Das letzte Mal so stolz waren meine Eltern auf mich, als ich in der Oberstufe eine 4,5 in Mathe hatte. Vielleicht war es auch Geometrie. Oder Physik oder Chemie. Halt einfach eines dieser Scheiss-Fächer, in denen ich genau ein einziges Mal eine 4,5 hatte.
Für mich war das schon okay. Für meine Eltern war es gefühlt der beste Tag ihres Lebens als Eltern.
Aktuell sind sie aber vielleicht sogar noch etwas stolzer. Der Grund: Ich wohne schon seit Monaten mit Sandro zusammen, ohne dass jemand von uns abgehauen ist oder das Haus angezündet hat.
Es ist nicht nur nicht dramatisch, es ist sogar cool, so zu zweit in einem Daheim. Manchmal aber ist es auch anstrengend. Und nervig. Und ultra unsexy.
Neulich sitzen wir am Küchentisch und ziehen zusammen Bilanz. Wir überlegen uns zehn Dinge, die wir gelernt haben, seit wir hier sind.
Irgendwann ist der Point of no return erreicht. An Sandros Moment erinnere ich mich sehr gut. Ich in der Küche, er im Bad. Wir schwatzen. Dann hörte ich es plumpsen. Ich fragte, ob das jetzt wirklich das war, das ich befürchte. Er lachte. Seit da lässt er die Türe regelmässig offen und will sich über seine besten Kackwürste austauschen. Was wir daraus lernen: Ich weiss es noch nicht ganz genau. Ich weiss aber, dass alle Männer und Freunde meiner Freundinnen null Hemmungen in Sachen big Business haben. Sandro sagt, offene WC-Türen sind ultimative Liebesbeweise. Ich erachte sie derweil eher als Sex-Töter.
Je mehr Zeit man zusammen verbringt, desto mehr Zeit hat man für Sex, desto weniger Lust hat man auf Sex. Warum das so ist, weiss ich nicht. Sandro geht's ähnlich. Seit wir hier wohnen, vögeln wir weniger, kuscheln aber bedeutend mehr. Ob das okay ist? Okay? Es ist wunderbar!
Wir glauben, der schwindenden Libido gekonnt den Mittelfinger gezeigt zu haben. Wir machen das, was auf Papier unsexy klingt, im real life aber super funktioniert: Donnerstags treffen wir uns zum Sex. Oder nicht Sex. Offiziell sagen wir, es geht um Zweisamkeit und es müsse nicht zu Sex kommen und Bla Bla Bla … Es kam bis jetzt noch jedes Mal zum Sex. Okay, ausser zwei Mal. Da war das Serienbinge-Fieber grösser als das Feuer der Leidenschaft.
Manchmal will man alleine sein. Vor allem, wenn man so lange alleine gewohnt hat wie Sandro und ich. Das muss man aber unter einem Dach zuerst lernen. Man muss aushalten und okay damit sein, dass der eine im Wohnzimmer TV schaut, während der andere genau das gleiche im Schlafzimmer tut. Das ist null schräg. Im Gegenteil. Allein sein und wissen, dass der Lieblingsmensch nur 12 Schritte entfernt ist, ist uh schön.
Machen wir es kurz: Wo früher Sexting stattgefunden hat, stehen heute Dinge wie «Kannst du noch Geschirrspüler-Tabs und Allesreiniger kaufen? Danke.» Sende ich dazwischen ein Nacktbild, mutet dieses schon fast schräg an. Das ist eventuell ein bisschen traurig. Immerhin reiht es sich in viele andere Bilder ein. Zum Beispiel in das des gewünschten Allesreinigers, in das vom Wäschekorb mit Sandros Socken daneben statt darin und in das aktiv aggressive Foto des leeren Kühlschranks mit der Frage: WO IST MEIN ZITRONENJOGHURT, DU TUBEL!?
Sandro trägt daheim lange Unterhosen mit Löchern. Vorzugsweise in hellblau. Ich Leggins. Gerne auch mit Löchern. Sonntags finden wir es beide voll okay, erst am Abend zu duschen. Wenn überhaupt.
Kollege Volksmund sagt, man ist, was man isst. Ich bin nicht ganz sicher, ob das stimmt. Würde es das, müsste Sandro mindestens 180 Kilo wiegen. Das zeigt mir jeden Blick in den Kühlschrank, wenn er einkaufen war. Schoggicréme mit Sahnehäubchen, Käse en masse, Salami, irgendwelche abgepackten Crémeschnitten und hie da eine Packung Tomätli, die, wenn ich sie nicht verwerte, irgendwann vor sich hin schimmelt. Sandros Kühlschrankinhalt ist also kein Abbild seines Bodys, aber seiner Soul. Die setzt schliesslich auch ganz auf «Gönn dir»!
Bevor ich mit Sandro zusammengezogen bin, wusste ich nicht, was für einen grünen Daumen er wirklich hat. Und wie konsequent liebevoll er den Tisch deckt. Und wie sehr er alles flicken und zusammenbauen kann. Sandro ist ein Heimwerkerkönig. Mir fällt gerade nichts ein, das ich jetzt in den Vierzigern noch sexier finden könnte.
Muss nichts grosses sein, dafür aber gerne regelmässig.
Einfach genügend Zeit für ein schönes Essen einplanen, eine gute Flasche Wein öffnen, Mobiles weglegen, Gespräche über die letzten Tage und die nahe und weiter entfernte Zukunft führen (halt Dinge die im Alltag zu kurz kommen) und Ja: Natürlich sehr gerne auch Sex haben wenn es passt (was es dann meistens tut).