Cher sagt auch heute noch, dass Tom Cruise zu ihren «fünf besten Liebhabern» gehörte. Damals in den Achtzigern, als Cruise gerade dabei war, ein Superstar zu werden. Er war 23, sie 39, er war sehr scheu, sie nicht, es war vor dem Dreh zu «Top Gun» und er war noch nicht bei Scientology. Er war noch ein anderer Mensch. Zwei Jahre später, 1987, heiratet er die Schauspielerin und Scientologin Mimi Rodgers.
Die beiden lernen sich kennen, als Cruise zu seinem «Auditing» geht, seinem Initiationsprozess, Rodgers ist seine Auditorin. Cruise verliebt sich immer wieder in Frauen, mit denen er zusammenarbeitet. Nicole Kidman trifft er beim Dreh zu «Days of Thunder», Penélope Cruz am Set von «Vanilla Sky», Katie Holmes trifft er bei einem Gespräch über eine mögliche Rolle für sie in «Mission Impossible».
Bei Scientology findet Cruise, was er früher schon suchte und nicht fand. Nicht im Katholizismus, als er sich überlegte, Priester zu werden. Und erst recht nicht im Alkohol, was ihm einen Rausschmiss aus dem Priesterseminar und aus seiner geliebten Football-Mannschaft eintrug. Bei Scientology findet er harte Regeln. Gebrauchsanweisungen fürs Leben.
Und er findet Leute, die ihn zum neuen Christus aufbauen wollen. Sie spinnen ihn in einen Kokon aus Umsorgen und Überwachen ein, das Personal in seinen Häusern wird ihm von Scientology zur Verfügung gestellt, es handelt sich dabei um eine Art Sklaven, sie verdienen nichts und informieren Scientology über jeden seiner Schritte.
Cruise fliegt von Kinoerfolg zu Kinoerfolg, dreht mit De Palma, Scorsese, Coppola, Spielberg, Oliver Stone, Ridley Scott. Scientology trichtert ihm ein, dass es für ihn keine Grenzen gibt, und er hält sich daran. Wird zum Superkörper. Zum Mann, der die verrücktesten Stunts selbst dreht. Er schuftet wie ein Besessener und erkämpft sich die Bewunderung von Kollegen und Publikum. Wo Cruise draufsteht, ist härteste Arbeit drin. Er betont – auch heute noch –, dass er sein Leben einzig fürs Publikum aufs Spiel setzt.
Scientology trichtert ihm ebenfalls ein, dass er als Übermensch die Pflicht, nein, die «Autorität» habe, wie er das in einem gespenstischen Video nennt, andere zu retten. Bei einem Unfall zu helfen. Dafür zu sorgen, dass ein Krimineller nicht rückfällig wird. Gegen Drogen zu kämpfen. Ein echter Mann zu sein. Und ein Ritter. Ein Gesetz über dem Gesetz. Ein typischer Cruise-Held eben.
Auch daran hält er sich. Hilft mehrfach wildfremden Menschen in Not. Sorgt dafür, dass seine Filmpartnerinnen stets im besten Licht stehen, kommt morgens mit Kaffee für alle zur Arbeit und kennt jeden Kabelleger mit Namen. Im Grunde ein Traummann, es wäre bloss schön, wenn er von alleine auf all die Ideen gekommen wäre.
Ende der Neunziger will ihn Scientology in seine dunkelsten Kulthandlungen einweihen. Das ist zu viel, Cruise wähnt sich in einem Science-Fiction-Film, steigt aus und zieht sich zwei Jahre lang mit Nicole Kidman und Stanley Kubrick zum Dreh des Erotikkult-Traumspiels «Eyes Wide Shut» zurück. Doch Scientology will und holt ihn zurück. So gründlich, dass sich Kidman nach zehn Jahren scheiden lässt. So gründlich, dass er 2004 in einem Interview mit «Rolling Stone» sagt: «Some people, well, if they don't like Scientology, well, then fuck you. Really, fuck you. Period.»
Das Problem, das ihn beinahe seine Karriere kostet, ist, dass er sich plötzlich nicht mehr im Griff hat. Sein Drang, für Scientology zu missionieren, steigt ins Unerträgliche. Und als er 2005 bei Oprah Winfrey vor Liebe zu Katie Holmes betäubt – es wirkt, als stünde er komplett unter Kokain – aufs Sofa hüpft, ist dies neben der Ohrfeige von Will Smith der bis heute peinlichste Moment der Hollywoodgeschichte.
Und dann beleidigt er auch noch Brooke Shields, weil sie beschreibt, wie sie ihre postnatale Depression mit Psychopharmaka behandelt hat. Medikamente sind Drogen, sagt Cruise, inakzeptabel. Für kurze Zeit steht er ohne Studio da, «Mission Impossible» ist in Gefahr, der Held ist zur Lachfigur geworden, fast könnte man ihn jetzt den Till Schweiger von Hollywood nennen.
Schliesslich flieht auch Katie Holmes und erstreitet sich das alleinige Sorgerecht für Tochter Suri, es ist die grösste Niederlage für Cruise und Scientology, Holmes wurde einst sorgfältig ausgewählt und zurechterzogen, und Scientology-Chef David Miscavige war Trauzeuge.
Und jetzt? Als sich die diesjährigen Oscar-Nominierten im Februar zu ihrem legendären Mittagessen treffen, steht Cruise im Mittelpunkt. Gestandene Diven wie Michelle Yeoh und Jamie Lee Curtis fallen fast in Ohnmacht. Austin Butler wirkt erleuchtet. Guillermo del Toro flattert. Ke Huy Quan dreht durch. Malala schwärmt. Spielberg sagt, Cruise habe das Kino gerettet. Und Cruise findet das durchaus auch.
Es geht schon seit ein paar Jahren so, der heute 60-Jährige ist beliebt wie nie. Todd Field, der Regisseur des Oscar-nominierten Cate-Blanchett-Epos «Tár», erzählt, Cruise habe ihm damals, beim Dreh von «Eyes Wide Shut», als Field noch Schauspieler werden wollte, den richtigen Weg gezeigt: Er sei mit ihm in einer Drehpause Kaffee trinken gegangen und habe ihm freundlichst erklärt, dass in ihm wirklich kein Schauspieler, aber möglicherweise ein überaus begabter Regisseur stecke. Später half er Field, seinen Debütfilm «In the Bedroom» vor den Eingriffen von Harvey Weinstein zu retten, und Field erhielt fünf Oscar-Nominationen. Cruise, der Ermöglicher.
Als die Jury der Golden Globes 2021 wegen mangelnder Diversität angegriffen wird, schliesst er sich dem Protest an und gibt als Einziger seine drei Trophäen zurück. Cruise, der Gerechte.
Was also ist passiert? Hat Cruise Scientology für immer den Rücken gekehrt? Hat er nicht. Er hat bloss aufgehört, darüber zu reden. Hält die Klappe. Äussert sich nicht mehr zu seiner Kirche und seinem Privatleben, das ist die Voraussetzung für jedes seiner Interviews. Über alles andere redet er gern, am liebsten über seine Filme und die der anderen, er ist ein glühender Anwalt des Kinos und setzt sich in diversen Verkleidungen regelmässig in Publikumsvorstellungen.
In den 2010er-Jahren ist sein Image rehabilitiert. Alle sind erleichtert. Auch Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, die Cruise 2005 eine Ehrenbürgerschaft mit scharfer Kritik an seiner Scientology-Mission verweigerte, lässt sich jetzt gern mit ihm vor dem Eiffelturm fotografieren.
Als «Top Gun: Maverick» wegen der Pandemie direkt von einem Streaminganbieter hätte übernommen werden sollen, hielt er den Film zwei Jahre lang zurück. Bis die Kinos wieder öffneten. «Die Leute haben 34 Jahre auf den Film gewartet, da können sie auch länger warten», sagte er. «Top Gun: Maverick» wurde zum erfolgreichsten Film seiner Karriere, mit 623'368 verkauften Eintritten auch in der Schweiz. Jetzt ist er für sechs Oscars nominiert, so dankbar ist die Branche.
Grössenwahnsinnig ist er immer noch, aber wie soll er das auch nicht sein, wenn er Titel erhält wie «der letzte echte Filmstar», körperlich auch mit 60 noch den Rest von Hollywood in den Schatten stellt, Unterhaltung beherrscht wie kein anderer und ein paar grossartige Filme fürs Arthouse-Publikum gedreht hat, in denen er auch Selbstironie beweist (etwa als Guru-Coach in Paul Thomas Andersons «Magnolia»).
Sein Perfektionismus ist gefürchtet und für ihn wahrscheinlich sowas wie Sex. Nett, höflich, zuvorkommend, unterstützend und hilfsbereit ist er auch immer noch, wie das der Code of Conduct von Scientology verlangt.
Aktuell hat er seine Zähne nur dezent gebleacht, und sein Lachen, von dem es früher hiess, dass es als Maske noch in seinem Gesicht hängen bleibt, wenn ein Witz schon längst verraucht ist, hat jetzt das richtige Timing. Alles ist perfekt. Die Leistung verdient Respekt. Es steckt viel Gutes in dem Mann. Und immer noch viel Scientology.
Das Zürcher Programmkino Xenix zeigt im April eine Retrospektive zu Tom Cruise.
Aber klar, sein Sektenzeugs kann ich nicht ab, null Verständnis dafür….aber den Schauspieler Tom Cruise und seine Filme mag ich schon.
Aber als Schauspieler finde ich ihn grossartig. Egal, welche Rolle er mimt (vermutlich auch die der "Privatperson" Cruise), er ist immer voll dabei. Und er kann alles spielen. Vom Actionheld ala MI oder TopGun, über den Verbrecher, den man trotzdem irgendwie sympatisch findet (Collatetal), bis hin zum selbstironischen, ungepflwgten Produzenten in Tropic Thunder (wo man ihn fast nicht erkennt).
(Eine Marketingmaschine)