>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
«Mutationen entstehen durch Zufall, weil das Virus bei der Kopie von Erbmaterial immer wieder kleine Fehler macht», erklärt Silke Stertz, Professorin am Institut für Medizinische Virologie an der Uni Zürich. «In den meisten Fällen ist das schlecht für das Virus, aber einige wenige Mutationen haben dann einen Vorteil gegenüber der bisherigen Variante.» Es ist also nicht so, dass das Virus «intelligent» wäre und beispielsweise bei einer Immunantwort des Körpers «aktiv» versucht, diese zu umgehen.
Übrigens: Die gleichen Mutationen können völlig unabhängig voneinander entstehen. Oft ist es aber so, dass zwei Varianten beispielsweise einige identische Mutationen besitzen und einige unterschiedliche.
Aber wie wird eine Mutation dominant? «Da gibt es zwei Hauptpunkte: 1. Sie muss sich schneller verbreiten als die vorherige Version, also schneller wachsen. Das war bei B.1.1.7 der Fall», sagt Stertz. Das Virus hat sich also für menschliche Zellen «optimiert». Die Betroffenen tragen mehr Viren in sich und erhöhen damit die Chance, dass das Virus weitergegeben wird.
Die zweite Möglichkeit: «Die Mutation kann den Antikörpern besser entgegnen und die Immunantwort – zumindest teilweise – umgehen.» Wenn also ein grosser Teil der Bevölkerung schon (teil)immun ist, hat es eine neue Variante schwieriger. Darum ist es wichtig, dass möglichst schnell, möglichst viele Menschen geimpft werden können.
Entscheidend, ob sich das Virus besser verbreiten kann, ist das Spike-Protein an der Virus-Oberfläche. Dort entsteht der Kontakt mit dem menschlichen Körper. Aktuell ist oft von der Position 484 die Rede, wo Mutationen in den Varianten P.1 und B.1.351 entdeckt wurden.
«An dieser Position 484 können sich Antikörper binden und so die Verbreitung des Virus stoppen oder beeinträchtigen. Ändert sich die Position, kann die neue Variante die Immunantwort womöglich (teilweise) umgehen», führt Stertz aus.
Die beiden Varianten P.1 (Brasilien) und B.1.351 (Südafrika) wurden in der Schweiz schon vor Monaten entdeckt. Es werden aber weiterhin nur sehr wenige dieser Mutationen hier gemeldet. In den letzten 28 Tagen waren es gemäss dem BAG deren zwei B.1.351 und eine P.1. Warum haben die sich nicht durchgesetzt wie B.1.1.7?
«Die beiden Mutationen haben keinen Verbreitungsvorteil gegenüber B.1.1.7, welche bei uns dominant ist», sagt Stertz. Trotzdem gibt es eine Möglichkeit, dass sich P.1 und B.1.351 doch noch weiter verbreiten könnten in der Schweiz: Da sie die Immunantwort besser umgehen können als B.1.1.7. kann es sein, dass sich diese Varianten in Zukunft besser ausbreiten. «Die Impfung schützt gut, aber der Schutz gegen die Varianten P.1 und B.1.351 fällt niedriger aus als gegen B.1.1.7», erklärt Stertz.
Die Befürchtung ist aktuell, dass die Viren in der Schweiz künftig Mutationen aufweisen, welche die aktuellen Impfungen umgehen können. «Das wird aber nicht von heute auf morgen mit einer einzigen neuen Mutation passieren», ist sich Stertz sicher. Mit anderen Worten: Dass jetzt plötzlich eine Virus-Variante auftaucht, gegen welche die bestehenden Impfungen gar keinen Schutz mehr bieten, ist sehr unwahrscheinlich.
Von Vornherein ausschliessen kann man es aber nicht. «Im Moment lernen wir von den Varianten, welche weniger sensitiv auf die Impfung reagieren und würden die Impfungen so anpassen können», sagt Stertz.
Die Variante B.1.1.7, welche in der Schweiz dominant ist, haben und hatten wir nie wirklich unter Kontrolle. Die schnellere Verbreitung rief Sorgenfalten hervor. Sicher ist: Sie hat die Varianten P.1 und B.1.351 bisher in Schach gehalten. Und noch eine für uns gute Eigenschaft besitzt die Variante: Die aktuellen Impfungen nützen gegen die Mutation. Darum sagt Stertz: «Wenn man sich aktuell eine Mutation aussuchen dürfte, dann wäre es die B.1.1.7, weil da wissen wir: Die Impfung wirkt.»
Bei anderen Varianten wie beispielsweise derjenigen aus Indien (B.1.617) weiss man in dieser Hinsicht noch zu wenig.
Klar ist: Es wird weitere Mutationen geben. Je mehr das Virus allerdings in der Verbreitung eingeschränkt werden kann, desto kleiner die Chance, dass gefährlichere Mutationen entstehen.
Wichtig ist, dass neue Mutationen untersucht und beobachtet werden. Bei jeder neuen Mutation gleich in Panik zu verfallen, ist aber nicht angebracht, so Stertz: «Die Viren verändern sich. Bei neu entdeckten Mutationen wird auch viel dramatisiert. Man muss jeweils Ruhe bewahren und so schnell wie möglich mit Untersuchungen starten.»
Stertz, die normalerweise in der Influenza-Forschung aktiv ist, kennt die Situation nur zu gut: «Die Grippeimpfung muss jedes Jahr wieder angepasst werden. Ein ähnliches Szenario ist mit Covid-19 auch möglich. Wir wissen aber noch zu wenig dazu. Es ist auch möglich, dass das Virus sich mit den Jahren selbst abschwächt und wir eine (Teil-)Immunität aufbauen. Aber wie gesagt: Das dauert noch Jahre. Darum ist jetzt die Bekämpfung mit möglichst vielen Geimpften wichtig.»