Die Schweizerischen Bundesbahnen gelten als vorbildliches Unternehmen. In kaum einem anderen Land gibt es einen so dichten und verlässlichen (Takt-)Fahrplan. Die Verspätungen, die vor einigen Jahren zu reden gaben, scheint man im Griff zu haben. Der Mangel an Lokführern konnte entschärft und die Situation stabilisiert werden.
Dafür sind neue Baustellen aufgetaucht. Seit einiger Zeit kommt es vermehrt zu Störungen beim Billettkauf in der SBB-App und teilweise an den Automaten. Bei einem Vorfall im Juni wurde ein Cyberangriff als Grund genannt, doch in der Regel werden nicht näher definierte «technische Probleme» angeführt. Das lässt Fragen zur IT-Infrastruktur aufkommen.
Damit verbunden ist ein leidiges Problem. Beim Online-Ticketverkauf hinken die SBB den Bahnunternehmen in den Nachbarländern hinterher. Zwar wurde der antiquierte Webshop «aufgemöbelt», doch eine direkte Sitzplatzreservierung ist weiter nicht möglich. Und in der SBB-App kann man keine Tickets für internationale Verbindungen kaufen.
Wenn man es versucht, heisst es: «Wir arbeiten daran.» Bei DB, SNCF oder Trenitalia ist der In-App-Kauf seit Jahren problemlos möglich, und das häufig zu einem günstigeren Preis. «Sie haben völlig recht, das Ticketing im internationalen Verkehr ist unser Schwachpunkt», räumte SBB-Chef Vincent Ducrot vor zwei Jahren im Interview mit watson selber ein.
Ebenfalls als Schwachpunkt entpuppte sich der als «Flaggschiff» auf der Ost-West-Achse beschaffte neue Fernverkehrs-Doppelstockzug (FV-Dosto). Von Anfang an gab es nur Probleme. Die Auslieferung erfolgte verspätet, Behindertenverbände klagten über zu steile Rampen, und zu einem veritablen Debakel wurde die im Zug eingebaute Neigetechnik.
Mit ihr wollten die SBB die Fahrzeiten ohne teure Baumassnahmen verkürzen. Doch trotz «Wankkompensation» hielten es Fahrgäste bei Testfahrten nicht aus. Auf der Ost-West-Achse könne es nicht sein, «dass es 20 Prozent der Passagiere übel wird», sagte Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), im Interview mit «CH Media».
Letztes Jahr mussten die SBB zugeben, dass die Wankkompensation nicht funktioniert. Das nervige Schütteln aber konnte nicht völlig beseitigt werden, und auch die Bio-Toiletten sorgen für Ärger. SBB und BAV wollen deshalb in Zukunft keine «massgeschneiderten» Züge mehr anschaffen, sondern nur solche, die auf bewährten Technologien basieren.
Seit Jahren bekannte Mängel beim Ticketverkauf und ein Paradezug, der in Wirklichkeit ein Pannenzug ist: Es sind typische Symptome eines Monopolbetriebs, der frei von Konkurrenz agieren kann. Ein solcher sind die Bundesbahnen zumindest im Fernverkehr. 2018 wollte das BAV die Konzession neu ausschreiben und damit für mehr Wettbewerb sorgen.
Mittelgrosse Unternehmen wie BLS oder die Schweizerische Südostbahn (SOB) sollten die Möglichkeit erhalten, bestimmte Verbindungen in Konkurrenz zu den SBB zu betreiben. Am Ende blieb alles beim Alten. Die SBB überlassen BLS und SOB einen Teil des Kuchens, aber die Konzession und damit das faktische Monopol bleibt in ihren Händen.
Und die Zeichen stehen auf eine weitere Abschottung gegenüber dem Ausland. Im März enthüllte «CH Media», dass die SBB ab 2024 selbst am Schalter nur noch Billette für Reisen in Nachbarländer verkaufen wollen, mit wenigen Ausnahmen wie dem Eurostar nach London. Faktisch begründet wird dieser Abbau mit den Problemen im IT-Bereich.
Ungereimtheiten gibt es auch im grenzüberschreitenden Verkehr. Kürzlich warf die NZZ den SBB vor, sie würden den Fernverkehr zugunsten des Regionalverkehrs vernachlässigen. Konkret genannt wurde etwa die Strecke zwischen Lugano und Mailand. Ein Dauerärgernis sind auch die Züge von Zürich nach München, die praktisch nie pünktlich ankommen.
Und es könnte noch dicker kommen. Im Fahrplanentwurf des BAV für 2035 sollen diverse Züge nur noch bis zur Landesgrenze nach Basel fahren. Das betrifft nicht nur die notorisch unpünktlichen deutschen ICE-Züge, sondern auch den beliebten und zuverlässigen TGV von Zürich nach Paris. Auch im Inland stehen die Zeichen auf Abbau.
Die Interessengemeinschaft öffentlicher Verkehr (IGöV) reagierte entsetzt und sprach von der «grössten Fahrplanverschlechterung aller Zeiten». Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. BAV-Chef Peter Füglistaler versuchte im «CH Media»-Interview die Wogen zu glätten, dennoch stehen die Pläne ziemlich quer in der europäischen Zuglandschaft.
Die EU hat 2019 den internationalen Personenverkehr liberalisiert. Kooperationen über die Grenzen hinweg sind nichts Neues, doch nun sollen die Bahnunternehmen ihre Trassen für ausländische Konkurrenten öffnen. In der Praxis ist das oft leichter gesagt als getan, und doch sorgt die Liberalisierung in Ländern wie Spanien für mehr Wettbewerb.
Als Musterbeispiel gilt Italien, wo der Schienenverkehr schon vor mehr als zehn Jahren liberalisiert wurde. Auf dem Hochgeschwindigkeitsnetz verkehren seither neben dem Frecciarossa der staatlichen Trenitalia auch private Italo-Züge. Der harte Konkurrenzkampf hat nach Ansicht von Experten zum Konkurs der Fluggesellschaft Alitalia beigetragen.
Seit der EU-weiten Liberalisierung bietet Trenitalia eine Frecciarossa-Verbindung von Mailand nach Paris an. Kürzlich stellte der Staatskonzern den Plan für eine Direktverbindung mit seinem Vorzeige-Zug von Mailand nach München schon ab 2025 vor. Die Fahrzeit soll nur vier Stunden betragen. Sogar ein Frecciarossa von Berlin nach Rom ist im Gespräch.
In der Schweiz hingegen sorgt die Liberalisierung des Zugverkehrs für die bekannte Abwehrhaltung. Sollte man Trassen für internationale Bahnunternehmen freiräumen, könnte das SBB-Angebot schlechter und teurer werden, warnte Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar im Interview mit der «Sonntagszeitung»: «Dieses Risiko besteht.»
Der Eisenbahner-Gewerkschaft SEV ist eine Verbindung von Zürich nach München mit dem privaten Betreiber Flixtrain ein Dorn im Auge. Sie fürchtet um den Lohnschutz, was für zusätzliche Komplikationen in den ohnehin schwierigen Gesprächen mit der EU um eine mögliche Neuauflage des Rahmenabkommens sorgen könnte.
BAV-Direktor Peter Füglistaler allerdings verwies gegenüber «CH Media» auf einen kaum beachteten Aspekt. Die Schweiz habe schon im bestehenden Landverkehrsabkommen versprochen, die Gesetzgebung im grenzüberschreitenden Verkehr der Europäischen Union (EU) anzugleichen: «Das beinhaltet die Öffnung im internationalen Personenverkehr.»
Weil die Schweiz ihren Teil nicht einhalte, blockiere die EU Weiterentwicklungen in diversen Dossiers, sagte Füglistaler. Er hält trotz der Querelen um den Fahrplan 2035 eine Lösung für möglich:
Das wirkt plausibel. Selbst der Flixtrain nach München wäre für Füglistaler kein Schreckgespenst: «Mit etwas gutem Willen liesse sich Flixtrain problemlos ins Schweizer Netz eingliedern.» Was der abtretende Chef des BAV nicht sagt, aber womöglich meint: Ein wenig Konkurrenz könnte dem trägen Monopolbetrieb SBB auf die Sprünge helfen.
Die Hürden blieben hoch, wegen des dichten Taktfahrplanes. Aber ein Flixtrain nach München oder ein Frecciarossa von Zürich nach Rom wären keine Horrorvorstellung, sondern eine echte Bereicherung. Wetten, dass es dann auch mit dem Ticketverkauf in der App sehr rasch vorwärtsgehen würde?