Das Christian Sands Trio trifft auf einen halb leeren Dachsaal. Um es in den Worten vom Veranstalter, Stephan Diethelm, zu sagen: «Weil der Fussball die meisten Leute interessiert und die Musik die Wenigsten.» Die Fussballwelt bangte gerade um die Schweizer Nati am EM-Viertelfinale, während sich das amerikanische Trio im «Pflegidach» einfand. Zur Begrüssung bedankte sich Sands passend beim Publikum: «To the people who aren't watching the game; thank you.» (An die Leute, welche das Spiel gerade nicht schauen; danke).
Nicht nur wegen der wenigen Zuschauer war der Abend etwas anders, sondern auch wegen des speziellen Wochentags, an dem Aufgetreten wurde. Das Konzert fand nicht wie gewohnt an einem Sonntag statt, sondern am Freitag. Wegen der zwangsmässigen Coronapause von Januar bis März, sollen in den nächsten Wochen einige der verschobenen Konzerte nachgeholt werden.
Nicht nur das Pflegidach musste eine lange Pause durchstehen, sondern auch das Trio. Sands war sehr froh, wieder auftreten zu können. Er und das Trio hätten dies seit zwei Jahren nicht mehr gemacht. Die Freude an der Musik offenbarte sich vor allem während der Improvisationen. Das Trio lachte hin und wieder aus Freude während des Spielens.
Die Stimmung war sehr ausgelassen. Sands richtete sogar einen besonderen Gruss an einen Zuschauer. Der seit langem zugezogene Chicagoer, Kris, fand das «Pflegidach» anfänglich nicht. Ob er hier in der Pflegi richtig sei, fragte er ausgerechnet Christian Sands, welcher auf dem Weg zum Auftritt war.
Auch für Kris ist es das erste Konzert seit zwei Jahren, welches er besuchen kann. Er, wie sicher viele andere Musikfans, litt unter dem Konzertentzug. Er spielt selbst Klavier und das Konzert sei eine grosse Inspiration und Energiequelle für ihn, um zu üben. Es war für ihn ein Konzert in einem praktisch privaten Rahmen, welchen er sehr schätzt. Denn das Konzert des Trios in Muri soll nicht das einzige in der Schweiz bleiben.
Bereits am nächsten Tag geht die Tour weiter mit einem grossen Auftritt in Montreux. Im Gegensatz zum Konzert in Muri, wird jenes ausverkauft sein. Denn der bereits für einen Grammy nominierte Christian Sands ist jemand, den eigentlich niemand verpassen möchte. Ausser den Fussballfans, an eben diesem Freitagabend in Muri.
Der Besuch des Konzerts in Muri hätte sich nämlich gelohnt. Denn die Band riss das Publikum mit Improvisationen am Ende von jedem Lied mit. Die Improvisationen entwickelten sich meist unmerklich aus einem Lied heraus. Sie beinhalteten ein Solo von Christian Sands am Piano, von Yasushi Nakamura am Bass oder vom Schlagzeuger Clarence Penn. Wobei die anderen zwei Mitglieder des Trios jeweils auf das Solo des Dritten hörten und auf dessen Melodie wieder einstiegen, um das Lied im Ensemble zu beenden.
Das Trio hatte merklich grosse Freude miteinander zu spielen und die Harmonie zwischen den drei Mitgliedern war ausserordentlich spürbar. Vor allem der Bassist, Yasushi Nakamura, war merklich in seinem Element. Er zeigte mit seinen Gesichtsausdrücken und dem Mittanzen zur Musik, wie sehr er von der Musik mitgerissen wird.
Zu den gelungenen Improvisationen meinte Sands: «We added some sauce for you» (Wir haben noch etwas Würze für euch hinzugefügt). Diese Würze kam extrem gut an beim Publikum. Bei jeder Improvisation fieberte das Publikum mit, fast so als würden sie wie die Natifans gerade den Penaltykrimi schauen. Anders als einige der Penaltys der Nati, glückten die Spieleinlagen und wurden vom Publikum angefeuert und gefeiert.
Vor dem letzten Lied «Anthropology» erkundigt sich Sands nach dem Spielstand. Das Trio hatte das Spiel bereits während des Abendessens verfolgt. So waren auch sie gespannt auf das Endresultat. Rufe aus dem Publikum teilten Sands die Niederlage der Schweiz mit. Enttäuscht erwiderte er, dass er ein trauriges, aber schönes Lied spielen werde. Das Trio tröstete sehr sicher den ein oder anderen Fan der Schweizer Nati, mit ihrem letzten Song. Die Harmonie des Trios war, mit der etwa fünfminütigen Improvisation noch einmal bestaunbar. Ein Konzertbesucher brachte die Stimmung des Konzerts mit folgenden Worten auf den Punkt: «Es war alles im Moment. Das Miteinanderspielen und das Aufeinanderhören ist bei diesem Trio einfach ausserordentlich.»