2026 wird die Schweiz 3 entscheidende Herausforderungen meistern müssen
Es war einmal eine offene, berechenbare Welt, aufgebaut auf gemeinsamen Regeln und Werten. Eine Welt, in der die Schweiz, eingebettet zwischen Bergen und Seen, mit beinahe unverschämter Zuversicht voranschritt, gestützt auf ihren Pragmatismus und ihre Beherrschung der Kunst des Kompromisses. Die Ordnung schien unveränderlich, die Bündnisse beruhigend, die Stabilität gesichert. Diese Welt gibt es nicht mehr!
Das Jahr 2025 hat uns dies auf brutale Weise in Erinnerung gerufen – mit der Rückkehr des Protektionismus, der Verschärfung bewaffneter Konflikte, einer neu gestalteten Dynamik des internationalen Handels und einer zunehmend multipolaren Weltordnung. In diesem unsicheren Umfeld scheint die Schweizer Festung standhaft zu bleiben. Aber es ist klar: Standhaftigkeit reicht nicht mehr aus, denn Widerstand schützt zwar die Gegenwart, aber nur Entscheidungen gestalten die Zukunft. Und 2026 kündigt sich als ein Jahr an, in dem gehandelt, gewählt und geklärt werden muss.
Mit dabei: Nicolas Feuz (Schriftsteller), Anne Challandes (Schweizer Bauernverband), Roger Nordmann (Berater, ehem. SP-Nationalrat), Damien Cottier (FDP), Céline Weber (GLP), Karin Perraudin (Groupe Mutuel, ehem. CVP), Samuel Bendahan (SP), Claude Ansermoz (ehemaliger Chefredaktor von «24 Heures»), Ivan Slatkine (Präsident der FER) und die QoQa-Otte.
Angesichts eines auf die Probe gestellten Wohlstands kann sich die Schweiz nicht mehr damit begnügen, sich auf ihren Errungenschaften auszuruhen. Sie muss Stellung beziehen, definieren, was sie bewahren möchte, was sie anpassen muss und was sie unter keinen Umständen verlieren will. Es gibt drei grosse Herausforderungen, die daran erinnern, und alle werfen dieselbe Frage auf: Welche Schweiz wollen wir den künftigen Generationen hinterlassen?
Die Europäische Union und die Bilateralen
Die erste Herausforderung, jene, die uns zum Handeln zwingt, betrifft unsere Beziehungen zu unserem wichtigsten Wirtschaftspartner: der Europäischen Union. Die Bilateralen III, die 2025 intensiv diskutiert wurden, werden sich als eines der entscheidenden Themen der kommenden Jahre erweisen. 2026 wird der Bundesrat seine Botschaft zu diesen Abkommen bekanntgeben, mit einem klaren Ziel: unsere Beziehungen zur EU zu festigen und zu beleben.
Diese Konsolidierung war noch nie so wichtig wie heute. In einer Welt, in der Allianzen brüchiger werden, ist Stabilität kein Luxus, sondern eine Voraussetzung für wirtschaftliches Überleben. Deshalb kann unser Wohlstand weder auf Glück noch auf Improvisation beruhen, sondern nur auf einem stabilen und dauerhaften Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Manche werden behaupten, man könne darauf verzichten.
Und ein solches Risiko einzugehen, indem wir auf Isolation und eine Schwächung unseres Wirtschaftsstandorts setzen, wäre ein schwerer Fehler, dessen Preis von der gesamten Bevölkerung – und erst recht von den künftigen Generationen – bezahlt würde.
Dabei bedeutet die Konsolidierung und Dynamisierung des seit über 25 Jahren bewährten bilateralen Wegs nicht, dass die Entwicklung von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten aufgegeben werden muss, die für den Wohlstand der Schweiz ebenso notwendig sind.
Die vereinfachte Lösung der SVP ablehnen
Die zweite Herausforderung, jene, die eine Entscheidung erzwingt, hängt mit der Abstimmung über die SVP-Initiative «Keine Schweiz mit 10 Millionen» zusammen. Auf den ersten Blick scheint die Initiative ein Nachhaltigkeitsanliegen zu adressieren. In Wirklichkeit bedeutet sie jedoch das Ende der Personenfreizügigkeit und damit auch das Ende der bilateralen Abkommen, des Zugangs zum europäischen Markt und der Mobilität der Arbeitskräfte, die unsere KMU und Institutionen so dringend benötigen.
Und genau hier bricht die Illusion zusammen, denn man schützt den Wohlstand der Schweiz nicht mit Slogans, die die Mechanismen zerstören, die ihn ermöglichen, genauso wenig wie man die Lebensqualität bewahrt, indem man die Wirtschaft stranguliert, die sie finanziert. Angesichts einer alternden Bevölkerung würde eine Begrenzung der Einwohnerzahl unseres Landes auch unser Renten- und Gesundheitssystem zum Kollaps bringen – ganz zum Ärger der Bevölkerung. Diese Initiative bietet keine Lösung, sondern führt eindeutig in eine Sackgasse. Und eine Sackgasse ist niemals ein akzeptables Erbe. Wählen heisst 2026 also, Abkürzungen abzulehnen, die Rückzug als Schutz und willkürliche Obergrenzen als verantwortungsvolle Politik tarnen.
Das AHV-Vorsorgesystem reformieren
Die dritte Herausforderung besteht darin, die Zukunft unserer Altersvorsorge zu klären, die zu den wichtigsten sozialen Errungenschaften unseres Landes zählt. Unsere erste Säule, die AHV, ist heute mit einer doppelten Belastung konfrontiert:
- einer alternden Bevölkerung,
- dem Renteneintrittsalter der Babyboomer.
Die Annahme der 13. Rente im Jahr 2024 – deren Finanzierung noch festgelegt werden muss und deren erste Auszahlung im Dezember 2026 erfolgen wird – macht die Reform noch dringlicher. Um diesem Druck zu begegnen, wird der Bundesrat 2026 die Botschaft AVS30 verabschieden, eine Revision, die die Finanzen bis 2030–2040 konsolidieren und das System modernisieren soll.
Auch wenn die ersten vom Bundesrat angekündigten Leitlinien nicht einstimmig begrüsst wurden, muss der endgültige Entwurf unbedingt ein tragfähiges Gleichgewicht finden, das eine Mehrheit hinter sich vereinen kann. Warum? Weil, wenn eine Reform scheitert, das Vertrauen in das gesamte System ins Wanken gerät. Ist sie hingegen erfolgreich, schafft sie Stabilität für künftige Generationen.
Drei Herausforderungen, die nur eine sind
Die drei Herausforderungen, vor denen wir stehen, – Massnahmen für unsere Beziehungen zu Europa, die Ablehnung dessen, was unsere Zukunft gefährdet, und die Klärung der Stabilität unserer Altersvorsorge – lassen sich nicht auf technische Fragen reduzieren. Sie erzählen die Geschichte unseres Landes und stellen das Erbe dar, das wir den kommenden Generationen hinterlassen wollen.
In dieser Hinsicht muss die Schweiz weiterhin Offenheit, Klarheit und Überzeugung miteinander verbinden, denn jede Entscheidung, heute wie morgen, prägt unsere Stabilität, unseren Zusammenhalt und unseren Wohlstand. Die Herausforderungen reichen über 2026 hinaus: Es geht darum, diesen Werten auch in allen künftigen Entscheidungen treu zu bleiben. Es liegt an uns, zu beweisen, dass wir diesen Mut noch haben.
Seit 2015 ist er Präsident des Verbands der Unternehmen der Romandie (FER), der über 47'000 Mitglieder in den Kantonen Genf, Wallis, Freiburg, Neuenburg und Jura zählt. Zudem ist er Vizepräsident der CIEPP, einer gemeinnützigen Vorsorgeeinrichtung mit fast 50'000 Mitgliedern.
