Wow, was ist das denn? Es fühlt sich an, als wäre man zur Stosszeit bei Ikea, aber das stünde nicht in Spreitenbach, sondern mitten im Europapark, wo der Clown aus «It» Zuckerwatte verkauft und glitzernde Delfine zu DJ Bobo durch Reifen springen. Es ist ein Delirium namens «Blick TV». Das jetzt schon seit drei Tagen tupfgenau gleich beginnt. Mit einem journalistischen Scheitern. An einer frühmorgendlichen Unwilligkeit der Schweizerinnen und Schweizer nämlich, sich medial vereinnahmen zu lassen.
Tag 1 Der arme Reporter Beni Fisch steht vor einer verschlossenen Sihlpost in Zürich, wo er irgendeinem Skandal nachgehen will, was aber ausser ihm keinen interessiert.
Tag 2 Der arme Reporter Beni Fisch steht allein in Zug und versucht, irgendwas zum Thema Überwachung herauszufinden: «Für da bini do z'Zug, zum das usefinde, aber im Momänt händ d'Zugerinne und Zuger so früeh am Morge ener no chli Angscht vor dem Mann mit der Kamera, also vor mir, und sie händ ender d'Chopfhörer ine do als mit mir z'rede.»
Tag 3 Der Reporter Pascal Scheiber stochert im Oltner Nebel und versucht in der «SV..., äh SP-Hochburg» etwas zum Thema SP-Präsidiums-Nachfolge herauszufinden, «aber jetzt am Morge früeh isch's natürlich schwirig». Und ewig grüsst das Morgenmurmeltier.
Am Nachmittag von Tag 2 wird der arme Reporter Beni Fisch übrigens auch noch nach Engelberg geschickt, wo er herausfinden soll, ob der thailändische König vor Ort sei, was ihm aber niemand bestätigt und was auch niemanden interessiert, weder die Pöstlerin, noch den Busschauffeur oder den Getränkelieferanten des Hotels, in dem der König gerade ziemlich sicher nicht weilt.
Fuck. 1 Tag #BlickTV und ich bin süchtig 😍 pic.twitter.com/8gqQmGwOBe
— Maurice Thiriet (@DickMo) February 18, 2020
Also ich weiss nicht wie’s euch geht, aber ich bin jetzt schon Fan von #BlickTV 😍 pic.twitter.com/ScHl3eeIK9
— Gabriel Vetter (@gabrielvetter) February 18, 2020
So jetzt habe ich zum zweiten Mal in BlickTV reingeschaut. Zwei Fragen: a) Ist das Satire? Oder b) hält man die Jungen für so doof, dass sie sich nur für Gugus interessieren?
— Min Li Marti (@minlimarti) February 18, 2020
Im Studio stehen Simone Stern und Reto Scherrer. Sie talken über die gezeigten Beiträge. Haben immer eine Meinung dazu. Finden es beide gut, dass die Fussballerinnen der «Frauenmannschaft» von Chelsea jetzt ihren Menstruationszyklus in den Trainingsplan einbeziehen dürfen. Liefern realsatirische Dialoge ab wie diesen hier:
Scherrer: «Also, he, dasch es grosses Thema, Heuschnupfe, da chame chli drüber rede: Hesch du Heuschnupfe?»
Stern: «Äh, nei. Du?»
Scherrer: «Ich? Nei, a nöd.»
Stern: «Ja, dänn lömmer's.»
Scherrer: «Ah, ja, guet.»
Kunterbunt tollhaust die Welt auf «Blick TV» vor sich hin, und in den Untertiteln wird das gesprochene Schweizerdeutsch sehr kreativ in irgendwas übersetzt: «Es kommen immer wieder in Formation raus, bei Spielweise auch mit dem Buch, dass bei der Aufarbeitung hilft.»
Konkret geht es hier um den 50. Jahrestag des Flugzeugabsturzes bei Würenlingen. Im Studio 1 sitzt NZZ-Journalist und Würenlingen-Fachmann Marcel Gyr. Stern nimmt ihn regelrecht auseinander. Macht sie ausgezeichnet. Stern ist eine Waffe. In Studio 2 versucht Jonas Projer, den ehemaligen Gemeindepräsidenten von Würenlingen zu interviewen. Aber mehr als Augenzeugenbetroffenheit ist nicht zu holen.
Und da wird es nun ein wenig prekär. Denn so amüsant Stern und Scherrer miteinander sind, Folgendes geht nicht: «Blick TV» macht eine Liveschaltung zur Pressekonferenz der Betreiber jener Trampolinhalle, in der vor ein paar Tagen die 13-jährige Laila tödlich verunglückte. Die Verantwortlichen verlieren die Fassung, einer weint, niemand aus ihrem Team hat einen Fehler gemacht, es war ein trauriger, tragischer Unfall.
Scherrer und Stern machen sich über die «Aufmachung» der beiden Gedanken, finden es geschmacklos, dass sie in den Uniform-Pullis ihrer Halle mit dem Aufdruck «Fly! And smile» vor die Kamera getreten sind (kein Mensch hätte auf seinem Smartphone den Aufdruck lesen können, aber jetzt wissen es alle), und dass man im Hintergrund Graffitis und hüpfende Kinder gesehen hatte.
Liebe, übermütige Neulinge, wenn ihr das findet, dann seid konsequent und zeigt's einfach nicht. Oder sorgt dafür, dass die Medienkonferenz an einem andern Ort in andern Pullis stattfindet. Aber die beiden erschütterten Herren erst vorzuführen und dann abzukanzeln, ist überaus geschmacklos.
Diskutiert das doch bitte mal in eurer Selbstgeisselungsgruppe. Jener Nachmittags-Sektion, wo ihr User-Kommentare wie «Links, linker, Projer» diskutiert. Wo Projer an Tag 2 sagt, die private politische Meinung eines Journalisten dürfe vor der Kamera «käi Rugl» spielen, was Scherrer mit «Ich zum Bischpil bi guet bürgerlich, das säg ich offe und ehrlich» verneint. Da sind wir dann schon fast in einer grundsätzlichen Mediendebatte, die ruhig noch ein paar Sätze über ein «ich finde, du findest» hinausgehen könnte.
😍 I. AM. LOVIN‘. IT. 😍 pic.twitter.com/mPq4t6nmJd
— Maurice Thiriet (@DickMo) February 19, 2020
Was also ist das jetzt? Ein Studio, das aussieht wie echt, ein Moderationsteam, das moderiert wie echt – die Simulation eines echten Newsrooms mit erfrischend uneitlem Personal ist es allemal. Amerikanisches Frühstücksfernsehen rund um die Uhr. Natürlich ist das seicht, solange man sich (noch) nicht an relevante Themen wagt, aber es steht ja auch ein Muskelprotz des Boulevard und keine Ballerina intellektueller Analysen dahinter. Mehr lässt sich nach drei Tagen nicht sagen. Vielleicht gelingt es ja, wenigstens den Fluch des Morgenmurmeltiers zu brechen.