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Kokainfälle in der Schweiz nehmen immer mehr zu – die Hintergründe

Kokain (Symbolbild)
Es wird immer mehr Kokain und Crack konsumiert.Bild: Shutterstock

«Die Zunahme der Suchtbehandlungen wegen Kokain ist besorgniserregend»

Kokainfälle nehmen seit Jahren zu, aber Alkohol bleibt die häufigste behandelte Sucht. Ivo Krizic von Sucht Schweiz erklärt, warum sich Frauen seltener in Behandlung begeben als Männer.
23.12.2025, 19:00
Felix Ertle / ch media

Glühwein, Apéro, Festtage: Alkohol gehört an Weihnachten dazu. Dass genau diese Selbstverständlichkeit problematisch sein kann, zeigen neue Zahlen aus dem schweizweiten Monitoringsystem Act Info.

Warum sind Männer mehr als doppelt so häufig in Behandlung wie Frauen?
Ivo Krizic: Zwar konsumieren Männer im Schnitt häufiger und in grösseren Mengen, sowohl Alkohol als auch illegale Drogen. Der Unterschied im Konsum ist jedoch kleiner als der Unterschied in den Behandlungszahlen. Das deutet darauf hin, dass sich Frauen seltener in eine professionelle Behandlung begeben.

Frauen mit Suchtproblemen könnten stärker stigmatisiert sein als Männer, insbesondere wenn sie Mütter sind.
Ivo Krizic

Was hält Frauen von einer Behandlung ab?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Frauen mit Suchtproblemen könnten stärker stigmatisiert sein als Männer, insbesondere wenn sie Mütter sind. Der Gang in eine Suchtbehandlung fällt dann schwerer und kann zum Beispiel mit Ängsten in Bezug auf das Sorgerecht einhergehen. Hinzu kommen familiäre Verpflichtungen, die es erschweren können, sich Zeit für eine Therapie zu nehmen. Zudem wird diskutiert, ob das Suchthilfesystem lange stärker auf Männer ausgerichtet war und es zu wenige frauenspezifische Angebote gibt.

Warum konsumieren Männer häufiger problematisch als Frauen?
Dafür gibt es keine einfache oder abschliessende Erklärung. Neben biologischen Faktoren ist problematischer Konsum bei Männern möglicherweise gesellschaftlich stärker akzeptiert oder historisch gewachsen.

Zur Person

Ivo Krizic ist Forscher bei Sucht Schweiz und Koordinator des schweizweiten Suchthilfe-Monitorings Act Info. Er befasst sich mit der Auswertung und Einordnung von Daten zu Suchtbehandlungen in der Schweiz.
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Unabhängig vom Geschlecht zeigt das Monitoring auch: Alkohol ist mit Abstand der häufigste Grund für eine Suchtbehandlung.
Ja. 50 Prozent aller Behandlungseintritte, ambulant wie stationär, erfolgen wegen Alkohol. Das hängt stark damit zusammen, dass Trinken in vielen Kontexten als normal gilt, etwa nach der Arbeit, dem Sport, in der Bar oder im familiären Rahmen. Genau deshalb werden problematische Muster oft erst spät erkannt, sowohl vom Umfeld als auch von den Betroffenen selbst. Hochgerechnet zeigen Bevölkerungsdaten, dass in der Schweiz geschätzt rund 250'000 Menschen chronisch risikoreich trinken.

Was heisst chronisch risikoreich?
Konkret bedeutet das, im Durchschnitt mehr als zwei Standardgläser pro Tag bei Frauen und mehr als vier bei Männern. Ein Standardglas entspricht einer Stange Bier oder einem Glas Wein.

Warum kommen Menschen mit Alkoholproblemen im Schnitt erst mit 45 Jahren in Behandlung, bei Cannabis bereits mit durchschnittlich 27 Jahren?
Alkohol ist gesellschaftlich akzeptiert. Behandlungen beginnen meist erst, wenn gesundheitliche, familiäre oder finanzielle Probleme deutlich geworden sind. Bei Cannabis ist das anders. Rund 20 Prozent der Behandlungseintritte stehen im Zusammenhang mit rechtlichen Massnahmen, früher war es sogar fast die Hälfte. Diese frühen Eingriffe betreffen vor allem jüngere Menschen.

«Sucht betrifft Stadt und Land gleichermassen.»
Ivo Krizic

Betreffen Suchterkrankungen vor allem die Städter?
Insgesamt zeigt sich: Sucht betrifft Stadt und Land gleichermassen. Zwar leben die meisten Menschen in Behandlung in städtischen Gebieten, dort lebt aber auch der grösste Teil der Bevölkerung. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind gering. Bei Alkohol sind ländliche Gebiete sogar leicht überrepräsentiert, bei Kokain eher leicht unterrepräsentiert.

Welche Entwicklung erfordert aktuell besondere Aufmerksamkeit?
Der Anstieg im Bereich Kokain. Seit Jahren nehmen die Behandlungseintritte stationär wie ambulant zu. Allein wegen Kokain gab es zuletzt über 5000 Behandlungseintritte pro Jahr. Rechnet man Fälle mit, in denen Kokain zwar nicht der Hauptgrund für die Behandlung ist, aber zusätzlich konsumiert wird, liegt die Zahl noch höher. Kokain ist derzeit eine der grössten Herausforderungen für die Suchthilfe.

Warum gerade Kokain?
Es wird deutlich mehr Kokain produziert und nach Europa gebracht, wodurch die Substanz leichter verfügbar geworden ist. Gleichzeitig haben sich die Zugangswege verändert. Man muss heute nicht mehr zwingend persönlich jemanden kennen, um an Drogen zu kommen, sondern kann sie sehr einfach beschaffen.

Cannabis oder Heroin sind ebenfalls leicht erhältlich. Warum steigen die Behandlungseintritte dort nicht vergleichbar stark?
Beim Kokain kommen mehrere Motive zusammen. Einerseits gibt es einen klassischen Freizeit- und Partykonsum. Andererseits wird Kokain eingesetzt, um leistungsfähig zu bleiben, Belastungen auszuhalten oder längere Phasen durchzustehen. Das passt zu einer Gesellschaft, in der Effizienz und Leistungsfähigkeit stark gewichtet werden.

«Crack beschleunigt bestehende soziale und gesundheitliche Probleme deutlich.»
Ivo Krizic

Welche Rolle spielt Crack – rauchbares Kokain – bei der Entwicklung?
In den letzten Jahren ist die Zunahme bei Crack prägnant. Betroffene leben oft in sehr prekären Verhältnissen, konsumieren mehrere Substanzen und waren häufig bereits durch eine Opioidabhängigkeit stark belastet. Crack beschleunigt bestehende soziale und gesundheitliche Probleme deutlich.

Reichen die Ressourcen aus, um der Entwicklung zu entgegnen? Riskiert die Schweiz, nach der Opioidepidemie der 90er-Jahre in eine Kokainkrise zu geraten?
Es wird zwar an Lösungen gearbeitet, etwa durch den Austausch zwischen Städten oder an runden Tischen. Gleichzeitig gibt es auf Bundesebene Sparmassnahmen, die den Suchtbereich treffen. Das erschwert es, Prävention und Suchthilfe dort auszubauen, wo der Bedarf aktuell steigt, insbesondere im Bereich Kokain und Crack. (aargauerzeitung.ch)

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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NixMussAllesKann
23.12.2025 20:16registriert Dezember 2020
Was für eine Überaschung… siehe am Beispiel Alkohol !
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Zum Kommentar
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Ameo
23.12.2025 21:06registriert Oktober 2025
Der Kern des Problems liegt in der Frage nach dem ‚Warum‘ des Konsums. Laut Expertenmeinung ist Sucht oft ein Versuch, in einer leistungsorientierten Gesellschaft weiterhin zu funktionieren und Belastungen standzuhalten. In der Schweiz sind solche ungesunden Arbeitsbedingungen häufig der Nährboden für Burnout und Depressionen. Treffen diese beruflichen Probleme auf private Krisen, wird die Sucht oft als letzter Ausweg gesehen. Diese Situation ist eine enorme Belastung für die Betroffenen und ihr gesamtes familiäres Umfeld. Hilfe anzunehmen, ist ein Zeichen von Mut und wahrer innerer Stärke!
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Fretless Guy
23.12.2025 21:37registriert Juli 2018
Mich würde mal noch interessieren, wie die Statistik bei Medikamenten aussieht. Zählen die auch irgendwo mit? Und wie sieht es da aus mit der Entwicklung?
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