Wie schlimm kann es noch werden? Diese Frage zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine treibt auch die Bevölkerung in der Schweiz um – und beeinflusst bei manchen das Einkaufsverhalten. Dies zeigt eine Auswertung des hierzulande grössten Online-Warenhauses Digitec Galaxus. Und die zeigt: «Der Bedarf nach Notvorratsprodukten ist definitiv spürbar», sagt Stephan Kurmann, Sprecher der Migros-Tochterfirma.
Kurmann verweist auf ein Interview von Verteidigungsministerin Viola Amherd im SRF von Anfang März, das die Zahlen bei den entsprechenden Produkten seither steigen liess. Darin meinte die Mitte-Bundesrätin, es sei sinnvoll, sich einen Notvorrat anzulegen. «Dieser Appell zeigte Wirkung, wie unsere Verkaufszahlen bestätigen», sagt Kurmann.
Was Teil des Notvorrats ist, definiert das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Dazu gehören Lebensmittel, Getränke, diverse Gebrauchsgüter zur Beleuchtung, zur Informationsbeschaffung und zum Kochen, Hygieneartikel und eine Hausapotheke.
Bei den Lebensmitteln scheint es dabei, wie schon zu Beginn der Covid-Pandemie, erneut zu einem Ravioli-Rausch zu kommen – zumindest bei Digitec-Galaxus. Denn laut Kurmann wurden im März so viele Konserven und Fertiggerichte wie noch nie auf dem Portal verkauft (+214 Prozent). Auch langhaltbare Grundnahrungsmittel wie Zucker (+179 Prozent), Mineralwasser (+133 Prozent) und Milch (+118 Prozent) landeten deutlich häufiger im Einkaufskorb. Zudem gehen Rex und Mimi in Krisenzeiten nicht vergessen: Der Verkauf von Hunde- und Katzenfutter legte um 80 Prozent zu. Im April sei das Wachstum bei den Notvorratsprodukten zwar etwas abgeflacht, aber noch immer vorhanden, sagt Kurmann.
Bei den Migros-Supermärkten seien in erster Linie zu Beginn des Kriegs in der Ukraine mehr langhaltbare Lebensmittel gekauft worden. «Mittlerweile hat sich die Situation aber wieder normalisiert», sagt Sprecher Marcel Schlatter. «Vielleicht haben einfach zu viele Leute noch zu viele Büchsenravioli von der Corona-Pandemie vorrätig.»
Ausserdem wurden im März 55 Prozent mehr Radios als sonst verkauft. Schliesslich empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz den Besitz eines solchen in Kriegszeiten, da die Regierung im Notfall auch über dieses Medium informiert. Ein kleines Radiomodell habe zuvor ein Nischendasein im Sortiment gefristet. Doch auf einmal sei es innert kürzester Zeit fast 600 Mal bestellt worden, sagt Kurmann. Einerseits weil es günstig sei, vor allem wohl, weil es auch mit Batterien betrieben kann. Ein starkes Verkaufsargument in Zeiten, in denen über die Stromsicherheit diskutiert wird.
Gefragt sind laut Digitec-Galaxus für drohende, düstere Zeiten auch Produkte aus dem Outdoor-Sortiment. Das grösste Wachstum hatten im März folgende Artikel:
Ein starkes Plus gab es zudem bei Erste-Hilfe-Sets mit 249 Prozent. Kurmann vermutet, dass diese nicht nur in Schweizer Luftschutzkellern verwendet werden, sondern auch als Materialspenden bei Hilfsbedürftigen in der Ukraine.
Kurmann verweist auf gesteigertes Bestreben nach Autarkie im Energiebereich – ein Trend, der nach Putins Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien kaum schwinden dürfte. Stromversorger, sogenannten Power Stations, und Solarpanels wurden mehr als viermal häufiger gekauft. Ebenfalls populär: Stromgeneratoren und Taschenlampen.
Doch sind diese Dinge denn wirklich alle dringend nötig? Wirtschaftspsychologe Christian Fichter sagte kürzlich zu «20 Minuten» diesbezüglich: «Es ist nicht falsch, ein Solarpanel zu kaufen, aber vielleicht wäre es schlauer, sich darüber zu informieren, wo der nächste Luftschutzbunker ist.» Viele Menschen fühlten sich bedroht und wollten den eigenen Fortbestand sichern. Statt nach Konsum, Individualität und Glück strebe man nun nach Sicherheit und körperlicher Unversehrtheit.
Angst sei eine starke Emotion, welche die Vernunft ausschalten und zu irrationalen Entscheidungen führen könne, sagt Fichter: «Viele Menschen kaufen jetzt Dinge, die sie nie brauchen werden.»
So berichtete SRF zuletzt darüber, dass die Nachfrage nach Waffenerwerbsscheinen seit Ausbruch des Kriegs in verschiedenen Regionen hierzulande stark zugenommen hat. In der Stadt Zürich waren es zuletzt fast doppelt so viele Gesuche wie im Vorjahresquartal. Im Kanton Aargau gab es ein Plus von 60 Prozent, und auch in Winterthur und St. Gallen ist die Zunahme signifikant.