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Uni Basel: Schwere Vorwürfe gegen Professor

Nahaufnahme eines größten Philosophen Griechenlands Sokrates reflektiert die Bedeutung des Lebens auf dem Hintergrund des blauen Himmels.
Statue des antiken Philosophen Sokrates.Bild: Shutterstock

Professor soll Doktorandinnen ausgenutzt haben – doch er bleibt auf seinem Lehrstuhl

Ein renommierter Altphilologe der Universität Basel verlangte von Mitarbeiterinnen, dass sie ihn mehr als 100 Mal zitieren. Das Rektorat schafft es nicht, ihn zu entlassen.
17.07.2023, 08:24
Andreas Maurer / ch media
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Drei Doktorandinnen der Universität Basel hielten es nicht mehr aus. Sie fühlten sich von ihrem Doktorvater am Departement für Altertumswissenschaften ausgenutzt. Er band sie in seinen Forschungsschwerpunkt ein und nutzte ihre Publikationen für seine Arbeit. Selber zitierte er sie in seinen Werken nicht oder kaum, umgekehrt verlangte er aber von ihnen, dass sie ihn in ihren Arbeiten über 100 Mal referenzierten.

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Der Professor wollte in den Publikationen seiner Doktorandinnen zitiert werden.Bild: Shutterstock

So wurde die Leistung der jungen Wissenschafterinnen kaum sichtbar, während der Professor im Scheinwerferlicht stand. Er ist in seinem Fachgebiet weltweit führend und wird dafür vom Schweizerischen Nationalfonds alimentiert.

Die Doktorandinnen wehrten sich gegen die Zitierwünsche ihres Professors. Doch er habe ihnen gedroht, dass er sie dann schlecht benoten und eine Publikation verhindern werde. Die Frauen zeigten ihn deshalb bei der Universität an. Sie warfen ihm auch Plagiat vor. Er habe eine ihrer Arbeiten vor deren Publikation ohne korrekte Zitierung verwendet.

Der Professor fasste die Vorwürfe als Majestätsbeleidigung auf. An der Fakultätsversammlung sagte er, die Karrieren der Anzeigerinnen seien damit beendet. Und er schrieb eine E-Mail an den Vater einer Doktorandin, in der er massive Vorwürfe gegen sie erhob.

Der Integritätsbeauftragte der Universität eröffnete ein Verfahren. Er kam zum Schluss, dass in einem Fall «ein ausreichender Verdacht des wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegeben» sei. Im zweiten Fall könne der Verdacht «nicht ausgeräumt» und im dritten Fall «nicht erhärtet» werden.

Das Rektorat stufte die Integritätsverletzungen als schwer ein und hielt fest, das Vertrauensverhältnis sei «unwiederbringlich zerstört». Es leitete deshalb das Kündigungsverfahren ein. Das war vor zehn Jahren.

Universitäten haben Mühe, Professoren loszuwerden

Inzwischen sind weitere schwere Vorwürfe hinzugekommen. Doch die Verfügungen sind immer noch nicht rechtskräftig. Es gilt deshalb die Unschuldsvermutung und der Mann sitzt noch immer auf seinem Lehrstuhl. Das Verfahren geht seither den Instanzenweg rauf und runter, ans Bundesgericht und zurück.

Wegen mehrerer Verfahrensfehler verlangen die Gerichte immer wieder neue Abklärungen, Gutachten und Begründungen. Ein Ende ist nicht absehbar. Der Professor ist mittlerweile 63 Jahre alt. Die Justiz wird das letzte Wort kaum gesprochen haben, bevor er sich in Rente verabschiedet hat.

Der Fall zeigt, wie schwierig es für eine Universität ist, einen Professor zu entlassen. Ein Ordinarius erhält seinen Lehrstuhl auf Lebenszeit. Früher war es ein Tabu, einen Herr Professor überhaupt zu kritisieren. Inzwischen sind die Ansprüche an die wissenschaftliche Integrität höher geworden. Die Hochschulen haben Verhaltensregeln aufgestellt und Integritätsbeauftragte eingesetzt, die darüber richten. Doch diese Verfahren haben sich noch nicht eingespielt.

Universität Basel
Professoren oder Professorinnen zu entlassen, ist keine einfache Aufgabe.Bild: Keystone

Die renommierteste Hochschule der Schweiz, die ETH Zürich, hat in ihrer 168-jährigen Geschichte noch nie einen Professor entlassen und erst eine Professorin: 2019 musste Astrophysikerin Marcella Carollo gehen, weil sie ihre Doktorandinnen zu stark unter Druck setzte. Sie erhielt jedoch eine hohe Entschädigung, weil auch die ETH Fehler beging.

Besonders schwierig werden die Ermittlungen, wenn Plagiatsvorwürfe erhoben werden. Sie tauchen in vielen Konflikten auf, seit abgekupferte Textstellen mit Software aufgespürt werden können. Auch die Universität St. Gallen ist derzeit in Aufruhr, weil ein Professor plagiiert und Arbeiten von Studierenden unter eigenem Namen veröffentlicht haben soll.

Aus der Geschichte der Universität Basel ist erst eine Entlassung eines Professors bekannt; auch er gehörte zum Departement der Altertumswissenschaften.

Hinterlistig: Professor reichte anonyme Gegenanzeige ein

Der aktuelle Fall nahm das Ausmass einer griechischen Tragödie an, als sich der Professor zu einer besonderen Tat hinreissen liess. Er schwärzte seine Mitarbeiterin, die ihn am stärksten belastete, mit einer anonymen Anzeige beim Nationalfonds an. Er warf ihr Plagiate in ihrer Doktorarbeit vor, die er betreut hatte.

Dass er selber hinter der Anzeige steckte, flog auf, als er im anderen Verfahren ein identisches Dokument einreichte. Der Professor rechtfertigte sein klandestines Vorgehen darauf so: Er habe verhindern wollen, dass er beim Nationalfonds als Querulant abgestempelt werde, da er gegen diesen schon in einer anderen Angelegenheit mit einer Beschwerde vorging.

Die Universität Basel stufte die Plagiatsvorwürfe gegen die preisgekrönte Doktorarbeit als haltlos und das Vorgehen des Professors als eine weitere schwere Verletzung seiner wissenschaftlichen Integrität ein. Er habe sich an der Frau rächen wollen und dabei seinen Interessenskonflikt verschwiegen.

Der Universitätsrat führte deshalb die Akten der beiden laufenden Verfahren zusammen, um damit die Kündigung zu beschleunigen. Doch das Gegenteil trat ein. Das Verfahren wurde dadurch noch komplizierter.

Dabei ist der Handlungsbedarf gemäss Rektorat dringend. Der Ruf des Fachbereichs habe gelitten. Viele Mitarbeiterinnen wechselten so schnell wie möglich an eine andere Universität. Die Stellen konnten nicht wieder besetzt werden. Denn die Probleme haben sich in der wissenschaftlichen Community international herumgesprochen.

Auch Professoren der Universitäten Oxford und Kopenhagen sind mit Gutachten in den Konflikt involviert. Das gesamte Departement für Altertumswissenschaften und dessen Mitglieder seien in Mitleidenschaft gezogen, warnte die Universität vor Gericht.

Da der Professor keine Einsicht und kein Bemühen zeige, sich zu bessern, seien Sofortmassnahmen zur Sicherstellung des akademischen Betriebs nötig. Er hätte deshalb aus dem Departement ausgeschlossen und in einem externen Büro platziert werden sollen, bis die Kündigung definitiv ist.

Doch nicht einmal diese Massnahmen sind in Kraft getreten, da der Professor vor Gericht eine aufschiebende Wirkung erkämpft hat. Sein Ruf wäre weltweit ruiniert, sollten die Massnahmen in Kraft treten, argumentierte er vor Gericht.

Er konnte zudem durchsetzen, dass seine Plagiatsvorwürfe gegen die Frau vertieft geprüft werden. Die Universität muss nun ein externes Gutachten einholen, da dies dem Standardvorgehen entspricht. Sie hält es zwar für sinnlos, den «absolut haltlosen Vorwürfen» weiter nachzugehen. Doch das Bundesgericht trat soeben auf ihre Beschwerde nicht einmal ein.

Somit ist nun der Ruf aller Beteiligter beschädigt: der Frau, die inzwischen als Professorin an der Universität Cambridge arbeitet, des Professors, der von der mittlerweile zwölfjährigen Auseinandersetzung zermürbt ist, und der Universität, der das Kündigungsverfahren entglitten ist. Alle Beteiligte wollen den Kampf hinter den Kulissen führen und sich nicht äussern.

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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Frau Roggenmoser
15.07.2023 09:59registriert Januar 2022
Man stelle sich vor ,Alle Beteiligten könnten Ihre ganze Kraft in die wissenschaftliche Arbeit einfliessen lassen und der hier genannte Professor hätte die Grösse,seine Doktorandinnen mit all seiner Kraft zu fördern! Der Nutzen und Effekt auch für Ihn wäre weit grösser als seine Stellung zu missbrauchen um diese miesen Spiele zu spielen, die Allen nur schaden.Die grössten Lichter haben dann einen Hauch von Unsterblichkeit und Grösse erlangt,wenn Sie sich selbst nicht als den Mittelpunkt des Universums ansehen und Ihre Erkenntnisse den aktuellen Stand des Irrtums einschliessen!
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therationalist
17.07.2023 09:59registriert Dezember 2017
Deshalb wandte ich mich nach dem Abschluss so schnell wie möglich von der akademischen Welt ab.
Es geht heute ab PhD schlussendlich vor allem um Anzahl Publikationen, Referenzen und Hochschulpolitik. Das gepaart mit fehlender Integrität ergibt die hier beschriebene Geschichte, die bei weitem kein Einzelfall ist, sondern als systematisch bezeichnet werden könnte.
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ELMatador
17.07.2023 10:23registriert Februar 2020
Was ich mich hierbei frage ist, ob an Hochschulen keine Weisungen und Reglemente bezüglich Professuren existieren. Diese sollten Themen wie Plagiarismus, Führung, Umgang mit Unterstellten etc. abdecken, hält man sich nicht dran wird man ordentlich gefeuert. Die Kündigung wäre somit rechtens und eine Anfechtung wäre sinnlos. Die Argumentation; "mein Ruf wäre beschädigt" darf nicht gelten, denn man hätte sich dies vorgängig überlegen können.


Ich habe das Gefühl, dass in den meisten Firmen so ein Verhalten nicht geduldet werden würde. Aber ist nur meine Meinung.
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