
Die Greina-Ebene könnte geflutet werden, fürchtet Kurt Fluri. Für Ruedi Noser befindet sich sein Parteifreund damit «auf dem Holzweg».Bild: KEYSTONE
Die Energiestrategie
2050 entzweit die FDP. Für ein Ja setzt
sich unter anderem der Zürcher Ständerat Ruedi Noser ein, während
der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri das Gesetz ablehnt. Vor kurzem waren sie beim Thema Strom noch vereint.
05.05.2017, 09:1705.05.2017, 17:28
Strom sparen durch
effizienteren Verbrauch – dieses Ziel strebte die vor vier Jahren
eingereichte Volksinitiative «Für eine sichere und wirtschaftliche
Stromversorgung» an. Eine Abstimmung darüber findet nicht statt.
Nach der Verabschiedung des neuen Energiegesetzes im letzten Herbst
wurde die Stromeffizienz-Initiative, wie sie kurz genannt wurde,
zurückgezogen.
Mit der Verankerung
des Stromverbrauchsziels im Gesetz habe die Initiative ihren Zweck
erfüllt, teilte das vom Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser
präsidierte Initiativkomitee mit. Zu seinen Mitgliedern gehörte
auch Nosers Parteikollege Kurt Fluri, Nationalrat und Stadtpräsident
von Solothurn. Nun aber wirbt Fluri für ein Nein, während Noser
sich für das Gesetz engagiert.

Kurt Fluri ist für Stromeffizienz, aber gegen das Gesetz.Bild: KEYSTONE
Seinen Einsatz gegen
das Gesetz erachtet Fluri nicht als Widerspruch zum früheren
Engagement für mehr Stromeffizienz: «Die entsprechenden Vorschriften, die ja dem Gegenvorschlag zur Initiative entstammen, sind unbestritten. Sie werden auch in einer Neuauflage enthalten sein», meint der Solothurner, der es mit seiner
Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative
zu nationaler Bekanntheit gebracht hat.
Kurt Fluris
Opposition ist aus einem weiteren Grund pikant. Er ist Präsident
der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS), die sich wie alle
grossen Umweltverbände für die Energiestrategie 2050 ausgesprochen
hat. Fluri aber engagiert sich im Umwelt-Komitee gegen das
Energiegesetz, dessen Kampagne vom 21-jährigen Grenchner Elias Meier
geleitet wird.
Mit der
Energiestrategie 2050 hat Fluri ein grundsätzliches Problem. Sie sei
nach der Katastrophe von Fukushima praktisch im Alleingang vom
Bundesamt für Energie (BFE) entwickelt worden, aufgehängt am
Atomausstieg. «Die dadurch entstehenden Produktionsausfälle will man unter anderem mit Eingriffen in Natur und Landschaft kompensieren», sagt der FDP-Nationalrat.
Greina-Ebene fluten?
Fluri zeichnet ein
düsteres Bild: Bis zu 1000 Windanlagen seien geplant. Diese könnten
praktisch nur im Jura und in den Voralpen errichtet werden «und
zwar auf den Kreten». Bislang unverbaute Wasserläufe könnten für
die Stromproduktion genutzt werden.
«Selbst die Greina-Ebene kann geflutet werden, weil das ‹Nationale Interesse› sehr niederschwellig definiert wird», behauptet Fluri. Die landschaftlich
beeindruckende Hochebene zwischen Graubünden und Tessin war vor 30
Jahren vor genau einem solchen Schicksal gerettet worden.
Ruedi Noser in der Abstimmungs-«Arena».Video: streamable
Über solche
Argumente kann sein Parteikollege Ruedi Noser nur den Kopf schütteln.
Kurt Fluri befinde sich «auf dem Holzweg», sagt der
IT-Unternehmer. «Für Eingriffe in die Landschaft gibt es sehr
restriktive Bewilligungsverfahren, inklusive
Verbandsbeschwerderecht.» Ein Weiterzug sei bis vor Bundesgericht
möglich. Eine Verschandelung der Natur liege deshalb gar nicht drin.
Allenfalls ein Grosskraftwerk
Die Ziele der
Stromeffizienz-Initiative hingegen seien im Gesetz 1:1 umgesetzt
worden. Nicht nur deshalb engagiert sich Noser für die
Energiestrategie, unter anderem in der SRF-«Arena». Das
Gesetz sei «sehr pragmatisch». Man müsse es einfach
ausprobieren. «Wenn es nicht anders geht, wird sich die Bevölkerung
für ein neues Grosskraftwerk aussprechen, da bin ich mir sicher.»
Ob es sich um
ein Gaskombikraftwerk handeln wird, lässt der FDP-Ständerat bewusst
offen. «Wer weiss schon, wie weit die Innovation in zehn Jahren
fortgeschritten sein wird?» Dabei denkt Noser nicht zuletzt an neue
Speichertechnologien für Solarstrom. Für die Abstimmung vom 21. Mai
ist er zuversichtlich: «Die Bevölkerung merkt, dass die Gegner mit
ihrer Kampagne übertreiben.»
Kohlestrom oder VWs?
Als Beispiel erwähnt
er die Warnung vor dem Import von «dreckigem» Kohlestrom aus
Deutschland. Das sei ein dümmliches Argument: «Es spielt keine
Rolle, ob wir diesen Strom direkt importieren oder in Form von VWs»,
meint Noser in Anspielung auf die deutsche Autoindustrie. Denn «produzierter Strom wird auch verbraucht».
Der Gegensatz
zwischen Kurt Fluri und Ruedi Noser steht exemplarisch für eine
Vorlage, die Interessengruppen, Branchen und Organisationen entzweit
wie selten eine Abstimmung zuvor. Gerade die Freisinnigen sind tief
gespalten. Ihre Delegiertenversammlung beschloss die Ja-Parole nur
knapp mit 175 zu 163 Stimmen. Exponenten der FDP engagieren sich in
beiden Lagern.
Kurt Fluri beurteilt
die Diskrepanz zum einstigen Effizienz-Mitstreiter Ruedi Noser in
gewohnt nüchterner Art: «Für ihn ist die Gesamtbilanz positiv,
für mich negativ.» Man kann es auch so sagen: Für Ständerat
Noser ist beim Energiegesetz das Glas halb voll, für Nationalrat
Fluri halb leer.
Fakten rund um den Energieverbrauch in der Schweiz
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Fakten rund um den Energieverbrauch in der Schweiz
quelle: x90045 / mario anzuoni
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