Militärischer Durchbruch für die Regierung in Kiew inmitten der Diskussion um neue Krisengespräche in der Ostukraine: Nach wochenlangen verlustreichen Gefechten hat die ukrainische Armee die Separatistenhochburg Slawjansk zurückerobert.
Die prorussischen Aufständischen hätten die strategisch wichtige ostukrainische Stadt nach intensiven Luftschlägen und Artilleriefeuer verlassen, sagte Bürgermeister Wladimir Pawlenko am Samstag der Agentur Interfax zufolge. Die Separatisten bestätigten den Abzug.
Der Regierung in Kiew zufolge hisste das Militär zum Zeichen der Rückeroberung die ukrainische Flagge über dem Rathaus von Slawjansk. Eine von den Separatisten zurückgelassene russische Fahne werde demonstrativ verbrannt, kündigte Jugendminister Dmitri Bulatow an.
Für die Anwohner kam der Abzug der Separatisten überraschend. «Niemand hatte damit gerechnet» sagte Kolja Scherep. Am Samstagmorgen habe er plötzlich keine Rebellenkämpfer mehr vor dem Rathaus und auf den Barrikaden gesehen.
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow sagte, die Kämpfer seien unterwegs nach Donezk. «Volksgouverneur» Pawel Gubarew bestätigte dies. Die militanten Gruppen wollten sich nun auf die Verteidigung von Donezk konzentrieren, sagte der Vertreter der «Volkswehr».
Eine Reuters-Reporterin sah in der 15 Kilometer entfernten Stadt Kramatorsk einen Konvoi von 20 Militärtransportern und Bussen mit bewaffneten Rebellen, die anscheinend aus Slawjansk gekommen waren und später auch aus Kramatorsk wegfuhren.
Die Aufständischen wollten nicht von einer Niederlage reden. Die Kämpfer seien nicht vor der Armee aus Slawjansk geflohen, sondern sie hätten lediglich zum Schutz der Zivilbevölkerung die Stellung gewechselt, sagte der Separatistenanführer Andrej Purgin. «Unser Widerstand ist nicht gebrochen», versicherte er.
Die Eroberung von Slawjansk wäre ein ganz entscheidender Sieg der Regierungstruppen, denn die Stadt war ein Zentrum des Aufstands der prorussischen Separatisten. In den seit drei Monaten anhaltenden und nur von kurzen Feuerpausen unterbrochenen Kämpfen kamen mehr als 200 ukrainische Soldaten sowie Hunderte Rebellen und Zivilisten ums Leben.
Bei den jüngsten Gefechten in der Ostukraine wurden der Armee zufolge sieben Soldaten getötet und sechs verwundet. Auch die Separatisten sprachen von Verlusten in ihren Reihen.
Über ein ursprünglich für diesen Samstag angedachtes Krisentreffen unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) herrschte Unklarheit. Sowohl die Führung in Kiew als auch Vertreter der Separatisten bekräftigten erneut ihre Bereitschaft.
Separatistenführer Purgin brachte als Ort erneut die weissrussische Hauptstadt Minsk ins Spiel. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte sich bereits zuvor zu Gesprächen bereiterklärt. Eine erneute einseitige Waffenruhe schloss er aber aus. Bis zum Nachmittag gab es keinen Hinweis auf mögliche Verhandlungen.
Die NATO und Russland hielten derweil parallel im Schwarzen Meer Manöver ab. An der NATO-Übung beteiligten sich Schiffe aus den USA und sechs weiteren Mitgliedsländern. Die Ukraine gehört nicht zum Bündnis.
Der Ukraine-Sonderbeauftragte des russischen Aussenministeriums, Konstantin Dolgow, sagte, er rechne mit einem zeitnahen Ende der Kämpfe. Die «heisse Phase» könne in einigen Wochen vorbei sein. «Die Überwindung dieser Krise wird aber Jahre dauern», sagte der Moskauer Diplomat. «Das Land ist zweifellos sehr tief gespalten.» (kub/sda/dpa/afp/reu)