Vielleicht ist es dir auch schon passiert: Kurz bevor du in den Zug steigst, fällt dir ein, dass du ja noch ein Ticket lösen musst. Mit dem Handy geht das blitzschnell und sollte kein Problem darstellen. Doch wenn das Billett auch nur eine Sekunde nach Abfahrt in der App gelöst wird, ist es ungültig und du giltst als Schwarzfahrer. Wenn du Pech hast, wirst du kontrolliert und musst eine Strafe zahlen – obwohl du das Ticket bereits bezahlt hast.
Nach internen Regelungen ist es SBB-Zugbegleiterinnen und -begleitern aktuell nicht erlaubt, in solchen Fällen ein Auge zuzudrücken – nicht einmal dann, wenn sie das Billett erst Minuten später kontrollieren und klar ist, dass der Fahrgast gar nicht schwarzfahren wollte. Der Reisende kann den Fall zwar beim Kundendienst reklamieren, muss aber mindestens eine Bearbeitungsgebühr bezahlen.
Diese Praxis üben nicht nur die SBB aus, sondern auch die meisten anderen Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs. Die Richtlinie entspricht den Tarifbestimmungen T600 von Alliance Swiss Pass – eine Organisation, der praktisch alle schweizerischen Transportunternehmen und Tarifverbunde angehören.
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) ist laut Angaben des «Tagesanzeigers» allerdings der Ansicht, dass diese strenge Kontroll-Praxis nicht mit dem Personenbeförderungsgesetz vereinbar sei. SBB und Co. würden eine rechtswidrige Praxis betreiben und viele Fahrgäste zu Unrecht als Schwarzfahrer einstufen.
Für Marcel Hepp, stellvertretender Leiter der Sektion Recht im BAV, ist die Einordnung solcher Fälle klar: «Falls die Bestätigung auf dem Smartphone wegen einer Verzögerung kurz nach der Abfahrt erfolgt, darf dieser Person daraus kein Nachteil entstehen.» Die Verzögerung liege nicht mehr in ihrem Verantwortungsbereich.
Manchmal ist auch ein schlechter Mobilfunkempfang daran schuld, dass der Billettkauf über die App nicht sofort gelingt. Auch dann solle man nicht direkt als Schwarzfahrer gelten. Die Regelungen von Alliance Swiss Pass hingegen sehen aktuell vor, dass man nicht in einen Zug einsteigen und die Fahrt nicht antreten darf, wenn man das Ticket aufgrund eines schlechten Empfangs nicht lösen kann.
Darüber hinaus sei es laut dem BAV ebenfalls erlaubt, ein Billett erst zu kaufen, wenn man sich schon im Zug befindet und dieser bereits abgefahren ist. Wenn sich jemand etwa sehr beeilt, um den Zug noch rechtzeitig zu erwischen, und aufgrund des Gepäcks aber keine Hand frei hat, um sich auch noch um das Billett zu kümmern, sollte diese Person auch im fahrenden Zug noch ein Ticket über die App lösen dürfen.
Laut Marcel Hepp spielt es eine zentrale Rolle, «sich beim Betreten des Zuges prioritär um den Billettkauf zu kümmern». Was allerdings nicht zulässig sei: zunächst abzuwarten und das Ticket erst dann zu kaufen, wenn eine Kontrolleurin oder ein Kontrolleur im Waggon auftaucht.
Das Bundesamt für Verkehr nimmt gegenüber den Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs eine Aufsichtsfunktion wahr. Bereits im Jahr 2012 wies das BAV die SBB zurecht und brachte sie dazu, ihre Bussgeldregeln ein wenig zu lockern. Denn davor musste man sich beim rechtzeitigen Billettkauf an die Abfahrtszeit gemäss Fahrplan halten – nicht an die tatsächliche Abfahrtszeit.
Eigentlich ging aus der Verfügung von 2012 schon hervor, dass die aktuellen Richtlinien von Alliance Swiss Pass im Widerspruch mit den Vorstellungen des BAV stehen. Hepp zufolge hat das Amt seine Aufsichtsfunktion bezüglich dieser Regelung bisher nicht wahrgenommen, da sich noch kein einziger Fahrgast bei ihnen beschwert habe.
Doch nun will das Bundesamt trotzdem intervenieren. «Alliance Swiss Pass wird demnächst von uns ein Schreiben erhalten, mit dem wir darauf hinwirken, dass es nicht länger zu solchen Fällen kommt», sagt Hepp gegenüber dem «Tagesanzeiger». Da die Aufsichtsfunktion des Amtes nicht gegenüber Alliance Swiss Pass, sondern direkt gegenüber Transportunternehmen wie der SBB gilt, wird es sich um ein informelles Schreiben handeln.
Alliance Swiss Pass will das Schreiben zunächst sorgfältig prüfen und sich im Anschluss zum weiteren Vorgehen äussern.
Die SBB könnte doch eigentlich Werbung machen für das papierlose Billet, weil man so im Notfall auch erst einsteigen und erst dann das Billet lösen könnte wenn man mal knapp dran ist.
Stattdessen büsst sie lieber. 🙄