Eine Karte, zusammen mit einem Brief, hat die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli im März 2012 an alle Gemeinden verschickt. Sie wollte damit anschaulich auf die Malaise in der Unterbringung von Asylbewerbern aufmerksam machen und die Gemeinden eindringlich dazu aufrufen, ihrer Aufnahmepflicht nachzukommen. Das war, nachdem der Plan, in Bettwil in einer ausgedienten Militäranlage eine Bundesunterkunft für Asylbewerber einzurichten, am erbitterten Widerstand der Bettwiler gescheitert war.
Heute sind gleich viele Gemeinden wie damals auf der Karte geblieben, die ihr Soll zur Unterbringung von Asylbewerbern voll erfüllen: knapp die Hälfte. Im Moment (die Zahlen beziehen sich auf den Stand Ende September) sind es sogar noch einmal deutlich mehr Gemeinden als damals, die keinen einzigen Asylbewerber beherbergen. Nämlich 74 oder mehr als ein Drittel. Die Situation hat sich also nach bald dreijährigen Diskussionen keinen Deut verbessert, sondern weiter verschärft. Denn die Zahl der Asylbewerber, die dem Aargau zugewiesen werden, steigt und steigt. Gemäss den Monatsstatistiken des Bundesamts für Migration zählte der Aargau 2012 im Durchschnitt knapp 2700 Personen im Asylprozess. Heute sind es 3200, der Durchschnitt im laufenden Jahr liegt bei 2900. Die Zahlen waren nur bis April etwas rückläufig, seither steigen sie kontinuierlich an.
Die Diskussion verläuft immer in den gleichen Bahnen: Jede Gemeinde macht allerlei geltend, warum gerade sie schlicht keine Möglichkeit hat, die Aufnahmepflicht zu erfüllen. Allerdings bietet die geltende Regelung auch nicht gerade einen besonderen Anreiz, sich um eine Lösung zu bemühen: Mit einer Ersatzabgabe können sich die Gemeinden einfach und mit zehn Franken pro Tag und Kopf eher günstig aus ihrer Pflicht freikaufen.
Das Argument von Moosleerau, das letzte Woche mit einer – vorsichtig formuliert – unkonventionellen Lösung Schlagzeilen machte, erstaunt daher: Dass man eine in einer gemeindeeigenen Wohnung lebende Familie ausquartieren wollte, um dort Asylbewerber einzuquartieren, begründete Frau Gemeindeammann Silvia Morgenthaler hauptsächlich damit, dass sich eine so kleine Gemeinde (Moosleerau hat 920 Einwohner) steigende Ersatzabgaben nicht leisten könne. Moosleerau sollte nach dem Verteilschlüssel zwei Asylsuchende aufnehmen, die Ersatzabgabe dafür beläuft sich auf rund 8000 Franken im Jahr. Der Verlust aus fehlenden Mieteinnahmen aus der Wohnung, für die man Eigenbedarf zur Unterbringung von Asylbewerbern anmelden wollte, hätte sich aber auf 15'000 Franken belaufen.
Es stimmt auch nicht ganz, dass Moosleerau vom Kanton eine höhere Ersatzabgabe aufgebrummt bekäme, wenn es seiner Aufnahmepflicht weiterhin nicht nachkommen würde. Der Betrag hängt von der Anzahl der Zuweisungen des Bundes an den Aargau und der Auslastungsquote der kantonalen Unterkünfte ab. Je höher die Zahl der Zuweisungen und die Auslastungsquote sind, desto eher steigt das Kontingent für die Gemeinden und damit die Ersatzabgabe, wenn sie es nicht erfüllen. Man kann aber «nicht grundsätzlich davon sprechen, dass die Ersatzabgaben für die Gemeinde Moosleerau erhöht werden», hält Daniela Diener fest, Sprecherin des Departements Gesundheit und Soziales.
Fahrwangen zum Beispiel müsste fünf Asylbewerber aufnehmen und bezahlt damit eine doppelt so hohe Ersatzabgabe wie Moosleerau: rund 17'000 Franken im Jahr. Wohnraum für fünf Leute zu einem tieferen Preis zu mieten, dürfte nicht ganz einfach sein. Es hat auch keine finanziellen Gründe, dass der Gemeinderat das nun trotzdem angehen will. Früher habe man sich gar nicht ernsthaft um eine Lösung bemüht, gibt Gemeindeammann Patrick Fischer offen zu. «Das finden wir inzwischen selber störend und sehen es als solidarische Aufgabe an, eine Wohnung zu suchen und unsere Aufnahmepflicht zu erfüllen. Wir sind auf dem Pfad zur Besserung.»
Eine Anfrage bei einigen Gemeinden, die bislang gar keine Asylbewerber beherbergen, lässt Hoffnung aufkommen, dass die roten Flecken auf der Karte oben in absehbarer Zeit weniger werden. Auch in Künten zum Beispiel hat der Gemeinderat beschlossen, aktiv eine geeignete Wohnung für die Unterbringung der vom Verteilschlüssel geforderten vier Asylbewerber zu suchen. Man habe dazu bereits einen Aufruf lanciert und auch Kontakt mit Vermietern aufgenommen, sagt Gemeindeammann Werner Fischer. Künten gehört erst seit kurzem zu den schwarzen Schafen. Wenigstens zwei von den geforderten vier Plätzen hatte man bis vor einigen Monaten angeboten. Aber die betreffenden Asylbewerber erhielten den Aufenthaltsstatus B und werden jetzt nicht mehr an das Kontingent angerechnet. Ausserdem lebe eine vorläufig aufgenommene Familie mit drei Kindern aus Eritrea in der Gemeinde, gibt Fischer zu bedenken. Der Aufwand für die Betreuung sei nicht kleiner als für Asylbewerber, die der Gemeinde angerechnet werden, das gehe in der Diskussion etwas unter.
Stettens Gemeindeammann Kurt Diem wird da deutlicher: «Es regt mich auf, wenn es vom Kanton heisst, die Gemeinden würden sich einfach aus der Aufnahmepflicht freikaufen.» Das sei nicht die Absicht, aber in seiner Gemeinde gebe es nun mal keinen geeigneten Wohnraum. Schliesslich könne man keine gediegene Attikawohnung oder ein Einfamilienhaus anmieten, nur um die Aufnahmepflicht (für Stetten fünf Personen) zu erfüllen. Die Gemeinde verfügt wohl über eine eigene Liegenschaft, in der bis vor etwa drei Jahren auch Asylsuchende untergebracht waren. Sie ist aber so stark sanierungsbedürftig, dass daran nicht mehr zu denken ist.