Verkabelte und schreiende Affen, tausende Mäusetode für eine Pille – das soll schon bald der Vergangenheit angehören.
Tierversuche für die Entwicklung von Medikamenten oder Therapien nehmen in der Schweiz seit 2015 kontinuierlich ab. Im Vergleich zu vor 40 Jahren wird heutzutage sogar nur noch ein Bruchteil an Tieren für die Forschung verwendet.
1983 waren es knapp zwei Millionen, 2020 waren es noch rund 556'000. Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittel und Veterinärwesen BLV wurden zudem 42,3 Prozent dieser Tiere für reine Beobachtungsstudien verwendet, die den Tieren keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügten, sie nicht in Angst versetzten und ihr Allgemeinbefinden nicht beeinträchtigten.
Für viele Tierschutzorganisationen und Tierfreunde sind diese Zahlen jedoch immer noch zu hoch. Die Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» fordert ein komplettes Verbot von Tierversuchen sowie der Forschung am Menschen. Ausserdem sollen alle Produkte, die im Ausland an Tieren oder am Menschen getestet wurden, nicht mehr importiert werden dürfen. Am 13. Februar wird das Schweizer Stimmvolk darüber abstimmen.
Die Initiative dürfte es schwer haben an der Urne. Das zeigen erste Umfragewerte einer SRG-Umfrage vom Freitag. Nur gerade 45 Prozent der zwischen 17. Dezember bis 3. Januar 2022 Befragten gaben an, ein Ja in die Urne zu legen. 7 Prozent zeigte sich noch unentschlossen, 48 Prozent ist klar dagegen.
Bereits im Parlament hatte die Initiative einen schweren Stand. Aus Sicht des Bundesrates sind die Forderungen zu radikal. Man habe bereits eines der strengsten Tierversuchsgesetze. Zudem würde ein Verbot die Medizinforschung stark einschränken, was wiederum starke Auswirkungen auf die Volksgesundheit hätte.
Trotz der eher schlechten Chancen für ein Ja, könnte das Tierversuchsgesetz in Zukunft immer wieder zum Thema werden. Denn neben der Initiative sind im Parlament bereits weitere Vorstösse hängig.
Dass Bundesrat und Parlament die Initiative geschlossen ablehnen, liegt zu einem grossen Teil daran, dass es noch nicht genügende Alternativen zu Tierversuchen in der medizinischen Forschung gibt. Ein Verbot könnte dementsprechend indirekt zu Todesfällen führen, zudem würde der Forschungsstandort Schweiz enorm leiden.
Das heisst jedoch nicht, dass Politik und Wirtschaft einen Ausstieg aus den Tierversuchen kategorisch ablehnen. Im Gegenteil: Die Schweiz kennt seit gut 30 Jahren die sogenannten 3R-Prinzipien (replace, reduce, refine – ersetzen, reduzieren, verbessern), im Jahr 2018 wurde das 3R Kompetenzzentrum Schweiz ins Leben gerufen. Die 3R-Prinzipien haben zum Ziel, Alternativmethoden zu erforschen und Tierversuche auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.
Im Mai letzten Jahres startete zudem das nationale Forschungsprogramm «Advancing 3R – Research, Animals and Society». Das mit 20 Millionen Franken dotierte Programm dauert fünf Jahre und soll die Anzahl Tierversuche weiter reduzieren.
Für die Basler GLP-Nationalrätin Katja Christ nicht genug: In einer parlamentarischen Initiative fordert sie, dass die 3R-Forschung gesetzlich verankert werden soll. «Ansonsten müssen wir alle fünf Jahre über neue Forschungsgelder und Programme feilschen».
Christ verfolgt damit das gleiche Ziel wie die Volksinitiative, lehnt diese jedoch entschieden ab. «Mit einem Verbot würden wir dem Forschungsstandort Schweiz extrem schaden. Tierversuche würden dabei nicht verhindert, sondern wie die Forschung selbst lediglich ins Ausland verlagert, wo weniger strenge Tierschutzgesetze gelten.»
Für Christ ist klar, dass Tierversuche weiter drastisch reduziert und durch tierversuchsfreie Alternativen ersetzt werden müssen. Das Problem ist dementsprechend nicht ob, sondern wie.
Sie findet deshalb, dass man die Initiative ernst nehmen soll und gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssen, um Alternativen noch rascher zu entwickeln. «Ohne Anreize wird der Prozess nur schleppend vorankommen und Extremforderungen weiter nähren.»
Ebenfalls am 13. Februar stimmt der Kanton Basel-Stadt über die Initiative «Grundrechte für Primaten» ab. Die Idee dahinter ist revolutionär und würde Basel-Stadt zur ersten Region dieser Welt machen, die Tieren, in diesem Fall Primaten, Grundrechte wie das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit zugesteht.
Die Sache hat jedoch einen Haken: Bei Annahme der Initiative würden die Grundrechte lediglich für Primaten gelten, die im Besitz des Kantons sind. Und der Kanton Basel-Stadt und alle seine Organisationen und Organe halten momentan keinen einzigen Primaten. Gegner sprechen deshalb von einer Mogelpackung, weil die Gewährung von Grundrechten in der Kantonsverfassung allenfalls eine indirekte Drittwirkung auf die Affenhaltung im Basler Zolli hätte.
Private Firmen, wie die ortsansässige Pharma-Branche, könnten also weiterhin die körperliche und geistige Unversehrtheit von Primaten mittels Tierversuchen verletzen. Den Initiantinnen ist dies bewusst, sie hoffen jedoch ebenfalls auf eine indirekte Drittwirkung. «Private könnten beispielsweise strengere Regeln zum Schutz von Primaten einführen», sagt Silvano Lieger, Geschäftsleiter der Organisation «Sentience», die hinter der Initiative steht. Zur Durchsetzung wäre eine vom Kanton geschaffene Ombudsperson oder ein eigenständiger Beistand denkbar.
Die Initiative hat jedoch einen schweren Stand, der Grosse Rat lehnt sie mit 55 zu 25 Stimmen ab. Die Initianten geben sich hingegen kämpferisch, nachdem sie sowohl vor dem Basler Verfassungsgericht als auch vor dem Bundesgericht gegen die Basler Regierung gewonnen haben. Diese wollte die Initiative für ungültig erklären. Mittlerweile können die Initianten sogar auf die Unterstützung der linken Parteien und bekannter Persönlichkeiten wie der weltweit führenden Schimpansenforscherin Dr. Jane Goodall zählen. Es dürfte also spannend werden.
Die letzte Idee gleicht jener der Grundrechte für Primaten, mit dem Unterschied, dass die Grundrechte für alle Tiere gelten soll. Die Tierschutzorganisation «Animal Rights Switzerland» hat im Oktober 2021 eine Petition mit rund 5600 Unterschriften eingereicht.
Die Petition fordert nicht nur ein Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, sie will auch, dass Tiere als rechtliche Personen anerkannt werden. Dies würde bedeuten, dass es niemandem mehr erlaubt wäre, Tiere zu besitzen, geschweige denn für menschlichen Nutzen zu töten.
Eine radikale Forderung – dessen ist sich auch Geschäftsleiter Pablo Labhardt bewusst. «Wir wollen mit dieser Petition eine Diskussion über unser Verhältnis zu den Tieren entfachen», so Labhardt. Dass die Forderungen Zukunftsmusik sind, nimmt er dabei in Kauf.
Bei genauerer Betrachtung ist die Petition, jedenfalls was Tierversuche betrifft, weniger radikal als die Tierversuchsverbots-Initiative. «Grundrechte gelten auch bei Menschen nicht absolut», sagt Labhardt. So könne zur Notwehr zum Beispiel Gewalt anwenden. Bei Tierversuchen sei das ähnlich: «Es gibt momentan keine Alternative zu Covid-Impfstoffen, die an Tieren getestet wurden. Man kann im Impfzentrum nicht sagen: ‹Ich hätte gerne die Tierversuchs-freie Variante!›. Dementsprechend stellen Tierversuche zur Herstellung überlebenswichtiger Medikamente und Impfungen eine Notsituation dar. Aber diese Notsituation darf kein Dauerzustand bleiben, weshalb wir dringend mehr in die Forschung nach Alternativen zu Tierversuchen investieren müssen.»
Aber wenn nicht mal ein Medikament, das vielleicht das einzige auf der ganzen Welt ist, das mein Leben retten kann, importiert werden darf, wenn's zu Tierversuchen gekommen ist, dann geht mir das deutlich zu weit.