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Schweizer Botschafter beschreibt Flucht aus dem Sudan

Botschafter Christian Winter.
Botschafter Christian Winter.bild: Screenshot Medienkonferenz

Die spektakuläre Flucht des Schweizer Botschafters aus dem Sudan

Das Personal der Schweizer Botschaft in Khartum kam heute Morgen am Flughafen Bern-Belp an. In emotionalen Worten beschreibt Botschafter Christian Winter die letzte Woche im Sudan und die Flucht.
25.04.2023, 10:1225.04.2023, 14:17
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«Guten Morgen aus Belp. Ich kann Ihnen kurz schildern, wie ich die letzten Tage im Sudan persönlich erlebt habe.

Samstag, 15. April 2023. Ich war mit meiner Frau unterwegs. Es war Wochenende. Wir hatten frei. Also waren wir unterwegs, ein wenig ausserhalb von Khartum. Plötzlich hörte ich Schüsse. Ich dachte mir, das ist sicher wieder irgendein Scharmützel. Das kommt öfters vor. Doch nach 15 Minuten wiederholten sich die Schüsse und grosse schwarze Rauchwolken stiegen in den Himmel. Meine Frau reagierte schnell. Sie sagte mir: «Wir müssen sofort zurück in die Residenz.»

Wir hatten grosse Schwierigkeiten, zurückzukommen. Die Residenz befindet sich in der Nähe des Flughafens und da waren die Kämpfe bereits voll im Gang. Also Kämpfe um den Flughafen. Zwischen der paramilitärischen Gruppe RSF und der regulären Armeeeinheit. Wir waren mit dem Auto zwischen den Fronten. Und ich wollte mich immer noch an die Verkehrsregeln halten. «Vergiss es», sagte mir meine Frau. Wir fuhren irgendwie über die Randsteine. Mit einem Geländewagen geht das und wir schafften es, uns in Sicherheit zu bringen.

Danach gab es viel Lärm. Gefechtslärm. Nicht nur Maschinengewehre. Relativ schnell kamen sie auch mit schwerem Geschoss. Am selben Tag begannen noch Luftangriffe mit Kampfjets. Von einem Tag zum nächsten intensivierten sich die Angriffe.

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Christian Winter vor den Medien im Flughafen Bern-Belp.Bild: keystone

Khartum ist eine Grossstadt. 5 Millionen Einwohner. Khartum und Umgebung. Die Ziele waren in erster Linie strategischer Natur. Aber natürlich waren alle Ziele in Wohngebieten. Wenn Sie jetzt also die Opferzahlen sehen, sind das mehrere hundert Tote und tausende Verletzte – und viele davon Zivilisten. Darunter auch Kinder. Leider.

Wir waren gefangen in unserer Unterkunft. Seit Samstag. Fast neun Tage lang. Wir schafften es nicht, uns in die Botschaft zu verschieben. Unser erstes Gebot war einfach nur die Sicherheit. Uns irgendwie am sichersten Ort der Unterkunft, wo wir waren, aufzuhalten. Wir versuchten möglichst zu funktionieren und uns gleichzeitig zu schützen. Untereinander – also mit dem Botschaftspersonal – waren wir in Kontakt. Zu Beginn war das noch möglich, mit dem Internet. Das ist dann zusehends zusammengebrochen. Wir versuchten dann mit «Walkie-Talkies» und Satellitentelefonen zu operieren. Dann gelang es glücklicherweise zwei Mitarbeiterinnen, dank der Mithilfe der französischen Botschaft, von ihren Unterkünften aus auf die schweizerische Botschaft zu kommen. Das war schwierig. Auch risikobehaftet. Aber so hatten wir die Möglichkeit, besser zu kommunizieren. Denn die Botschaft hat unabhängige Kommunikationskanäle mit Satellitenanbindung.

Die Kämpfe haben sich im Laufe des Tages verstärkt. Dann hörten wir, dass jetzt viele Geschäfte und Wohnhäuser zusätzlich noch geplündert werden. Vor allem seitens der RSF, der paramilitärischen Gruppe. Und die befinden sich vor allem in Wohngebieten, unter anderem auch da, wo sich die Schweizer Botschaft befindet. Man muss sich vorstellen, das sind mobile Einheiten. Im Gegensatz zur Armee operieren sie ganz anders. Oft in kleinen Gruppen auf ihren Pick-ups. Sie fahren dann durch die Wohngebiete und besetzen ganze Gebäude. Die Bewohnerinnen und Bewohner jagen sie einfach weg. Glücklicherweise wurden wir davon verschont. Im Gegensatz zu anderen Botschaften hatten wir Glück.

Swiss Federal Councilor Ignazio Cassis, left, welcomes Christian Winter, Swiss Ambassador of Sudan, at the Bern-Belp Airport in Belp, Switzerland, Tuesday, April 25, 2023. Swiss nationals are flown ou ...
Der Bundesrat Ignazio Cassis empfängt Christian Winter am Flughafen Bern-Belp. Bild: keystone

In der Residenz waren wir ausgesetzt und unter Beschuss. Wir haben Einschusslöcher in den Wänden. Bei einem unserer Wächter flog ein Granatsplitter etwa 20 Meter an seinem Kopf vorbei. Er wollte vorbildlich sein und sich exponieren, um uns zu beschützen. Irgendwann mussten wir ihn wegschicken, um sich in Sicherheit zu bringen.

Den Ausbruch hatte niemand antizipiert. Es war Ramadan. Natürlich gab es Spannung, aber Ramadan ist eigentlich der Monat der Versöhnung. Dass man sich genau in der letzten Woche des Ramadans «leistet», Kampfhandlungen zu starten, hat die Bevölkerung sehr irritiert. Noch schlimmer war jedoch, dass alle hofften, dass Ende Ramadan, wenn das höchste Fest kommt, wenigstens dann die Feuerpause hält. Wie Sie gehört haben, hat das nicht funktioniert.

Es war klar, dass wir uns nicht selber retten können. Wir brauchten die Hilfe eines Nachbarlandes. Schlussendlich half uns dann Frankreich. Sie informierten uns sehr kurzfristig darüber, dass wir zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Tag auf der französischen Botschaft sein müssen. Gepäck, war klar, konnten wir nicht viel mitnehmen. Wir haben mehr oder weniger fast alles zurückgelassen.

Von der französischen Botschaft aus sind wir dann in Bussen losgefahren. Schnell wurde mir klar, dass wir Richtung Norden fahren. Auf die sudanesische Luftwaffenbasis, etwa 30–50 Kilometer nördlich von Khartum. Die Busse wurden von der RFS mit ihren Pick-ups und Maschinengewehren begleitet. Sie navigierten uns so durch «ihr» Gebiet. So bekamen wir eine ziemlich gute Übersicht über die Gebiete, die sie momentan unter Kontrolle haben.

Auf einmal kam die Kampflinie. Dann sahen wir die Panzer der regulären Armee. Wir fuhren einfach durch. Die paramilitärische Gruppe klinkte sich ab. Es wurde viel geschossen. Aber nicht auf uns.

Auf der versammelten Luftwaffenbasis war grosser Betrieb. Die Briten waren da. Auch die Norweger, die Deutschen und die Franzosen. Alle holten ihre Botschaftsmitarbeitenden ab. Laut der französischen Botschaft war es sehr schwierig, die Bewilligung zu erwirken, den Stützpunkt nutzen zu dürfen.

Christian Winter, Swiss Ambassador of Sudan, speaks during a press conference at the Bern-Belp Airport in Belp, Switzerland, Tuesday, April 25, 2023. Swiss nationals are flown out of the crisis area i ...
Die französische Botschaft schaffte es, Winter und seine Frau zu evakuieren.Bild: keystone

Wir sind dann Richtung Dschibuti geflogen. Acht Stunden lang harrten wir in einem Hangar aus. Am Sonntag kamen wir an. Als wir dann ankamen, wurden wir in Empfang genommen. Gestern verbrachten wir eine Nacht in einem Hotel und freuten uns sehr, dass wir in die Heimat zurückfliegen können.

Heute Morgen sind wir gut in Belp angekommen.

Was uns aber sehr belastet, ist, was mit unseren Kolleginnen und Kollegen, die noch vor Ort sind, passiert. Wir versuchen, sie so gut wie möglich zu unterstützen, mit den Lohnzahlungen, die wir eingerichtet haben, und wir bleiben mit ihnen in Kontakt. Wir können nur hoffen, dass sich diese Krise so rasch wie möglich legt. Hoffen wir das Beste.»

(Transkript oee)

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25 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fred_64
25.04.2023 11:28registriert Dezember 2021
Ein sehr eindrücklicher Bericht von der Flucht aus dem Sudan.
Das zeigt einerseits, dass es in anderen Ländern eben auch mal schnell ändern kann.
Zudem zeigst auch, dass unsere, sogenannten, Beamten im Ausland eben auch ein Risiko tragen und nicht nur einen "Schoggijob" haben, wie es die vielen (meist rechten) Sofakritisierer sagen.
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Butschina
25.04.2023 10:45registriert August 2015
Ich stelle es mir sehr schwierig vor zu wissen, dass man Mitarbeiter zurücklassen muss. Du lernst sie kennen und schätzen, aber dann musst du sie in der Gefahr zurücklassen. Horror. Immerhin scheint es nicht darum zu gehen die westlichen Länder anzugreifen. So haben auch einheimische Mitarbeiter nicht eine höhere Gefahr als andere Einheimische.
Ich wünschte mir, man könnte die zwei Typen in einen Boxring stellen und so das Ganze klären. Leider müssen aber immer Zivilisten unter denbStreitenden und sich bekriegenden leiden. Hoffe es endet rasch friedlich.
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Wir (M)Ostschweizer*innen nun im Süden
25.04.2023 12:52registriert Juni 2019
Es ist schön das es gut ausgegangen ist....
Dies weil Frankreich und bei den anderen
CH Bürger Italien sich gesagt haben, Mensch sein hat keine Grenzen und niemand ist Neutral, darum helfen wir.
Danke das es Staaten gibt die nicht der Meinung sind, alles was nicht EU (CH) ist ist nicht EU (CH),
Liebe Eidgenossen lebt dieses Beispiel!
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