In der Schweiz spricht man nicht über Geld. Und in der Kulturbranche sowieso nicht. Doch die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Theater Basel haben mit diesen Regeln gebrochen. Denn sie, die normalerweise auf der Bühne mit ihren Körpern sprechen, haben irgendwann nur noch eine Möglichkeit gesehen, um faire Löhne zu erkämpfen: Sie erhoben ihre Stimmen in der Öffentlichkeit — während des Schlussapplauses einer Premiere. Nicht nur hissten sie ein Banner, sondern sie wandten sich direkt an das Publikum und die Theaterleitung mit der Forderung nach mehr Lohn.
Nach einem Jahr Verhandlungen bekommen sie nach dieser Aktion tatsächlich mehr Lohn ab August. Doch der Vorhang ist noch nicht gefallen, das Ringen um Wertschätzung und gerechte Bezahlung geht weiter. watson hat mit den Tänzerinnen und Tänzern gesprochen. Ein Blick hinter die Kulisse:
Rund 4300 Franken brutto – das war der Monatslohn, den die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Theater Basel bislang bekamen. Dieser Lohn errechnete sich unabhängig von Alter, Erfahrung oder der Anzahl Jahre im Haus. Lohnentwicklungen waren nicht vorgesehen.
Mit diesem Lohn hatten die Tänzerinnen und Tänzer mit den tiefsten Lohn am Theater Basel, «andere vor Ort beschäftigte Berufsgruppen haben deutlich höhere Einstiegslöhne und auch Lohnentwicklungen», so Daria Frick, Pressesprecherin der Unia Aargau-Nordwestschweiz. Das Theater rechtfertigte dies damit, dass die Ballettcompagnie am Theater Basel in sich keine Hierarchie kenne und es darum «nur eine geringe Differenzierung zwischen den Gagen gebe». Zudem habe das Theater Basel die Tänzerinnen und Tänzern seit Längerem über dem «branchenüblichen, schweizerischen Mindestlohn» entlöhnt.
Und genau hier liege der Hund begraben, meinen die Tänzerinnen und Tänzer. Ihr Lohn sei im Vergleich zu anderen Bühnen-Künstlern generell systemisch niedriger. Und der Lohn sei normalerweise auch nicht verhandelbar – bei keinem Engagement. Als ihnen jedoch bewusst geworden sei, wie niedrig ihr Lohn im Vergleich zu anderen Angestellten am Theater Basel sei, hätten sie gehandelt.
Vor gut drei Jahren gingen die Tänzerinnen und Tänzer zum ersten Mal auf die Theaterleitung zu, vor rund einem Jahr begannen die Verhandlungen – sie würden lang und zäh werden. Zuerst versuchten die Künstler es mit der Gewerkschaft Szene Schweiz, doch diese soll gesagt haben, dass man nicht helfen könne. So haben die Künstler beschlossen, selbst für sich einzustehen, und sind in Gespräche mit der Theaterleitung getreten.
Gemäss einer Medienmitteilung des Theater Basel vom 29. Mai 2023 ist ursprünglich geplant gewesen, das Budget so anzupassen, dass die Durchschnittsgage im Sommer 2024 «bei knapp» 4900 Franken pro Monat gelegen hätte – bei weiterhin 13 Monatslöhnen im Jahr. Zudem hätte für die Spielzeit 25/26 «ein Modell für eine differenzierte Gagenentwicklung im Ballett» erarbeitet werden sollen. Das Theater betonte in der Mitteilung, dass der Vorgang zur Anpassung der Löhne «komplex» sei, da das Theater nicht gewinnorientiert arbeite und die Personalkosten deutlich über 80 Prozent der Gesamtausgaben ausmachten.
Theaterchef Benedikt von Peter und die Medienstelle des Basler Theaters reagierten nicht auf die schriftliche Anfrage von watson.
Von Anfang an standen die Tänzerinnen und Tänzer am Theater Basel zusammen. Auch heute noch treten sie nach aussen immer als Kollektiv auf, wenn es um ihre Löhne geht – sie seien «eigentlich wie eine Familie, die alles schaffen kann».
Und nicht nur die Tänzerinnen und Tänzer fanden, dass ihre Löhne so nicht vertretbar seien – auch andere Angestellte des Theater Basel haben sie unterstützt.
Viele der Tänzerinnen und Tänzer am Theater Basel haben weitere Jobs – schlicht, um Geld zum Leben zu verdienen. Dabei haben sie eine jahrelange, harte Ausbildung hinter sich, die bereits in ihren Kinderjahren begonnen hat. Viele von ihnen absolvierten spezielle Elite-Schulen, in denen sie neben Mathematik und Sprachen vor allem in Tanz ausgebildet wurden.
Doch warum haben sie erst so spät begonnen, sich einzusetzen?
Ihr Anliegen wurde von der Theaterleitung über die Jahre mehrfach abgeschmettert, so die Künstlerinnen und Künstler. Unter anderem habe man ihnen gesagt:
Dass Tanzen nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre Leidenschaft sei, stimme durchaus, meinen die Tänzerinnen und Tänzer aus Basel. Aber ein Grund, sie deshalb nicht fair zu entlöhnen, sei das nicht.
Tatsache ist, die Tänzerinnen und Tänzer am Theater Basel gehören international zu den besten ihrer Kunst und bringen viel Erfahrung mit. Sie sind beileibe keine Berufseinsteiger mehr, die meisten sind ungefähr 30 Jahre alt. Und in ihrer Branche bedeutet das: Das Karriereende rückt näher, denn Knochen und Gelenke sind irgendwann zu stark beansprucht. Eine Umschulung muss also absolviert werden.
Doch wie soll eine solche bezahlt werden, wenn man jahrelang keinen einzigen Rappen auf die Seite legen konnte? Das Theater Basel hat deswegen vor wenigen Jahren einen Umschulungs-Fonds für Tänzer und Tänzerinnen eingerichtet, der sich aus einem Anteil der Ticketeinnahmen speist. «Dafür sind wir dankbar. Aber dieses Geld bezahlt einen Teil der Umschulung, nicht unsere Rechnungen.» Jemand aus der Gruppe wirft ein:
Nachdem die Gespräche mit der Theaterleitung nicht gefruchtet hatten, mandatierten die Tänzerinnen und Tänzer schliesslich die Gewerkschaft Unia als ihre Stellvertreterin in den Verhandlungen. Diese organisierte eine Kampagne und trat mit der Theaterleitung per Brief in Kontakt. Am 17. Mai während einer Aufführung adressierte die Unia erstmals die Öffentlichkeit mit den Forderungen der Tänzerinnen und Tänzer. Der Druck war erhöht.
Zwar war die Theaterleitung jetzt «bereit zum Gespräch» – aber das reichte weder der Unia noch den Tänzerinnen und Tänzern. Sie wollten konkrete Verhandlungen.
Darum plante die Unia zusammen mit den Künstlerinnen und Künstlern eine Aktion, die ihresgleichen sucht. «Dabei wollten wir etwas in der Art immer verhindern. Wir waren transparent und deutlich. Aber man hat uns nicht zugehört.»
Am 26. Mai während des Schlussapplauses nach einer Premiere wurde auf der Bühne ein riesiges Banner entrollt und die Tänzerinnen und Tänzer sprachen zum Publikum. Passenderweise hiess die Inszenierung «Explosiv!». Vor aller Augen – vor dem Publikum, vor den Medien – forderten die Tänzerinnen und Tänzer die Theaterleitung auf, sie «endlich ernst zu nehmen». Alle standen sie da, das geschlossene Ensemble. Sie sagten Dinge wie: «Unser Anliegen ist dringlich» oder «wir akzeptieren das nicht länger». Auf der Bühne forderten sie «ein Mindestgehalt von 5300 Franken und eine Lohnentwicklung». Einige hatten Tränen in den Augen.
Die Tänzerinnen und Tänzer sagen im Nachhinein über ihre Aktion, dass sie unglaublich nervös gewesen seien – eine ganz andere Nervosität als vor einem gewöhnlichen Auftritt. Die Bühnen-Profis verraten:
Und:
Aber nicht nur emotional, auch finanziell hat sich die Kampagne der Unia und der Tänzerinnen und Tänzer gelohnt. Der Durchschnittslohn für das Ballettensemble wird ab August 2023 auf monatlich rund 5050 Franken steigen, weiterhin bei 13 Monatslöhnen, wie das Theater am 12. Juni bekannt gab. Zudem erhalten alle festangestellten Tänzerinnen und Tänzer der Spielzeit 22/23 eine einmalige Sondervergütung in der Höhe von 1500 Franken. Für die kurzfristige Finanzierung dieser Lohnanpassungen konnte das Theater einmalig Zinserträge «aus einem Legat eines Theaterfreundes» beiziehen.
Die Tänzerinnen und Tänzer freuen sich über diesen Erfolg:
Im Schreiben des Theaters steht, dass die Theaterleitung des Theater Basel und der Verwaltungsrat die Notwendigkeit zur Verbesserung der Lohnstrukturen im Ballett anerkennen.
Tatsächlich gab es im Nachhinein der Aktion nur einen gewichtigen negativen Kommentar, der für Schlagzeilen sorgte: Die Basler Mitte-Fraktionspräsidentin, Andrea Strahm, wetterte auf Facebook: «Shame on you.» Ausgerechnet an der letzten Premiere des Ballett-Direktors Richard Wherlock einen Aufstand zu machen, sei «mies», meint die Politikerin. Denn «Explosiv!» war die letzte Premiere, die unter der Ballett-Direktion von Wherlock vom Theater Basel auf die Bühne gebracht wurde.
Weiter schreibt sie auf Facebook: «Tänzer verdienen lausig und kämpfen ständig um das nächste Engagement – aber sicher nicht die des Basler Theaters.»
Auf Anfrage von watson ordnet sie ihren Post ein: Die Kritik habe sich vorwiegend gegen die Unia gerichtet, die mit ihrer Aktion sowohl Richard Wherlock – der sich immer sehr für die Tänzerinnen und Tänzer eingesetzt habe – als auch den Künstlern den Applaus für die Premiere nahm.
Und anstatt sich für alle Tänzerinnen und Tänzer einzusetzen – auch die freischaffenden –, habe die Unia mit dieser Aktion lediglich gegen den Arbeitgeber Theater Basel geschossen. Gegen höhere Löhne am Theater Basel habe sie zudem nichts, denn die Tänzerinnen und Tänzer dort seien «grossartig und sie sollen den Lohn erhalten, den sie brauchen». Allerdings sollten alle Tänzer von ihrem Vollzeitlohn leben können – und nicht nur diejenigen vom Theater Basel.
Frick sagt, dass es der Unia fern liege, «die Kultur kaputtzumachen» – im Gegenteil: Hier gehe es schlicht um faire Löhne.
Weiter meint sie, dass es bislang gesellschaftlich akzeptiert war, dass es sich beim Tanz um eine strukturell unterbezahlte Branche handle. Doch Basel habe dieses Problem nun erkannt und die Leistungen der Tänzerinnen und Tänzer breite Anerkennung erfahren. Das Thema sei aber noch nicht gegessen: «Es ist ein Schritt. Aber wir müssen weiterhin ein Auge darauf richten – nicht nur in Basel, sondern national.»
Wie viel sie tatsächlich bräuchten, um ein Leben in der Schweiz zu führen, ohne Zweitjob oder grosse Einsparungen, wissen die Tänzerinnen und Tänzer von Basel nicht. «Wir sind immer mit diesem Lohn durchgekommen. Irgendwie.»
Am Schluss gehe es ihnen auch nicht ums Geld. Es geht ihnen um die Wertschätzung. «Wir wären zufrieden, wenn wir so viel bekommen wie die anderen am Theater auch.» Und so weit sind die Entwicklungen in Basel noch nicht. Die Tänzerinnen und Tänzer sagen: «Wir haben immer noch die tiefsten Löhne. Dabei müsste doch jeder Theaterleitung klar sein, dass es sich um eine tickende Zeitbombe handelt, wenn die Löhne von verschiedenen Künstlern so unterschiedlich sind.»
Trotz dieses Wermutstropfens sehen sie die Entwicklungen und Ergebnisse der letzten Woche als «ersten wichtigen Schritt» – und als Anfang einer Bewegung:
In diesen Tagen endet die hiesige Saison. Die Hälfte der Tänzerinnen und Tänzer wird nach der Sommerpause Basel verlassen und weiterziehen. Sie haben also für etwas gekämpft, von dem sie nicht direkt profitieren werden. Obwohl: «Dieser Gedanke ist jetzt in unseren Köpfen.» Man werde in Zukunft sicherlich mehr darüber nachdenken, wie es im Haus allgemein aussehe.
4300 Franken für diesen im wahrsten Sinne des Wortes "Knochenjob" ist natürlich lausig. Gar keine Frage. Aber eben, wer TänzerIn werden will, sollte sich mit dem, was einen da erwartet, und vor alle mit dem Markt rechtzeitig auseinandersetzen.
Kämpfen würde ich natürlich trotzdem. Da spricht nicht gegen.
Ich finde es toll, dass die Tänzer so eine Aktion gemacht haben. Sollte es häufiger geben.