38 bin ich nun, und habe noch nie eine Uhr besessen. Als junger Mensch dachte ich, was interessiert mich die Zeit.
Sie geht mich nichts an.
Ich war noch nicht richtig da und schwebte irgendwo zwischen Ewigkeit und Unendlichkeit, schwerelos und ohne Bewusstsein dafür, dass ich bald aus diesem Kosmos herauspurzeln würde in die richtige, immer kleiner werdende Welt, wo grosse Uhren mit grossen Zeigern mir fortan den Takt vorgeben.
Aber gut. So ist das nun mal mit dem Erwachsenwerden. Als Kind drängt man darauf, endlich gross zu sein, endlich ernst genommen zu werden, und ist man es schliesslich, versucht man vergeblich, diesen Ernst wieder loszuwerden.
Plötzlich ist sie da, die Zeit, und lässt sich nicht mehr vergessen. Sie hat mich eingeholt, geht neben mir her wie ein Schatten – und zählt laut mit.
Was bleibt mir also anderes übrig, als ihr Ticken hinzunehmen? Es zu versöhnen mit meinem Herzschlag?
Zeit, ich kann dich nicht länger leugnen. Allzu emsig arbeitest du daran, mein Gesicht zu zerknüllen wie eine missratene Zeichnung.
Nun denn. Ich anerkenne dein Dasein. In Form einer kleinen alten Uhr, die einst an einem anderen Handgelenk hängend jemandes Stunden bestimmte.
Deine römischen Ziffern sagen mir, es ist so weit. Auch du wirst bald Geschichte sein.
Nur du darfst so was zu mir sagen. Nie wieder will ich das von meiner Handyuhr hören, von diesem schwarzen Schlund, der schon viel zu viel von meinem Leben geschluckt hat.
Ich will das, was Pamela Anderson tut: in Würde altern. Mit einer schicken Uhr an meinem bald schon von Gicht gezeichneten Handgelenk.
Bis dahin werd ich der grossen Weltuhr so viel Zeit wie möglich abringen. Für ein schönes Zuhause, für Freunde und Familie. Werde jene Stunden zusammenklauben und sie meinen Kindern geben. Sie sind jetzt die, die sich vergessen dürfen.
Ausser ich rufe zum Essen.
Und so rast sie vor sich hin, die Zeit, und im Vorübergehen nehme ich sie erst richtig wahr.
Schon ist sie weg, stirbt wieder ein wenig, und am meisten im Versuch, die Zukunft zu ordnen, sie zu füllen mit Erlebnissen, die bleiben. Im Versuch, sie festzuhalten.
Und dann steht sie still, meine kleine, alte Uhr. Müde geworden vom Tag, legen sich die Zeiger hin. Aufziehen muss ich sie, bevor sie wieder weitergehen.
Was für ein schönes kleines Ritual des Lebens. Ein Moment des Stillstands, in dem ich über dich verfügen kann. Dich zurückdrehen, dich stellen, dich bestimmen kann. Ein Moment des Friedens, der offenbart, dass du niemals Feindin, sondern stets nur Verbündete warst.
So werden wir unsere Tage begehen, übereinander wachend, auf dass die andere nicht aus der Zeit fällt, einander ins Leben zurückhelfend, bis da keines mehr ist.
Frau Rothenfluh, ich mag ihren Humor 👍 😄