Sie sagt es unerwartet deutlich. Sie habe Kontakte gehabt mit Bixio Caprara, dem Präsidenten der FDP des Kantons Tessin. «Ich stehe für eine Bundesrats-Kandidatur zur Verfügung, wenn die Partei das wünscht», hält Laura Sadis fest. Für sie sei zwar sicher, dass FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis kandidiere. «Gibt es nur eine Einer-Kandidatur aus dem Tessin, ist er gesetzt», sagt die ehemalige National- und Regierungsrätin. «Doch es wäre vielleicht gut, einen Mann und eine Frau als Kandidaten zu haben. Die FDP-Frauen möchten – früher oder später – unbedingt wieder eine Frau im Bundesrat.»
Vielleicht erhält die Frauenfrage also früher als erwartet Schub. Doris Fiala, die Präsidentin der FDP-Frauen, sprach sich für eine Doppel-Kandidatur der Frauen beim Rücktritt von Johann Schneider-Ammann aus. Elisabeth Kopp, die erste Bundesrätin der Schweiz, bringt die Frage der Frauen hingegen schon für die Nachfolge von Didier Burkhalter ins Spiel, wenn sie sagt: «Ein Tessiner Bundesrat – oder noch besser eine Bundesrätin – wäre eine Bereicherung.»
Druck für eine Doppelkandidatur Mann/Frau aus dem Tessin kommt auch von linker Seite. Bei der SP heisst es, mit einer Einer-Kandidatur von Ignazio Cassis riskiere das Tessin, zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Grünen-Präsidentin Regula Rytz betont, Sadis sei «eine mutige Person, die gegen den Rechtspopulismus der Lega immer klar Kante zeigte». Und Fiala sieht in Sadis eine «herausragende Politikerin».
Sadis war schon 2009 im Gespräch als Kandidatin für die Nachfolge von Pascal Couchepin. «Doch als ich damals angefragt wurde, sagte ich sofort Nein», erklärt sie. Sie sei erst gerade zwei Jahre Regierungsrätin gewesen, und eine Kandidatur wäre «nicht seriös gewesen gegenüber den Bürgern, welche mich gewählt hatten. Heute präsentiert sich die Situation objektiv anders.»
Sie denkt dabei an ihre Karriere mit vier Jahren als Nationalrätin, acht Jahren als Regierungsrätin, neun Jahren als Bankrätin der Nationalbank und als ehemalige Fraktionschefin der Tessiner FDP. «Ich habe zwar grossen Respekt vor dem Amt des Bundesrats. Das ist eine ernsthafte und schwierige Aufgabe», sagt sie. «Aber ich habe eine gewisse Erfahrung und bin grundsätzlich frei als Person. Ich habe keine Interessenkonflikte. Transparenz ist mir wichtig in der Politik.» Sie sei zwar nicht «unendlich ehrgeizig», betont Sadis, möge im Gegenteil überehrgeizige Politiker nicht. «Doch Politik fasziniert mich.»
Für Regula Rytz ist klar: «Auf das Zweierticket der FDP muss eine Frau kommen. Und Laura Sadis ist dafür eine valable Kandidatin.» Mögliche Frauen-Kandidaturen sind auch in der Westschweiz in Sicht. Als Top-Kandidatin gilt die Waadtländer FDP-Nationalrätin Isabelle Moret. Ob sie tatsächlich kandidiert, ist offen. «Ich bin zurzeit in den Ferien», schreibt Moret auf eine Anfrage. «Ich werde mich Ende Juli entscheiden.» Sollte Moret eine Kandidatur verwerfen, stünde die Waadtländer Regierungsrätin Jacqueline de Quattro bereit.
«Wir müssen Frauen pushen», sagt Rytz. «Frauen sind in der Schweizer Politik noch immer die Ausnahme der Regel.» Das zeige sich an der Tatsache, dass im modernen Bundesstaat bislang sieben Tessiner Bundesräte gewählt wurden – und ebenfalls «nur gerade sieben Frauen, wobei zwei dieser Frauen ihr Amt vorzeitig verlassen mussten». Elisabeth Kopp (FDP), 1984 zur ersten Bundesrätin gewählt, trat 1989 unter grossem Druck zurück. Und Ruth Metzler (CVP) wurde 2003 von Christoph Blocher (SVP) verdrängt. Abgesehen von Kopp und Metzler sassen oder sitzen nur gerade Ruth Dreifuss (SP, 1993–2002) im Bundesrat, Eveline Widmer-Schlumpf (BDP, 2007–2015), Micheline Calmy-Rey (SP, 2003–2011), Doris Leuthard (CVP, seit 2006) und Simonetta Sommaruga (SP, seit 2010).
Nach der «verspäteten Einführung des Frauenstimmrechts» von 1971 hätten die Frauen zwar «einige spektakuläre Wahlerfolge» gefeiert, sagt Regula Rytz. Der Frauenanteil in politischen Ämtern stagniere aber bei durchschnittlich 25 Prozent. Es gebe gar wieder reine Männerregierungen. «Das ist ja wie im Mittelalter.» Für Rytz braucht es deshalb in der Bundesverfassung einen Passus, der eine angemessene Frauenvertretung sichert. Sie unterstützt darum die parlamentarische Initiative von Grünen-Nationalrätin Maya Graf (BL), Co-Präsidentin von Alliance F, dem Dachverband der Frauenorganisationen der Schweiz.
Graf fordert den Satz
in der Bundesverfassung, es sei darauf Rücksicht zu nehmen, «dass die Landesgegenden, die
Sprachregionen sowie die Geschlechter angemessen vertreten» seien: «Die angemessene
Vertretung der Geschlechter muss ein wichtiges Thema sein in der Kriterien-Hierarchie», hält
Grünen-Präsidentin Rytz fest. Immerhin sei die Gleichstellung zwischen Mann und Frau seit der
Gründung des Bundesstaates von 1848 ein «wunder Punkt» der Schweizer Demokratie.