Wer in eine Lawine gerät und nicht innert der ersten zehn Minuten gefunden wird, dessen Überlebenschancen nehmen rapide ab. Und erfahrungsgemäss ereignen sich die meisten Lawinenunfälle, wenn die Gefahrenstufe «mässig» oder «erheblich» gilt. Das sind genau die beiden Gefahrenstufen, welche das Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF im aktuellsten (Freitag, 8 Uhr) Lawinenbulletin ausweist:
Jetzt steht das nächste schöne Wochenende an. Bevor du dich abseits der Pisten bewegst, solltest du immer das aktuellste Lawinenbulletin studieren. Und aktuell helfen dir für das Verständnis der Situation womöglich auch diese Punkte:
In den letzten Tagen häuften sich die Meldungen von Lawinentoten in der Schweiz. Bisher kamen acht Personen ums Leben, sechs davon seit dem 3. Februar, alle in unterschiedlichen Gebieten.
Woher kommt diese plötzliche Häufung? Lukas Dürr, Lawinenwarner beim Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF sagt auf Anfrage: «Das hat einen klaren Grund: Die Schneedecke hat sich Anfang Februar entscheidend verändert.» Im Januar entspannte sich die Lawinensituation durch die Schönwetterperiode. «In dieser wandelte sich aber die Schneedecke um in eine Art Kartenhaus oder Kristallpalast. Alles sehr brüchig und instabil. Darauf fiel Neuschnee, der eine ganz andere Beschaffenheit ausweist und in sich gebunden ist. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn man ein Gebäude auf eine Schicht von Dominosteinen bauen würde», führt Dürr aus.
Diese Situation kann dann sehr schnell Lawinen auslösen. Ein weiterer Grund dürfte auch sein, dass mit Beginn der Sportferien wieder mehr Menschen in den Bergen unterwegs waren.
Über den ganzen bisherigen Winter gesehen liegen wir momentan ungefähr im jahrelangen Durchschnitt. 98 Personen verunfallten bisher in Lawinen, in den Wintern seit 2001/02 waren es Ende Saison im Schnitt 218 Personen.
Auch bei den Todesopfern liegen wir aktuell mit acht knapp im Schnitt der letzten 20 Jahre (jährlich 22 bis Ende Saison). «Das Problem ist aber, dass wir bis im Januar deutlich unter den Vorjahren lagen und jetzt zuletzt viele Todesopfer beklagen mussten», erklärt Dürr.
Im letzten Winter zählte man beim SLF 346 Verunfallte und 32 Tote. Seit der Jahrtausendwende gab es nie auch nur annähernd so viele Unfälle. Tote wurden einzig im Winter 2014/15 mehr verzeichnet.
«Im Winter 2020/21 hatten wir ausgeprägte Altschneesituationen, welche grundsätzlich immer gefährlicher sind», klärt Dürr auf. Dass mehr Personen in den Bergen abseits der Pisten unterwegs waren, weil die Coronasituation dies gefördert hätte, kann man bisher nicht mit Zahlen belegen.
Der Winter 2019/20 – auch teilweise in der Coronapandemie – sah deutlich besser aus. Hauptgrund für die damals nur sieben Todesopfer bei 137 Verunfallten war der meist günstige Schneedeckenaufbau.
Die aktuelle Lage ist aufgrund des Altschnees grundsätzlich kritisch. Vor allem betroffen von diesem Schneedeckenaufbau sind die Regionen im südlichen Wallis, Nordtessin und Graubünden. «Die Schneedecke am zentralen und östlichen Alpennordhang ist momentan sicher günstiger», sagt Dürr. Klar ist aber auch, was immer gilt: Wer Abseits der markierten Pisten in den Bergen unterwegs ist, sollte das zweimal täglich (8 und 17 Uhr) erscheinende Lawinenbulletin des SLF davor genau studieren.
Das gilt besonders auch für die kommenden Tage. Das Wochenende verspricht gutes Wetter. Lukas Dürr sagt: «An schönen Tagen mit ruhigem Wetter nimmt die Lawinengefahr normalerweise ab. Aber hier gibt es ein grosses Ausrufezeichen: Dies geschieht in der aktuellen Situation nur sehr langsam. Die Altschneeproblematik bleibt weiterhin bestehen.»
Die Situation kann darum auch trügerisch sein. Eindeutig erkennbare Gefahrenzeichen werden seltener. Es braucht womöglich da und dort wieder etwas mehr Zusatzlast, um eine Lawine auszulösen und die Schnesportler wagen sich wieder eher in steile und schattige Regionen. «Weiterhin ist grosse Vorsicht geboten.»
Normalerweise lässt sich die allgemeine Lawinensituation nicht für zu viele Tage vorhersagen. Diese kann sich durch meteorologische Einflüsse sehr schnell ändern. Aber Dürr wagt momentan die Prognose: Die Situation mit dem Altschneeproblem kann uns noch für die nächsten Tage und Wochen beschäftigen.»