Vor rund fünf Jahren begann an der nordamerikanischen Pazifikküste ein Ereignis, das Forscher vor ein Rätsel stellte. Innerhalb eines Jahres wurden beinahe 62'000 tote Vögel an den Stränden angespült. Noch viel seltsamer als die Anzahl der toten Vögel, war, dass es sich fast ausschliesslich um Trottellummen handelte.
Diese Vogelart lebt beinahe ganzjährig auf dem Meer – nur für die Fortpflanzung halten sie sich länger an Land auf. Tote Trottellummen werden zwar immer mal wieder an den Strand gespült, doch lag die Anzahl dieses mal teilweise 1000 Mal höher als in den Jahren zuvor.
Inzwischen haben Wissenschaftler der University of Washington und dem U.S. Geological Survey das Rätsel um die vielen toten Vögel gelöst. Ihre Ergebnisse veröffentlichte die Forschergruppe im Fachmagazin Plos One und deckte damit erstmals auf, wie schlimm die Katastrophe wirklich war.
Laut dem Bericht handelte es sich bei den 62'000 angespülten Vogelkadavern nur um einen Bruchteil der tatsächlich verendeten Trottellummen. Die effektive Zahl dürfte laut dem Bericht eher bei einer Million toter Vögel liegen. Laut John Piatt, Meeresbiologe beim Geologischen Dienst der USA, entspricht das rund zehn bis 20 Prozent des gesamten Bestandes im Nordostpazifik.
Dass der Begriff Massensterben durchaus angebracht ist, zeigen die weiteren Details des Berichts: Denn die Trottellummen waren in besagtem Jahr nicht die einzigen Tiere, die in grosser Anzahl verendeten. So sollen auch Papageientaucher, Bartwale, Seelöwen und Millionen Fische gestorben sein, auch wenn die Zahlen hier nicht so klar sind.
Als Ursache für dieses Massensterben sehen die Forscher in einer marinen Hitzewelle, die dramatische Auswirkungen auf die Nahrungskette der Tiere hatte. Ausgelöst wurde diese Hitzewelle, die die Forscher auf den Namen «Blob» (Klecks) getauft haben, durch eine anhaltende Hochwetterlage. Diese erstreckte sich im Nordostpazifik über mehrere Millionen Quadratkilometer. Sie reichte von Alaska bis nach Mexiko hinunter und von der Küste bis nach Hawaii.
Das führte dazu, dass das Meerwasser zwischen 2013 und 2016 viel wärmer war als normal. Teilweise habe man Wassertemperaturen gemessen, die sieben Grad über der Norm gelegen hätten. Zwar gebe es in dieser Region ein Phänomen namens El Niño, das in unregelmässigen Abständen den Ozean erwärmt, allerdings entstand die Hitzewelle unabhängig davon.
Was danach geschah, zeigt, wie fragil unser Ökosystem ist. Durch die anhaltende Hitzewelle blieben die sonst kräftigen Winterstürme in der Region aus. Sie sorgen normalerweise dafür, dass sich das Meerwasser gut durchmischt. Dadurch wird das Meer mit Sauerstoff versorgt und nährstoffreiches Wasser gelangt von weiter unten an die Oberfläche.
Das hatte direkten Einfluss auf das Plankton, das die Lebensgrundlage vieler Tiere bildet. Die Menge und Qualität des Planktons ging so sehr zurück, dass immer mehr kleinere Fische, die sich von den kleinen Organismen ernähren, verhungerten. Gleichzeitig kurbelte die erhöhte Wassertemperatur aber den Stoffwechsel der Fische an, da diese wechselwarm sind. Das führte dazu, dass die Fische mehr fressen mussten und das Plankton so weiter dezimierten.
Davon betroffen waren vor allem die bevorzugten Beutetiere der Trottellummen, Fische wie Sardellen, Junglachse, Lodden oder Sardinen. Oft gab es von diesen Fischen aber nicht nur weniger, sondern die überlebenden Exemplare waren wegen des hohen Nahrungsdrucks kleiner als üblich und teilweise auch kränklich.
Kommt hinzu, dass die Trottellummen weiterhin mit Raubfischen um die verbliebenen Beutetiere konkurrieren mussten. Der Wettstreit um die Nahrung intensivierte sich sogar noch, denn auch die Raubfische hatten durch den erhöhten Stoffwechsel einen grösseren Appetit.
«Man muss es sich so vorstellen wie einen Ansturm auf einen Supermarkt, bei dem die Nachschublieferungen immer seltener kommen», erklärt es Julia Parrish, Co-Autorin der Studie.
Trottellummen sind eigentlich perfekt an das Leben auf und im Meer angepasst und können bis zu 200 Meter tief tauchen. Dieses Leben hat aber auch seinen Preis: Trottellummen haben einen so hohen Energiebedarf, dass sie täglich 56 Prozent ihres Körpergewichts konsumieren müssen. Fressen sie für drei, vier Tage nichts, bedeute dies ihr Todesurteil, sagt der Meeresbiologe Piatt.
Aber auch bei den Raubfischen wie dem Pazifischen Kabeljau, dem Pollack oder dem Glasaugenbarsch soll die Nahrungsknappheit hohe Tribut gefordert haben. Kevin Trenberth vom National Center for Atmospheric Research im US-Bundesstaat Colorado schätzt, dass etwa 100 Millionen Kabeljaue die Hitzewelle nicht überlebt hätten.
Trenberth ist einer der Wissenschaftler, die Mitte Januar eine Studie zur Erwärmung der Weltmeere im Fachmagazin «Advances in Atmospheric Sciences» veröffentlicht hatten. Darin halten sie unter anderem fest, dass die vergangenen zehn Jahre die höchsten Temperaturen der Meere seit den 1950er-Jahren gebracht hätten.
Die jüngsten fünf Jahre seien dabei die wärmsten gewesen – 2019 habe man gar die höchsten Wassertemperaturen seit den Messungen im Ozean registriert. Selbst in 2000 Meter Tiefe habe die Temperatur 0,075 Grad über dem Durchschnitt von 1981 bis 2010 gelegen.
Die Experten warnten noch einmal ausdrücklich, dass selbst geringe Temperaturanstiege der Meere gravierende Folgen für das Ökosystem haben. Unter anderem droht den Meeren durch die Erwärmung Sauerstoffarmut, was sich ebenfalls auf die Fischbestände auswirkt.
Dass dies keine leeren Drohungen sind, zeigte sich im Oktober 2019. Damals schlugen Ornithologen aus Australien Alarm, weil das jährliche Eintreffen der Kurzschwanz-Sturmtaucher ausblieb. Diese fliegen jedes Jahr rund 15'000 Kilometer von Alaska an die Küsten von Victoria, um dort auf Griffith Island zu brüten. Obwohl die Reise rund zwei Monate dauert, trafen die Vögel seit 30 Jahren immer kurz vor oder nach dem 22. September ein.
Im Herbst 2019 hielten die Vogelbeobachter aber vergeblich Ausschau nach den Tieren, die immerhin eine Spannweite von einem Meter haben. Peter Barrand, Präsident von Birdlife Warrnambool, sagte zum Newssender ABC Australia:
Dass die fehlenden Vögel sich an einem anderen Ort niedergelassen haben, schliesst Barrand aus. Man habe das überprüft und die Kolonie sei nirgendwo sonst aufgetaucht. Vielmehr habe sich ergeben, dass der Schwund von Vogelbeständen sich nicht nur auf Griffith Island beschränke.
Barrand ist besorgt über das Fortbestehen der Vögel und mahnt:
Eine traurige Perspektive für die Zukunft.
Ich bezweifle leider auch, dass wir den turnaround noch ermöglichen. Zuviele Egoisten und Gleichgültige in unserer *Zivilisation*
Sehr wenig Menschen sind wirklich bereit sich persönlich einzuschränken, besonders in CH. Money Rules, Politik versagt komplett, Verwalten anstatt gestalten, Macht erhalten und das Volk klein und dumm halten