Sensation: Der bärtige österreichische Travestie-Künstler Tom Neuwirth alias Conchita Wurst gewinnt den Eurovision Song Contest. Es ist erst der zweite Sieg unseres Nachbarlands nach 1966, als Udo Jürgens gewann. Ihr Triumph war eindeutig, aber keineswegs von Anfang an klar. Zum Schluss lag die Drag-Artistin mit 290 Punkten aber doch deutlich vor Holland mit 238 und Schweden mit 218 Punkten. Der Schweizer Sebalter wird Dreizehnter.
Für die Schweiz bedeutete das die beste Platzierung seit 2005. Damals allerdings sorgte kein Schweizer Künstler, sondern die estnische Mädchenband Vanilla Ninja für das gute Schweizer Resultat, den 8. Platz. Für das letzte «echte» Schweizer ESC-Resultat, das besser ist als das des Tessiners Sebalter, muss man bis 1991 zurückgehen, als Sandra Simo - heute Sandra Studer - Fünfte wurde.
Zweite wurden am Samstag die Holländer The Common Linnets mit ihrer wunderschönen Country-Nummer «Calm after the storm», den dritten Platz belegte die Schwedin Sanna Nielsen mit ihrer Ballade «Undo». Für die scheinbar so unbeliebte Schweiz stimmten am Samstag nicht weniger als 17 Länder. Am meisten Punkte gaben Polen (10), Portugal (7) und Rumänien (6).
Der lange als Topfavorit gehandelte armenische Kandidat Aram Mp3 mit «Not Alone», der stimmlich in seiner Nummer etwas gewankt hatte, wurde letztlich auf Platz 4 gewählt. Das entbehrt nicht der Ironie: Aram, der wochenlang die Wettlisten anführte, hatte sich im Vorfeld über Conchita Wurst schwulenfeindlich geäussert. Er wolle versuchen, die Dame von ihrer «falschen» sexuellen Orientierung abzubringen, deutete er an. Wurst konterte damals souverän-ironisch: Eine Liebesbeziehung mit Aram läge jetzt wohl nicht mehr im Bereich des Möglichen.
Für die Drag-Artistin Conchita Wurst ist mit dem Sieg beim Eurovision Song Contest ein Traum in Erfüllung gegangen. «Ich habe die ganze Zeit geweint», sagte die Österreicherin nach ihrem Triumph. «Das hier ist nicht nur für mich, sondern für alle da draussen, die an die Zukunft, Liebe, Frieden, Toleranz und Akzeptanz glauben.»
Der ESC wird somit nächstes Jahr, wenn er zum 60. Mal über die Bühne geht, wahrscheinlich in Wien ausgetragen. Gleich nach der Show regte Wursts Agent René Berto an, dass die Dragqueen nächstes Jahr den ESC moderieren könnte. «Ich wäre gern Gastgeberin», sagte Conchita. Der nächste Grand Prix solle «glamourös» werden.
Ganz blieb beim Song Contest die Politik nicht aussen vor. Wie schon in ihrem Halbfinale, wurden die russischen Zwillingsschwestern Tolmachevy von zahlreichen Fans in der Halle, aber auch von einem Teil der angereisten Journalisten im Pressezentrum bereits vor ihrem Auftritt mit «Shine» ausgebuht.
Eine Portion Extraapplaus gab es im Gegenzug für die ukrainische Vertreterin Marija Jaremtschuk, die mit ihrer selbstkomponierten Tanznummer «Tick-Tock» letztlich - sicher auch dank politisch-solidarischem Wohlwollen - auf Platz 6 kam. (sda)
(rey/sda/dpa)