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Interview

BAV-Chef gibt zu: «Wir haben eine Krise» – diese Züge sollen nicht mehr

Interview

Der Chef des BAV gibt zu: «Wir haben eine Krise» – diese Züge sollen nicht mehr fahren

Weniger Direktzüge und Verbindungen ins Ausland sowie längere Fahrzeiten: Mit der ersten Version des künftigen Fahrplans verärgert das Bundesamt für Verkehr viele Reisende. Direktor Peter Füglistaler verteidigt das Vorgehen – und sagt, welchen Fehler die SBB machten.
01.07.2023, 18:1201.07.2023, 18:18
Stefan Ehrbar / ch media
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Peter Füglistaler muss viel Kritik einstecken. Kürzlich wurde publik, wie sich sein Bundesamt für Verkehr (BAV) das Bahnangebot ab dem Jahr 2035 vorstellt. Trotz hoher Investitionen wird es vielerorts schlechter.

BAV-Direktor Peter Füglistaler, im Hintergrund sei Chefrevisor Pascal Stirnimann. Sie wollen künftig über die korrekte Verwendung von Subventionen wachen.
BAV-Direktor Peter Füglistaler.Bild: KEYSTONE

Das BAV plant beim ÖV-Fahrplan «die grösste Verschlechterung aller Zeiten», war diese Woche zu lesen. Ist der Fachkräftemangel bei Ihnen so akut?
Peter Füglistaler:
Wir planen nicht «die grösste Verschlechterung», wir sind Überbringer der schlechten Nachricht. Wir haben begonnen, unter schwierigen Voraussetzungen den Fahrplan 2035 an die Realität anzupassen. Was nun öffentlich geworden ist, ist die erste Version in einem langen Prozess.

Konkret sieht Ihr Konzept vor, dass es keine Intercity-Züge mehr von Luzern und Olten ins Tessin geben soll. Die Zentralschweiz, aber auch Basel, Baden und Brugg sollen ihre Direktzüge an den Flughafen Zürich verlieren. Das sorgt für massive Kritik.
Diese Kritik nehmen wir auf. Diese Punkte müssen wir verbessern.​

Versprochen wurde auch die Rückkehr des Direktzugs Basel-Genf. Daraus wird nichts.
Direktzüge haben einen emotional hohen Stellenwert. Aber von Basel nach Genf fahren wenige Leute. Gemäss unserem Konzept müsste man nur einmal umsteigen, und zwar auf dem gleichen Perron, ohne Zeit zu verlieren. Da geht es um ein Abwägen zwischen Direktverbindungen und Stabilität. Wir werden nicht alle Wünsche erfüllen können.

Der Eindruck entsteht: Trotz Ausbauten für 13 Milliarden Franken bis 2035 wird das Angebot schlechter. Wieso?
Das Angebotskonzept wird sehr punktuell kritisiert. Insgesamt wird das überarbeitete Angebotskonzept 2035 viel mehr Züge und mehr Kapazität bringen. Es gibt häufigere und regelmässigere Verbindungen. Man wird kaum mehr auf Züge warten müssen. Das wird Leute anziehen. Die jetzt geäusserte Kritik bezieht sich alleine auf die Fahrzeiten. Und es stimmt: Diesbezüglich werden wir nicht so weit kommen, wie wir es versprochen haben.

Von Basel nach Genf soll man 2035 etwa 18 Minuten länger unterwegs sein als heute, von Lausanne nach Zürich dauert es 6 Minuten länger. Warum?
Ursprünglich war geplant, dass die SBB in ihren Doppelstock-Fernverkehrszügen die Wako-Technologie einsetzen. Diese hätte es erlaubt, in Kurven schneller zu fahren. Letztes Jahr haben die SBB bekannt gegeben, dass sie darauf verzichten. Die Technologie funktioniert nicht. Das tut uns extrem weh. Man kann nicht ein so wichtiges Element verwerfen und hoffen, dass es trotzdem klappt. Wir müssen Abstriche machen.

War der Verzicht auf die Wako-Technologie so alternativlos, wie es die SBB darstellen?
Es gab Testfahrten. Passagiere haben es nicht ausgehalten. Diese Züge sind das Hauptprodukt auf der Ost-West-Achse. Da kann es nicht sein, dass es 20 Prozent der Passagiere übel wird. Manche sind sogar gestürzt, als sie aufs WC wollten. Die SBB haben an diesen Zug zu hohe Anforderungen gestellt.​

Der Bahnhof SBB, vorne und das Meret Oppenheim Hochhaus (MOH), hinten, in Basel, am Mittwoch, 25. Mai 2022. Aktuell erstellt die SBB Bauwerke fuer erste Angebotsverbesserungen der trinationalen S-Bahn ...
Bald Endstation für Züge aus dem Ausland? Der Bahnhof Basel SBB.Bild: keystone

Welche Lösungen gibt es für das Problem der Fahrzeiten?
Wir prüfen Neubaustrecken zwischen Fribourg und Lausanne und Beschleunigungen in Richtung St. Gallen. Bis im Jahr 2026 wollen wir dem Parlament die nächste Ausbaubotschaft vorlegen. Dort könnten diese Projekte enthalten sein. Sie könnten bis ins Jahr 2040 umgesetzt werden.

Die Fahrzeiten verlängern sich auch, weil keine Neigezüge mehr vorgesehen sind. Bleibt es dabei?
Wir haben im BAV entschieden, Neigezüge wieder prüfen zu lassen. Wir sind überzeugt, dass sie auf gewissen Strecken eine Zukunft haben.

Ihr Konzept wartet mit einer weiteren umstrittenen Neuerung auf: ICE- und TGV-Züge sollen nur noch bis Basel fahren statt weiter in Richtung Zürich oder Bern. Dabei sollten doch Leute vom Flugzeug auf die Bahn geholt werden. Was haben Sie sich dabei gedacht?
Der Idealfall wäre, dass internationale Züge im Schweizer Taktfahrplan integriert sind. Dafür müssen sie aber pünktlich sein. Das sind die ICE-Züge aus Deutschland seit Jahren nicht. Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir die Attraktivität dieser Verbindungen innerhalb der Schweiz aufrechterhalten können. Es hat in unserem System keine Reserven für Züge, die 20 Minuten zu spät unterwegs sind. Es war übrigens der Entscheid der SBB, gewisse ICE-Verbindungen schon jetzt in Basel enden zu lassen.

Die TGV von Zürich nach Paris sind aber beliebt und verkehren zuverlässig. Sie zu streichen, ist doch das falsche Signal.
Es stimmt, die TGV haben in der Regel eine hohe Pünktlichkeit. Deshalb wollen wir sie auch beibehalten, wenn es geht.

Sie haben auf Linkedin kürzlich gefordert, die Eurocity-Züge von Zürich nach München nur noch bis St. Gallen fahren zu lassen. Das hat Ihnen heftige Kritik eingebracht: Branchenkollegen sprachen von «Resignation» und einer «Bankrotterklärung». Haben Sie resigniert?
Mir ging es darum, eine Diskussion anzustossen. Diese Züge sind nie pünktlich. Das ist die Realität. Und ich sehe keine Massnahme, die das Problem in den nächsten Jahren lösen würde. Diesen Zustand können wir bejammern oder eine Lösung finden. Das kann bedeuten, in St. Gallen oder Bregenz umzusteigen. Das Prinzip Hoffnung wird nicht funktionieren. Wir sind oft zu stark gefangen in unseren Planungen. Manchmal funktionieren die nicht. Dann braucht es einen Plan B.

Warum sieht Ihr Konzept denn vor, künftig Züge von Bern via Zürich und St. Gallen abwechselnd nach München oder Wien fahren zu lassen?
Diese Ideen sind bereits wieder gestorben. Wir haben sie zur Diskussion gestellt und sie haben Widerspruch erzeugt. Das wird nicht kommen.

Grenzüberschreitende Direktverbindungen sind auf langen Strecken sehr beliebt; viele Passagiere reisen mit Gepäck. Müssen diese unbedingt Teil des Taktfahrplans sein?
Nicht unbedingt. Das wäre die ideale Lösung, aber wenn es aus Pünktlichkeitsgründen nicht klappt, dann müsste man internationale Züge vermehrt aus dem Taktfahrplan nehmen.

Warum geschieht das nicht? Weil die SBB nicht wollen?
Ja.

Nun sprechen Sie sich ausgerechnet beim internationalen Personenverkehr für eine Liberalisierung aus. Anbieter wie Flixtrain könnten dann Züge in die Schweiz anbieten. Die Gewerkschaften toben. Was erhoffen Sie sich davon?
Die Schweiz hat im Landverkehrsabkommen versprochen, die Gesetzgebung im grenzüberschreitenden Verkehr der Europäischen Union (EU) anzugleichen. Das beinhaltet die Öffnung im internationalen Personenverkehr. Weil wir unseren Teil nicht einhalten, blockiert die EU Weiterentwicklungen in diversen Dossiers. Das belastet unser Verhältnis. Unser Ziel ist, eine gute Lösung aushandeln zu können: Internationale Züge sollen zugelassen werden, aber der Taktverkehr soll Vorrang haben. Die Tarifintegration wäre Pflicht, diese Züge würden also in unser Ticketsystem integriert. Zudem bräuchte jeder Betreiber eine Konzession und müsste nachweisen, dass er branchenübliche Löhne bezahlt. Das sind genau die Forderungen der Gewerkschaften!

Was haben die Kunden davon?
Ich habe das Konzept von Flixtrain für Züge zwischen Zürich und München gesehen. Sie würden in Randstunden fahren und nicht in Konkurrenz zu den SBB. Heute nutzen viele Leute den Flixbus zwischen Zürich und München. Ein Zug wäre effizienter. Mit etwas gutem Willen liesse sich Flixtrain problemlos ins Schweizer Netz eingliedern.

Im Zweifelsfall könnte ein ausländischer Anbieter einen SBB-Zug verdrängen, wenn es keinen Platz hat auf der Schiene für beide, also keine sogenannten Trassen zur Verfügung stehen.
Nein, das ist nicht möglich. Die SBB haben eine Fernverkehrskonzession. Ausländische Anbieter hätten keinen Anspruch auf eine Trasse im Taktfahrplan. Sie müssen selber eine Trasse suchen. Flixtrain etwa würde nicht im Takt fahren. Das Unternehmen sieht darin kein Problem: Ihre Kundschaft hätte kein Problem, etwas länger zu warten.

Der Verein Swissrailvolution kritisiert das BAV: Der Ausbau geschehe konzeptlos und dort, wo die Regionen am lautesten schreien.
Das stimmt nicht. Wir verfolgen ein anderes Konzept als Swissrailvolution. Wir wollen keine Hochgeschwindigkeitsstrecken, sondern Kapazitäten schaffen. Das grösste Potenzial liegt in den Agglomerationen. Die meisten Menschen fahren zudem kurze Strecken. Nur wenige fahren von St. Gallen bis Genf durch oder reisen ins Ausland. Darum wollen wir auf kurzen und mittleren Strecken ausbauen. Wir brauchen Kapazitäten, um möglichst viele Leute auf den Zug zu bringen.

Natürlich reisen wenige Leute auf langen Strecken. Aber gerade eben weil sie lang sind, sind sie für den Anteil des ÖV relevant.
Wir investieren in den internationalen Personenverkehr. Volumenmässig ist das aber eine Nische. Wer Klimaziele erreichen will, braucht eine mengenmässig grosse Verlagerung.

Der Anteil des ÖV am Verkehr stagniert seit Jahren. Warum?
Wir hatten ein starkes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Das mussten wir auffangen. Auf der Strasse gibt es viermal mehr Verkehr als auf der Schiene. Wenn wir den Anteil der Bahn um einen Prozentpunkt erhöhen wollen, müssen wir das Vierfache von der Strasse holen. Das bringen wir trotz hohen Investitionen nicht genügend schnell hin.

In einem Jahr gehen Sie in Pension. Was wollen Sie noch erreichen?
Wir haben viele Probleme im Moment. Wir haben eine Krise bei der Umsetzung von Projekten. Wir sind zu wenig schnell. Der finanzielle Druck ist gestiegen. Ich möchte noch ein Jahr dazu beitragen, Lösungen zu finden.​

Was soll man mal über Ihr Wirken sagen?
Er hat sich für den ÖV eingesetzt.​

Der Chefplaner
Peter Füglistaler ist seit Juni 2010 Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV). Vor seinem Eintritt ins BAV war der 63-Jährige als Leiter Finanzen und Recht Mitglied der Geschäftsleitung der SBB Infrastruktur. Zuvor war er Generalsekretär der SBB. Füglistaler ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Töchtern. Er wohnt in der Region Bern.

(aargauerzeitung.ch)

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154 Kommentare
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domin272
01.07.2023 18:36registriert Juli 2016
Diesen Blödsinn von wegen Liberalisierung kann man bitte auch gleich wieder streichen. Es funktioniert in der EU desswegen nicht besser, siehe DE oder GB. Es sind nur zusätzliche Fehlerquellen, die alles destabilisieren können, egal ob nun dafür Priorität besteht oder eben nicht und Gewinne die auf Lukrativen Hauptstrecken abgeschöpft werden, womit der Steuerzahler die SBB stärker subventionieren muss. Zudem bezweifle ich, dass man deutschen Zugebegleitern plötzlich das schweizer Gehalt gezahlt wird, wenn sie über die Grenze fahren.
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Swen Goldpreis
01.07.2023 18:30registriert April 2019
Die DB ist dermassen unpünktlich, dass man sich auf die Unpünktlichkeit schon fast verlassen kann.

Daher frage ich mich, ob es nicht möglich wäre, die ICEs aus Deutschland einfach etwas länger in Basel halten zu lassen. Vielleicht 15 Minuten. Macht Basel-Tessin in Luzern ja auch. Meistens beträgt die Verspätung aus Deutschland um die 10 Min, was so locker aufgeholt werden könnte.

Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute lieber 15 Minuten in einem stehenden Zug warten als umsteigen zu müssen (und dabei wahrscheinlich die Verbindung zu verpassen).
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Gandalf der Weise
01.07.2023 19:17registriert Januar 2023
Ich finde es sehr pragmatisch, die Verbindung München-Zürich nicht mehr in den Takt einzubinden. Mehr Zeit einplanen, dann erhöht sich auch die Pünktlichkeit.
Den ICE in Basel enden zu lassen, finde ich gut. Eng getaktete Inlandzüge ab Basel gibt es zur Genüge. Umzusteigen kann jedem zugetraut werden.
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