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Asylbewerberin stirbt nach Suizidversuch – heute stehen vier Aufseher vor Gericht

Asylbewerberin stirbt nach Suizidversuch – heute stehen vier Gefängnisaufseher vor Gericht

24.08.2021, 06:45
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Im Juni 2018 hat sich eine abgewiesene Asylbewerberin im Untersuchungsgefängnis Waaghof in Basel erhängt. Vier Gefängnis-Angestellte müssen sich am heutigen Dienstag vor dem Basler Strafgericht verantworten. Sie sollen nach einem Suizidversuch nicht genügend Hilfe geleistet haben.

Angeklagt sind drei Aufseher und die Aufseherin im Alter zwischen 36 und 50 Jahren. Sie stehen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen und Aussetzung vor Gericht.

Blick in einen Spazierhof des Basler Gefaengnis Waaghof in Basel am Samstag, 5. November 2005. (KEYSTONE/Markus Stuecklin)
Blick in einen Spazierhof des Basler Gefängnis Waaghof in Basel, aufgenommen am 5. November 2005.Bild: KEYSTONE

Grund für die Anklage der Basler Staatsanwaltschaft ist der Suizid einer abgewiesenen Asylbewerberin aus Sri Lanka im Juni 2018. Die Todesfolge sei vorhersehbar und vermeidbar gewesen, heisst es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Die Beschuldigten hätten elementare Sorgfaltspflichten verletzt, obwohl sie entsprechend ausgebildet worden seien.

In Bern festgenommen

Die Frau hatte im Mai 2017 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt, welches das Staatssekretariat für Migration SEM drei Monate später jedoch ablehnte. Weil das SEM Malta als für das Asylverfahren zuständig erachtete, hätte die Frau im Rahmen des Dublin-Verfahrens dorthin zurückgeschickt werden sollen.

Die Sri Lankerin entzog sich zwischenzeitlich ihrer Rückführung, wurde in Bern jedoch festgenommen und am 11. Juni 2018 aus dem Regionalgefängnis Bern nach Basel gebracht.

Der Gemütszustand der 29-Jährigen war gemäss Anklageschrift «nicht einfach». Die abgewiesene Asylbewerberin verhielt sich in der mit Kamera ausgerüsteten Zelle für «Personen mit besonderem Überwachungsbedarf» unruhig. Sie ging rastlos umher, zerriss die Bettdecke, schrie, klingelte mehrmals, schlug gegen die Wand und griff sich «in würgeartiger Manier» an den Hals.

Schliesslich zog die Frau ihr Traineroberteil aus und befestigte es am Zellenfenster und um den Hals. Anschliessend liess sie sich in die Schlinge fallen – und verharrte knapp viereinhalb Minuten bewegungslos in dieser Position.

Nach rund sechs Minuten entdeckt

Rund sechs Minuten dauerte es, bis die Frau von einem Securitas-Mitarbeiter auf dem Monitor entdeckt wurde. Die drei nun angeklagten Aufseher eilten in die Zelle und durchschnitten das Oberteil. Die Frau soll dabei tief geseufzt und geatmet haben. Nachdem einer der Aufseher das Gesicht der Frau mit Wasser benetzt hatte, verliessen die drei Männer die Zelle wieder.

Die drei Mitarbeiter hätten dabei dringend angezeigte Rettungsmassnahmen unterlassen, heisst es in der Anklageschrift. So hätten sie keine Vitalzeichen geprüft, keine medizinische Hilfe geholt und die Frau nicht in eine stabile Lage gebracht. Vielmehr hätten sie die hilflose Insassin untätig in der sichtlich für die Atmung schwer beeinträchtigenden Lage belassen.

Auch die vierte Angeklagte, die zur Hilfe geholte Kollegin der drei Aufseher, soll gemäss Staatsanwaltschaft zu wenig getan haben. Sie soll der Insassin, die auf dem Bauch mit dem Gesicht nach unten lag, lediglich die Hosen ausgezogen und die Zelle dann wieder verlassen haben.

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Zwei Tage nach Suizidversuch gestorben

Zehn Minuten blieb die abgelehnte Asylbewerberin, die nur noch schwer atmen konnte, alleine in der Zelle. Die Mitarbeitenden schauten mehrmals kurz via Sichtöffnung in die Zelle, bevor sie die Sanität alarmierten und die Frau in die Rückenlage drehten. Fünf Minuten nach der Alarmierung startete einer der Aufseher mit ersten Reanimierungs-Massnahmen.

Die Frau wurde danach ins Universitätsspital Basel gebracht, wo sie zwei Tage später an den Spätfolgen «der durch lange andauernden Sauerstoffmangel erlittenen Hirnschädigung» verstarb.

Gemäss der Staatsanwaltschaft dauerte es ab Beginn der Erhängung rund 19 Minuten, bis die Sri Lankerin auf den Rücken gedreht und damit eine Verbesserung der Atmungssituation herbeigeführt wurde.

Welche Strafe die Staatsanwaltschaft für die vier Gefängnis-Angestellten beantragt, ist offen. Der Prozess dauert voraussichtlich dreieinhalb Tage. (sda)

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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who cares?
24.08.2021 07:29registriert November 2014
Absolut richtig, dass hier ein Verfahrer eröffnet wurde. Es scheint so, als hätten sie gedacht, okay sie atmet, also alles gut. Mal versuchen, ein Wort zu wechseln mit ihr, scheint niemandem in den Sinn gekommen zu sein... Auch Asylbewerber:innen sind Menschen.
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insert_brain_here
24.08.2021 07:29registriert Oktober 2019
Securitas? Echt jetzt? Die Mitarbeiter dieser Firma sind schon regelmässig mit ihrem Job an winzigen Vereinsanlässen überfordert und die betreuen Gefängnisse? Hauptsache billig…wobei…vermutlich unter dem Strich nicht einmal das
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Tokyo
24.08.2021 08:09registriert Juni 2021
3 Jahre bis Beginn des Prozesses? Ist ja Wahnsinn.
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