Drei deutsche Bundespolizisten stehen am Autobahnzoll Weil am Rhein. Sie winken fast jedes Auto mit einem Schweizer Kennzeichen heraus und fragen: «Wo wollen Sie denn hin?» Es ist eine Frage, welche die Beamten früher schon stellten. Aber damals klang sie anders. Es war eine Floskel. Die Polizisten testeten, wie die kontrollierte Person reagierte. Der Inhalt war sekundär, denn mit dem Schengener Abkommen waren die meisten Grenzen innerhalb Europas verschwunden. Man reiste, ohne sich erklären zu müssen.
Heute schwingt in der Frage ein Vorwurf mit. Nicht notwendige Fahrten nach Deutschland sind derzeit offiziell nicht erwünscht. Wer trotzdem einreisen will, muss sich erklären und die Verordnungen kennen. Das ist schwieriger als gedacht. Eine einfache Google-Suche reicht dafür nicht aus.
Ein junger Mann in einem schwarzen Toyota Aygo mit Basler Nummernschild muss die Scheibe herunterkurbeln. «Wo wollen Sie denn hin?» Er möchte in Freiburg sein Snowboard abholen, das er online bestellt habe. «Das dürfen Sie aber nicht. Einkaufstourismus ist derzeit verboten.» Der Mann widerspricht. Er habe gegoogelt und auf der Website des auswärtigen Amtes gelesen, dass Einkaufen erlaubt sei. Die Polizisten schütteln den Kopf: «Da sind sie falsch informiert.»
Die Beamten werden ungeduldig. Hinter ihm bildet sich ein Stau . Das Verkehrsaufkommen ist beträchtlich. Die Aufforderung der deutschen Behörden, auf Reisen zu verzichten, zeigt hier kaum Wirkung.
Was der Mann falsch gemacht hat: Er hat nicht daran gedacht, dass das Land Baden-Württemberg eine eigene, schärfere Verordnung hat. Diese gilt für die gesamte, 210 Kilometer lange deutsch-schweizerische Grenze. Touristische Reisen nach Baden-Württemberg sind demnach verboten. Dazu gehört auch der Einkaufstourismus. Das Bundesland will den Grenzverkehr einschränken, um sich vor Viren aus der Schweiz zu schützen.
Der Mann schimpft: «Hätte ich gesagt, dass ich meine Freundin besuchen würde, hätte ich einreisen dürfen.» Tatsächlich: Hätte er diesen Satz gesagt und dabei glaubwürdig gewirkt, hätte er die Grenze überqueren dürfen. Der Besuch von Lebenspartnern ist eine der vielen Ausnahmen der Verordnung.
Der Mann wendet sein Auto und rollt zurück zur Grenze. In diesem Moment lächelt er noch und sagt: «Das Ganze ist für mich mühsam, aber kein Weltuntergang.» Dann stoppen ihn die Schweizer Zöllner und bitten ihn zum Schalter. Sie weisen ihn darauf hin, dass er seit dem 1. Februar ohne gültige Autobahnvignette unterwegs sei. Jetzt knallt er die Autotüre zu. Er muss nicht nur die Rechnung für ein Snowboard bezahlen, das er nicht abholen kann, sondern auch 200 Franken Busse.
Die deutsche Bundespolizei stellt bei ihren Coronakontrollen keine Bussen aus. Wer kooperiert, kommt straffrei davon. Etwa jeder dritte Schweizer, der an diesem Morgen angehalten wird, muss umkehren. Die Bundesregierung will mit den Kontrollen zeigen, dass es ihr ernst ist mir ihrer Aufforderung, unnötige Reisen zu unterlassen.
Die Bundespolizei hat deshalb das Personal an der Grenze aufgestockt. Diese Woche ist in Weil am Rhein Verstärkung aus Rheinland-Pfalz eingetroffen. Bundespolizisten aus dem benachbarten Bundesland sind hier in Hotels einquartiert.
Die Beamten steigen in ihren Polizeibus und fahren zum nächsten Grenzübergang. Die Grenze verläuft hier im Zickzack durch die Agglomeration. Die Schweizer Seite davon gilt als Corona-Risikogebiet. Die deutsche Seite hingegen wird nicht als solches definiert. Einreisen in die Schweiz sind deshalb uneingeschränkt möglich. Eine Fahrt in die andere Richtung hingegen führt grundsätzlich in die Quarantäne und zu einem Coronatest.
Wie eng verflochten die Schweiz und Deutschland sind, realisiert man erst richtig, wenn die Verbindung plötzlich gekappt wird. Die meistgestellte Frage, die bei der Bundespolizei aus der Schweiz eingeht, lautet: «Darf ich meinen unverheirateten Partner noch besuchen?» Die zweithäufigste Frage ist überraschend: «Darf ich einreisen, um mein Pferd zu pflegen?»
Im ersten Lockdown lautete die Antwort auf beide Fragen: Nein. Jetzt sind Partner und Pferd Ausnahmegründe. Viele Schweizer mieten einen Stall ennet der Landesgrenze, weil es dort günstiger ist. Sie zeigen den Bundespolizisten bei der Kontrolle den Mietvertrag.
Eine nicht eingetragene Partnerschaft zu belegen, ist hingegen schwierig. Einige Grenzgänger nehmen deshalb das Familienalbum mit. So genau wollen es die Polizisten dann aber doch nicht wissen. Manchmal verlangen sie eine eidesstattliche Erklärung.
Der Polizeibus hält am Grenzübergang Inzlingen-Riehen. Dieser ist so klein, dass er auf den meisten Navigationsgeräten nicht als Route angegeben wird, obwohl er für viele Fahrten in Grenznähe eine Abkürzung wäre. Für die drei Bundespolizisten, die sich auf der Strasse positionieren, gilt deshalb: Wer vorbeifährt, ist entweder von hier oder verdächtig. Die Beamten warten. Es passiert lange Zeit nichts.
Auf der Schweizer Seite dieses kleinen Grenzübergangs steht ein verlassenes Zollhaus. Das Gebäude der deutschen Bundespolizei hingegen wurde vor zwei Jahren abgerissen. Deutschland wollte damit sichtbar machen, dass die Grenzen zur Schweiz grundsätzlich offen sind. Die Bundespolizei zog sich nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens 2008 zurück. Sie führt wie die Schweizer Zollverwaltung keine systematischen Kontrollen mehr durch, sondern nur noch Schleierfahndungen. Das sind stichprobenartige Kontrollen in einem 30 Kilometer breiten Abschnitt entlang der Grenze.
Im ersten Lockdown wurde plötzlich wieder das alte Regime eingeführt. Die Grenze war zurück. Im zweiten deutschen Lockdown wurden die Bestimmungen schrittweise verschärft.
Die abgebrochenen Zollgebäude fehlen jetzt an manchen Orten. Entlang der österreichischen Grenze hat Deutschland systematische Kontrollen eingeführt und dafür Zelte aufgestellt. Steigen die Infektionszahlen in der Schweiz, droht hier dasselbe Szenario.
Ein Transporter aus der Schweiz rollt auf den Inzlinger Grenzübergang zu. Höchst verdächtig. Die Polizeikelle schwingt auf und ab. Eine junge Frau steigt aus und öffnet die Hecktüre. Sie transportiere Möbel zu ihrem Vater, der einen Bandscheibenvorfall erlitten habe. Nun wird der Polizeieinsatz zu einer juristischen Übung.
Der Einsatzleiter denkt laut nach. Ein Möbeltransport sei eine nicht notwendige Fahrt und eigentlich verboten. Da aber Besuche von Verwandten ersten Grades erlaubt seien und Fahrten zu pflegebedürftigen Personen ebenfalls eine Ausnahme darstellten, sei das Verbot aufgehoben. Erleichtert steigt die Frau wieder ein und braust davon.
(aargauerzeitung.ch)