1943 stürzt die 31-jährige Margaret in einen Liftschacht, stirbt beinahe und als sie sich wieder vom Krankenlager erheben kann, ist sie sexsüchtig. So jedenfalls beschreiben ihre Bekannten die Verwandlung.
Aber beginnen wir von vorn. Margaret Whigham kommt 1912 als Tochter einer legendär verwöhnten Mutter und eines Vaters aus einer verarmten schottischen Familie in Schottland zur Welt, doch ihre ersten 14 Jahre verbringt sie in New York. Sie ist gerne Einzelkind. So gerne, dass die schlimmste Drohung ihrer Eltern lautet: «Wenn du nicht gehorchst, kriegst du ein Brüderchen oder Schwesterchen!» Margaret verachtet Gleichaltrige.
Ihr Vater schafft es dank der guten Beziehungen, die seiner Familie trotz aller Verluste geblieben sind, vom Eisenbahningenieur zum internationalen Kunstfaser-Multimillionär. Bei einem Aufenthalt in der Schweiz hatte er 1921 die Gebrüder Dreyfus aus Basel kennengelernt, drei Chemiker, die sogenannt «künstliche Seide» herstellen konnten, eine Kunstfaser, die aus der Tube kam und den Strumpfmarkt revolutionieren sollte.
Die Millionen ihres Vaters sind die Grundlage von Margarets Ruhm. Denn nichts macht damals eine junge Frau so begehrenswert wie ihr Geld. Und wenn eine auch noch so schön ist wie Margaret und überdies Freude an der Lebensfreude hat, gibt es kein Halten mehr. Bereits mit 15 hat sie – gegen ihren Willen – ihre erste Abtreibung. Der Vater: ein 18-Jähriger namens David Niven, aus dem später ein berühmter Schauspieler wird.
1930 wird sie in die Gesellschaft eingeführt, sie ist siebzehneinhalb Jahre alt, und zwei Wochen, bevor sie mit anderen privilegierten jungen Damen am Hof mit einem Knicks Queen Mary vorgestellt wird, geben ihre Eltern für sie einen Ball mit 400 Gästen. «Miss Whigham hob sich von der Schar der Debütantinnen ab wie ein Vollblut auf einer Weide voller Kutschpferde», schreibt eine Zeitung. Auf heutige Verhältnisse umgerechnet kostete der Ball ihre Eltern damals zwischen 2,5 und 3 Millionen Pfund.
Der «Junge» ist 29 und der pakistanische Prinz Aly Khan, er verliebt sich genauso schockhaft in Margaret wie sie sich in ihn, sie tanzen einen Sommer lang auf jedem Ball, der Prinz hält bei ihrem Vater um Margarets Hand an, und der Vater sagt Nein. Viel später heiratet der Prinz die Hollywooddiva Rita Hayworth.
Margaret tröstet sich mit drei Jahren ununterbrochenem Spass. «Drei Partys jede Nacht, kein einziger ernsthafter Gedanke in meinem Kopf. Federleicht. Glückselig.» Sie ist sowas wie die Paris Hilton ihrer Zeit, die Medien folgen ihr ergeben, sie hat einen eigenen Presseverantwortlichen, populäre Songs werden über sie geschrieben, sie gehört zu den «zehn bestangezogenen Frauen der Welt», Männer verlassen ihre Gattinnen für das notorische Partygirl.
Wie eine Verlängerung der glückseligen Zeit scheint schliesslich ihre erste Ehe mit dem amerikanischen Amateur-Golfer und Investment-Banker Charles Sweeney. Margarets Hochzeitskleid von 1933 wird vierzehn Jahre später zur Vorlage des Hochzeitskleid von Prinzessin Elizabeth, der späteren Queen.
Doch Charles will weniger eine prominente als eine funktionierende Ehefrau. Margaret erleidet eine Tot- und acht Fehlgeburten, bis sie schliesslich einen Sohn und eine Tochter zur Welt bringt. Charles, der seine ganze Zeit im Club verbringt und auf dem Golfplatz verspielt, hasst es, wenn Margaret ohne ihn ausgeht, doch sie will unter Leute und jobbt während der letzten beiden Kriegsjahre in einem Restaurant des Roten Kreuzes in London.
Und dann fällt sie nach dem Verlassen ihrer Pediküre zwölf Meter tief in einen Liftschacht. Nach drei Wochen verlässt sie das Spital, die nächsten vier Jahre lang kann sie weder riechen noch schmecken. Sie findet heraus, dass Charles sie mehrfach betrogen hat, und nimmt das als Lizenz, sich selbst hemmungslos zu revanchieren. Kurz nach Kriegsende reist sie alleine nach Amerika, 1947 ist sie eine geschiedene Frau, ihr Vater schenkt ihr eine Stadtvilla in London.
Der Mann heisst Ian Campbell, ist 9 Jahre älter als Margaret, hat ein paar Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft verbracht und hat schon vor vielen Jahren zu seiner ersten Frau (die er in ein französisches Bordell schickte, damit sie in sexueller Hinsicht «etwas lernte») gesagt, Margaret sei «das Mädchen, das ich einmal heiraten werde». Seither hat er seine erste Frau mit seiner zweiten Frau betrogen und betrügt nun diese mit Margaret.
Seine besten Eigenschaften sind: ein Adelstitel und ein Familienstammsitz. Ian Campbell ist der 11. Duke of Argyll, sein Schloss ist das baufällige Inveraray Castle. Die Argylls sind verarmt, und der Duke hat abgesehen von seiner Zeit im Militär keinen Versuch unternommen, irgendeiner Beschäftigung nachzugehen, es ist also unabdingbar, dass er sein Herzogtum durch die Ehe mit reichen Erbinnen «ernährt».
Sie – beziehungsweise ihr Vater – übernimmt die Alimente für Ians Kinder, die Renovation von Inveraray Castle und mehrere Investitionen in die Infrastruktur der dazugehörigen Gemeinde. Und sie ist bereit, sein exzentrischstes Hobby zu finanzieren, nämlich die Bergung der Duq Florencia, ein Schiff der Spanischen Armada, die 1588 vergeblich versuchte, England anzugreifen und Elizabeth I. zu stürzen.
Die Duq Florencia liegt seit damals auf dem Grund der Bucht von Tobermory, die zum Herzogtum Argyll gehört. Die Legende will, dass sie einen Schatz in der Höhe von 30 Millionen Pfund in sich trägt und überdies eine Krone, die der Papst der spanischen Flotte mitgegeben hat, um nach der Absetzung der Königin einen katholischen König zu krönen. Ian Campbell will den Schatz, die Bergung wird zum Fiasko, das Margarets Vater in heutigen Dimensionen mindestens 3 Millionen Pfund kostet.
Margaret ist jetzt Mitte vierzig und liebt noch immer das wilde Leben der Grossstädte, während ihr Mann am liebsten in schottischen Mooren herumstapft, immer mehr trinkt und Vögel beobachtet. Und langsam beschleicht sie ein ganz ungutes Gefühl: Wenn er einmal stirbt oder ihre Ehe zerbricht, wird Argyll samt Titel und allem Geld, das ihre Familie investiert hat, an seine Söhne aus zweiter Ehe gehen.
In ihr erwacht eine ebenso kriminelle wie naive Energie. Sie nimmt alte Briefe von Campbells zweiter Ehefrau Louise, zerschneidet sie in einzelne Wörter, setzt sie zu einem neuen Text zusammen, legt ein weisses Blatt von einem Hotelblock darüber und kopiert. Dann schickt sie den «Brief» von Louise an sich selbst. Sein Inhalt: Louise gesteht, dass Ian nicht der Vater ihrer Söhne ist. Eine andere ihrer Ideen ist, eine Schwangerschaft vorzutäuschen, in Polen ein Baby zu kaufen, eine Geburt vorzuspielen und Ian einen Erben zu präsentieren. Beides fliegt auf.
Ein weiteres Problem erwächst in ihrer eigenen Familie: Ihre Mutter ist an den Rollstuhl gefesselt, und ihr Vater verliebt sich in eine 35 Jahre jüngere, geschiedene Frau. Acht Jahre lang nur platonisch, doch 1956, ein Jahr nach dem Tod von Margarets Mutter, heiraten sie. Margaret sieht ihr Erbe in Gefahr und behauptet, Ian Campbell würde sie mit ihrer neuen Stiefmutter betrügen. Margaret lässt sie von zwei Detektiven beschatten und schafft es, dass ihr Vater die Erbrivalin schon fast auf dem Totenbett aus seinem Testament streicht.
1959 reicht der Duke die Scheidung ein, 1963 kommt es zum Prozess. Die Beweislast ist eindeutig. Dass der Duke dafür Margarets Privatgemächer geplündert und dabei auch Gewalt gegen seine Gattin angewendet hat, dass er sie auf Reisen von als Taxifahrern verkleideten Detektiven beschatten liess, ist egal. In Margarets Tagebücher finden sich angebliche Hinweise auf gut 88 Männer, mit denen sie während ihrer Ehe Affären hatte.
Es sind Nacktfotos. Man sieht einen unbekannten, da ohne Kopf fotografierten, erregten Mann und eine Frau, die aufgrund ihrer dreireihigen Perlenkette unschwer als Margaret identifizierbar ist. Auf einigen der Fotos befriedigt sie den Mann oral. Doch vielleicht handelt es sich dabei nicht nur um einen, sondern gar um zwei verschiedene Männer. Denn dass ausser Margaret zwei weitere Personen zugegen gewesen sein mussten, ist eine einfache Rechnung: Die Bilder entstammen einer Kamera, die noch keinen Selbstauslöser hat. Jemand muss sie also geschossen haben.
Auf die Idee, dass eine zweite Frau in dem Dreier gewesen sein könnte, kommt niemand, zu gross ist Margarets Desinteresse am eigenen Geschlecht. Freundinnen hat sie nur wenige, eine davon besitzt einen aufziehbaren Messingpenis, den sie bei Partys immer über die Tische schnurren lässt.
Die britische Öffentlichkeit ist skandalisiert und rätselt: Handelt es sich bei den Männern um den Schwiegersohn von Winston Churchill? Um den Schauspieler Douglas Fairbanks Junior? Um Sigismund von Braun, Bruder von Wernher von Braun, dem Raketenbauer Hitlers? Oder etwa doch, wie Margaret behauptet, ganz einfach um Ian Campbell?
Derart dreckige Intimwäsche wurde noch nie zuvor vor Gericht gewaschen, und die Worte des Richters sind brutal, ihre mediale Wiedergabe kommt Margarets gesellschaftlicher Vernichtung gleich: «Die Fotografien (...) zeigen auch, dass sie eine hochgradig sexuell veranlagte Frau war, die sich nicht mehr mit normalen Beziehungen zufrieden gab, sondern begann, ekelerregende sexuelle Handlungen zur Befriedigung ihres grundlegenden sexuellen Appetits vorzunehmen, die ich nur als widerlich bezeichnen kann.» Heute kann man sich über diese Wortwahl nur wundern.
Elf Tage lang dauert der Scheidungsprozess 1963, er kostet Margaret gut 900'000 Pfund (heute). Dazu kommt noch einmal halb so viel als Wiedergutmachung für Louise und weitere Beträge, etwa an eine ehemalige Sekretärin, wegen Verleumdung.
Nach der Scheidung geschieht, was Margaret behauptet hat: Ian Campbell hat eine Affäre mit Margarets inzwischen verwitweter Schwiegermutter. Und er heiratet eine weitere reiche Erbin, mit deren Mutter er auch bereits eine Affäre gehabt hat. Doch «dirty» ist in der Boulevard-Presse nur Margaret, nicht ihr Ex-Mann, der dies genauso verdient hätte.
Margaret, das It-Girl der 30er- und die Society-Grösse der 40er- und 50er-Jahre ist in den 60ern vollkommen passé. Sie versucht vergeblich, den einen oder anderen Medienskandal herbeizuzwingen, aber es gelingt ihr nicht mehr, auch die Morddrohungen, die sie sich selbst schreibt, und die Juwelen, die sie sich selbst raubt, sind für die Polizei nur noch eine Belustigung. Und die geführten Touren durch ihr Haus, die sie aus Geldnot anbietet, interessieren auch niemanden.
Sie hat jetzt immer einen schwarzen Pudel namens Louis an ihrer Seite, einen nach dem anderen, sie nummeriert sie durch, Perlen und Pudel sind für sie die «Essenz des Lebens». Sie adoptiert zwei Kinder (was ihr die Öffentlichkeit übel nimmt) und engagiert sich im Tierschutz, was zu grotesken Auftritten führt, etwa, wenn sie in einer TV-Sendung die «Sicht eines Pferdes» vertritt. Und sie heuert Autoren an, die ihre Biografie schreiben sollen, und tischt ihnen ein geschöntes Lügenmärchen ums andere auf.
1993 stürzt die 80-Jährige an einem Sommertag in ihrem Pflegeheim in London schwer. Und im Gegensatz zum Sturz in den Liftschacht 50 Jahre zuvor setzt nach diesem die erwartbarste Verwandlung von allen ein: Margaret, geborene Whigham, geschiedene Sweeney, geschiedene Campbell, die im Grunde nichts getan hatte, was die Männer in ihrem Umfeld nicht auch getan hatten, und die dafür zur grossen Perversen gestempelt wurde, stirbt.
Diesem Text liegt neben unzähligen Zeitungsartikeln aus der britischen Presse vor allem die Biografie «The Duchess Who Dared» von Charles Castle aus dem Jahr 1994 zugrunde. Castle hatte in den 70er-Jahren tagelange Gespräche mit der Duchess geführt und aufgezeichnet und bei der Nachrecherche festgestellt, dass ihr Umgang mit Fakten sehr fantasievoll war.
Btw: Der Aktion bei der Scheidung ihren Ehemann vor Gericht dazu zu bringen zu beweisen wie klein sein Penis ist gehört ein Denkmal gesetzt :D