Ausgerechnet die Mitte, die Partei des Kompromisses, des Zusammenhalts. Ausgerechnet sie gibt diese Woche ein Bild ab, das alles andere als harmonisch ist. Sie stellt sich im Parlament bei den Prämienverbilligungen selbst ein Bein, worauf der Präsident zur öffentlichen Schelte ansetzt. Und nun ärgern sich die einen über die Abweichler, die anderen über den Rüffel.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Partei uneinig ist und damit ein Hin und Her im Parlament verursacht. So war es zum Beispiel während der Pandemie beim Ringen um die Geschäftsmieten. Oder bei der Frage der Kompensationen der AHV-Reform. Gar das Manöver, die eigene Kostenbremse-Initiative ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen, haben Mitglieder des Ständerats sabotiert. Offenkundig zum Leidwesen der ganzen Partei.
Diese Woche ging es um den Gegenvorschlag zur Prämienentlastungs-Initiative. Im Nationalrat hatte die Mitte mit der Linken eine relativ grosszügige Variante geschlossen unterstützt und damit geworben, wie sie sich für die Familien einsetze. Die kleine Kammer aber entschied auf Antrag eines Mitte-Ständerats, auf die Vorlage gar nicht erst einzutreten. Für den Entscheid stimmten FDP, SVP sowie 6 der 14 Mitte-Ständeräte – nur eine Minderheit der Partei zwar, aber genug, um sie ins mediale Rampenlicht zu katapultieren. Zumal sie den Entscheid umgehend per Medienmitteilung kritisierte.
Was ist da los? Wie kann es passieren, dass eine Partei knapp ein Jahr vor den Wahlen ein solches Bild abgibt? Wer sich innerhalb der Fraktion umhört, erhält mehrere Erklärungsansätze: unter anderem die aktuelle Konstellation, die Eigenständigkeit der Ständeräte. Und: der Kurs der Partei unter Präsident Gerhard Pfister.
Zunächst zur Konstellation. Im Ständerat ist die Mitte die stärkste Partei, und in beiden Räten ist sie Mehrheitsmacherin. Tritt sie geschlossen auf, hat sie erheblichen Einfluss. Ist sie uneinig, ist dieser rasch dahin – und der Partei wird das Misslingen des Geschäfts in die Schuhe geschoben.
Dann ist da das Selbstverständnis der Ständeräte, die sich in erster Linie als Standesvertreter verstehen und weniger parteipolitisch denken. Bei der Mitte sei das besonders ausgeprägt, weil viele ehemalige Regierungsräte in ihren Reihen sind, ist zu hören.
Einer dieser ehemaligen Regierungsräte ist der St.Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth, der diese Woche den Antrag auf Nichteintreten eingereicht hat. Er argumentiert, es sei nicht Aufgabe des Bundes, den Kantonen vorzuschreiben, wie viel Kantonsgelder sie einsetzen müssen. Auf Nachfrage verweist er darauf, dass in der Vernehmlassung elf Kantone die Vorlage abgelehnt hatten, insbesondere die Zentral- und die Ostschweiz. «Darum kann es in der Beurteilung zwischen Ständerat und Nationalrat auch unterschiedliche Sichtweisen geben.»
Wenn man das nicht aushalten könne oder wolle, sei das Zweikammersystem grundsätzlich in Frage gestellt, findet Würth: «Wenn der Ständerat in seinem Rollenverständnis ein kleiner Nationalrat sein soll, dann ist das nicht gut für die Schweiz und entspricht nicht unserer Verfassungsidee.»
Auch die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger hat für Nichteintreten gestimmt. Sie betont, dass die Vorlage nicht vom Tisch ist und sie sich einem abgespeckten ständerätlichen Gegenvorschlag nicht verschliesse, sofern dieser den Kantonen auch gewisse Freiheiten einräume. Sie verstehe die ganze Aufregung nicht, sagt sie. Und fügt an: «Wir sollten das nicht via Medien diskutieren. Eine Manöverkritik macht man fraktionsintern.»
Dass Ständeräte auch ihre Kantone vertreten, ist im Sinne des Systems. Für die Parteispitze kommt das aber hie und da ungelegen. Und hier wären wir beim dritten Erklärungsansatz. Präsident Gerhard Pfister will das Profil der ehemaligen CVP schärfen, positioniert die Partei früh und klar, wählt deutliche Worte. Er scheut sich auch nicht, öffentlich die eigenen Ständeräte in den Senkel zu stellen. Diese Woche sagte er gegenüber Radio SRF: «Es schadet der Profilierung der Partei, wenn eine Minderheit von Fraktionsmitgliedern klare Parteipositionen ins Gegenteil verkehrt.»
Die klare Aussage soll Abweichler auf Kurs bringen. Druck kann allerdings auch Gegendruck erzeugen, wie ein Fraktionsmitglied anmerkt.
Das Erstaunliche dabei: Als Pfister Präsident wurde, gab es Befürchtungen, er werde die Partei nach rechts ziehen. Doch nun orientiert sie sich gerade in sozialen Fragen zuweilen nach links. So grenzt sie sich gegenüber FDP und SVP ab, doch konservativere Kräfte in der Partei dürften in letzter Zeit ab und zu nach Luft geschnappt haben. Im Ständerat wird Pfister nun häufig rechts überholt.
Stimmt der Kurs der Partei? Ja, sagt Pfister – und verweist auf das im Oktober veröffentlichte SRG-Wahlbarometer. «Diese Sotomo-Umfrage zeigt eindrücklich, dass unsere Basis den Kurs der Partei deutlich stützt.» 13 Prozent sagten zwar, die Mitte sei zu links, 12 Prozent aber auch, sie politisiere zu rechts. «75 Prozent unserer Basis beurteilen den Kurs der Partei als genau richtig.» Das ist, wie Pfister betont, der zweithöchste Wert aller Parteien.
Es ist ein gewichtiges Argument in einem Wahljahr. Ob er damit alle Fraktionsmitglieder auf Kurs bringt, ist eine andere Frage. (bzbasel.ch)