Wie würde Monica Lewinsky jemandem ihre Geschichte erzählen, der die 41-Jährige nicht kennt?
«19 Jahre zuvor. Frisch aus dem College, eine 22-jährige Praktikantin im Weissen Haus. Ich, über Gebühr romantisch, habe mich in meinen Boss verliebt. Auf die Art, wie man es mit 22 tut. Das kann passieren. Aber mein Boss war der Präsident der Vereinigten Staaten. Sowas passiert wohl weniger oft. Nun bereue ich es aus tiefstem Herzen – aus verschiedenen Gründen. Nicht zuletzt, weil Leute verletzt worden sind. Und sowas ist niemals okay. Damals, 1995, begannen wir eine Affäre, die mit Unterbrechungen zwei Jahre dauerte. Und zu jener Zeit bedeutete es mir alles. Das kann man wohl als eine goldene Blase bezeichnen.»
Das ist die Geschichte, die jeder kennt. Das Mädchen, das mit Bill Clinton «unangemessene Handlungen» vollzog. Die Praktikantin, die der Macht verfiel. Doch kaum einer macht sich Gedanken darüber, wie die Kehrseite dieser Liaison aussah. Lewinsky sprach beim Forbes Under 30 Summit erstmals seit zehn Jahren wieder öffentlich über den Fall.
excited (and nervous) to speak to #Under30Summit
— Monica Lewinsky (@MonicaLewinsky) 20. Oktober 2014
«Der fiese Teil [begann], als es öffentlich wurde. Öffentlich – mit [dem Ruf nach] Vergeltung. Es war das erste Mal, dass traditionelle Medien vom Internet gefüttert wurden. 1998 gab es einen Medien-Wahn, obwohl es Google noch gar nicht gab. Ich verwandelte mich von einer komplett privaten Person zu einer öffentlich erniedrigten. Ich war Patient Null. Die erste Person, deren Ruf durch das Internet weltweit komplett zerstört wurde. Die Geschichte ging um die Welt, ein virales Phänomen.»
Der Preis, den sie hat zahlen müssen, sei sehr hoch gewesen, verdeutlicht Lewinsky. Sie wurde verraten durch die Veröffentlichung und durch eine angebliche Freundin, die «subtil über 20 Stunden privater, intimer Telefongespräche aufgenommen hatte und sie dem Ermittler [Kenneth Starr] aushändigte.»
Das FBI habe ihr 27 Jahre Haft angedroht, weil sie die Affäre dementierte. «27 Jahre! Wenn du erst 24 bist, ist das eine lange Zeit.» Die Agenten wollten sie verkabeln, Lewinsky habe das jedoch abgelehnt. «Meine Freunde und meine Familie wurden gedrängt, gegen mich auszusagen.»
Schliesslich stand sie vor einer Grand Jury. Die Geschworenen waren «Fremde, vor denen ich intime Details meines Lebens ausbreiten sollte. Später wurden diese öffentlich gemacht. Online.» Sie sei als Fotze, Flittchen, Bimbo oder Spion bezeichnet worden. Die Folgen: Depressionen, Angst und Selbsthass. Und Scham. «Ich komme immer wieder auf dieses Wort.»
Lewinsky ist den Tränen nahe, als sie berichtet, dass sie diese Zeit nur durch den Zuspruch von Freunden und Familie überstehen konnte. «Ich war der Auflösung nahe», sagt sie. Und: «Die Erniedrigung und Scham fühlen sich online anders an als offline. Es gibt keine Grenzen. Es fühlt sich ehrlich an, als würde die gesamte Welt über dich lachen. Ich weiss es. Ich habe es erlebt.»
Und beinahe nicht überlebt. «[Es gab dieses] unaufhörliche Mantra in meinem Kopf: Ich will sterben. Das war anders als das peinliche Gefühl, als mein jüngerer Bruder damals mein Tagebuch gelesen hat oder als mein Schwarm in der siebten Klasse meinen Liebesbrief jedem gezeigt hat, den er kannte.»
Sie habe sich nicht vorstellen können, ihr Gesicht jemals wieder öffentlich zu zeigen. Doch der Fall von Tyler Clementi habe sie 2010 ihre Meinung ändern lassen: Der 18-Jährige nahm sich das Leben, nachdem er im Internet lächerlich gemacht worden war. «Diese Tragödie ist der Hauptgrund dafür, dass ich hier stehe», sagt Lewinsky.
Sie hat eine Stiftung gegen Online-Trolle in Taylors Namen gegründet, denn: «Traurigerweise hält der Trend, online zu Tode erniedrigt zu werden, an. Die Konsequenzen sind verheerend. Und jeder kann der Nächste sein. Es braucht ein Leben, um einen guten Ruf aufzubauen. Du kannst ihn in einer Minute verlieren.»
Nun wolle sie ihrer «Vergangenheit einen Sinn geben», erklärt die Frau. «Ich glaube, meine Geschichte kann helfen, etwas zu ändern. Wir brauchen eine radikale Änderung unserer Einstellung. Online haben wir ein Mitgefühl-Defizit, eine Empathie-Krise.» Dass sie nach ihrer ersten öffentlichen Rede überhaupt wieder kritisiert werden wird, hat sie eingeplant. «Sie werden niemals still sein», sagt sie über die Trolle.
Tatsächlich schaffte es die Amerikanerin nach der Affäre nicht, wieder auf die Beine zu kommen. Zwischen 1999 und 2004 gab sie noch einige hochbezahlte Interviews und brachte eine Handtaschenkollektion heraus, doch die Dollars gingen umgehend wieder für Anwälte drauf, und ihre Modelinie beerdigte Lewinsky 2005.
Weil sie in den USA kein normales Leben führen konnte, zog sie in jenem Jahr nach London, um Psychologie zu studieren. Nach dem Master-Abschluss lebte sie in Los Angeles, New York und Portland, fasste aber wegen ihrer Bekanntheit beruflich nicht Fuss.
Für das Techtelmechtel mit Clinton hat Lewinsky also mehr als genug zahlen müssen. Wer dieser Frau heute immer noch Mitleid verweigert, gehört wohl zu der Riege jener unempathischen Internet-Trolle. Denken Sie an Lewinskys Worte: Wenn sich dieser Mob nicht gerade über eine Ex-Praktikantin hermacht, sind vielleicht Sie der Nächste.
#gratitude #overwhelmed #thankyou
— Monica Lewinsky (@MonicaLewinsky) 21. Oktober 2014