Leben
Gerechtigkeit siegt

Die Vorteile einer Uhr

Uhr
Das ist sie. Meine neue alte Uhr, drapiert auf meiner dreckigen Tastatur.Bild: watson

Warum ich jetzt eine Uhr trage

Ich hatte nie eine Uhr. Früher, weil ich dachte, die Zeit gehe mich nichts an. Jetzt hab ich eine, weil ich denke, ich hätte sie so mehr in der Hand. Zumindest aber am Handgelenk.
02.06.2024, 12:0702.06.2024, 12:29
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38 bin ich nun, und habe noch nie eine Uhr besessen. Als junger Mensch dachte ich, was interessiert mich die Zeit.

Sie geht mich nichts an.

Ich war noch nicht richtig da und schwebte irgendwo zwischen Ewigkeit und Unendlichkeit, schwerelos und ohne Bewusstsein dafür, dass ich bald aus diesem Kosmos herauspurzeln würde in die richtige, immer kleiner werdende Welt, wo grosse Uhren mit grossen Zeigern mir fortan den Takt vorgeben.

Aber gut. So ist das nun mal mit dem Erwachsenwerden. Als Kind drängt man darauf, endlich gross zu sein, endlich ernst genommen zu werden, und ist man es schliesslich, versucht man vergeblich, diesen Ernst wieder loszuwerden.

Plötzlich ist sie da, die Zeit, und lässt sich nicht mehr vergessen. Sie hat mich eingeholt, geht neben mir her wie ein Schatten – und zählt laut mit.

Was bleibt mir also anderes übrig, als ihr Ticken hinzunehmen? Es zu versöhnen mit meinem Herzschlag?

Zeit, ich kann dich nicht länger leugnen. Allzu emsig arbeitest du daran, mein Gesicht zu zerknüllen wie eine missratene Zeichnung.

Nun denn. Ich anerkenne dein Dasein. In Form einer kleinen alten Uhr, die einst an einem anderen Handgelenk hängend jemandes Stunden bestimmte.

Uhr
Bild: watson

Deine römischen Ziffern sagen mir, es ist so weit. Auch du wirst bald Geschichte sein.

Nur du darfst so was zu mir sagen. Nie wieder will ich das von meiner Handyuhr hören, von diesem schwarzen Schlund, der schon viel zu viel von meinem Leben geschluckt hat.

Ich will das, was Pamela Anderson tut: in Würde altern. Mit einer schicken Uhr an meinem bald schon von Gicht gezeichneten Handgelenk.

Bis dahin werd ich der grossen Weltuhr so viel Zeit wie möglich abringen. Für ein schönes Zuhause, für Freunde und Familie. Werde jene Stunden zusammenklauben und sie meinen Kindern geben. Sie sind jetzt die, die sich vergessen dürfen.

Ausser ich rufe zum Essen.

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Bild: unsplash
«Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.»
Prediger, 3. Kapitel

Und so rast sie vor sich hin, die Zeit, und im Vorübergehen nehme ich sie erst richtig wahr.

Schon ist sie weg, stirbt wieder ein wenig, und am meisten im Versuch, die Zukunft zu ordnen, sie zu füllen mit Erlebnissen, die bleiben. Im Versuch, sie festzuhalten.

Und dann steht sie still, meine kleine, alte Uhr. Müde geworden vom Tag, legen sich die Zeiger hin. Aufziehen muss ich sie, bevor sie wieder weitergehen.

Was für ein schönes kleines Ritual des Lebens. Ein Moment des Stillstands, in dem ich über dich verfügen kann. Dich zurückdrehen, dich stellen, dich bestimmen kann. Ein Moment des Friedens, der offenbart, dass du niemals Feindin, sondern stets nur Verbündete warst.

So werden wir unsere Tage begehen, übereinander wachend, auf dass die andere nicht aus der Zeit fällt, einander ins Leben zurückhelfend, bis da keines mehr ist.

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109 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Miicha
02.06.2024 12:27registriert März 2014
Trage auch oft Uhren einfach nur damit ich nicht ständig aufs Handy schaue und dann doch etwas noch "kurz" nachsehe...
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wicki74
02.06.2024 12:34registriert August 2018
Ich trage eine mechanische Uhr. Die zeigt mir die Zeit und das Datum, nicht mehr und nicht weniger. Das ist für mich Luxus am Handgelenk.
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HugiHans
02.06.2024 12:57registriert Juli 2018
Zitat: Ich will das, was Pamela Anderson tut: in Würde altern.

Frau Rothenfluh, ich mag ihren Humor 👍 😄
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