehr braungebrannt. Yosef ist mit ein paar Kumpels da. Sein Englisch ist mindestens so sexy wie sein Bizeps.
Wir kommen ins Reden. Worüber wir schwatzen, weiss ich nicht mehr. Ich weiss nur noch, dass der Bass irgendwann krass wird und ich schwach werde. Yosef schnallt's, drückt mich an irgendeinen Pfosten und küsst mich.
Er küsst und küsst und küsst und ich finds toll, toll, toll.
Ganz kurz denke ich an Sandro. Ich vermisse ihn und vermisse ihn nicht. Sandros Küsse sind mein Daheim. Das hier ist aber grad der sehr grüne verbotene Rasen von nebenan. Yosef will jetzt gehen. In seiner WG ist niemand daheim. Ich überlege ganz kurz, ob ich das durchziehen will.
Mein Körper will. Mein Herz nicht.
Herz über Kopf.
Yosef ist jetzt beleidigt. Yosef nervt.
Die Schwulen wollen weiter. Ich spaziere zum Hotel zurück. Es ist kurz vor 3 Uhr.
Ich wähle Sandros Nummer. Facetime. Er geht ran. «Mazel tov», sagt er und lacht.
Dieses spitzbübische Lachen. Ich liebe es. Liebe ihn. Liebe uns.
Genau das sage ich. Gefolgt von einem «Du, ich hab vor einer halben Stunde mit einem unsympathischen, aber sehr schönen Einheimischen geknutscht.»
Jetzt kann alles passieren.
Mein Herz rast. Ich spüre den Puls im Kopf. Meine Hände sind etwas schwitzig.
Sandro sagt, er brauche rasch einen Moment. Er müsse schauen, ob da Wut oder Enttäuschung kommt. Ich warte mit. Es vergehen zwei, drei Minuten, in denen wir uns immer wieder anschauen. Ich gucke wohl panisch. Er muss immer wieder lachen.
Vielleicht ein Zeichen von Unsicherheit.
«Du, da kommt kein negatives Gefühl auf», sagt er. «Ems, ich mag dir das irgendwie gönnen. Weisst du noch früher? Wir haben ständig mit anderen gevögelt, um dann am Ende doch immer am liebsten bei dir oder bei mir zu landen? Wir waren doch immer unser Daheim. Das ist, was zählt!»
Sandro kommt jetzt richtig in Fahrt. «Mir fehlt es manchmal auch, eine andere zu küssen, zu fühlen, zu schmecken. Ja, ich denke an Sex mit anderen. Tust du das auch, Ems?»
«Sicher nöd», sage ich und lache.
«Eben!»
Ja, Moment, will er jetzt hier morgens um 3 Uhr unsere Beziehung öffnen?
«Weiss nicht, Ems!»
Ich weiss es auch nicht.
Was wir aber beide wissen, ist, dass wir uns lieben. Die Liebe wollen wir exklusiv. Den Sex? Irgendwie auch und dann irgendwie auch nicht.
Wir müssen wohl über die Bücher. Wir beenden das Telefonat mit Ufzgi, die wir uns selber geben.
Bis wir uns in ein paar Tagen wiedersehen, machen wir uns Gedanken. Die wir dann einander präsentieren.
Ich muss drum jetzt los. Eine Pro- und Contra-Liste schreiben. Die ich euch eventuell in zwei Wochen präsentiere.
Habt ihr auch Argumente dafür und dagegen? Okay, rhetorische Fragen! Schiesst los.
Ich will es nur selbst noch nicht ganz einsehen, aber das Vertrauen nimmt ab bei jeder neuen Person.
😂
Argumente. keine.
(oder kurz gesagt, ich könnte es nicht)